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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Wir gingen nun längs den Mauern, um den Weg nach Deutschland zu
erreichen. Während diesem kam die Nacht heran, und kaum hatten wir jenen Weg
erreicht, als wir hinter uns galoppiren hörten; wir versteckten uns eiligst hinter
Gebüsch und bemerkten, daß es die gewöhnliche reitende Post von Homburg sei,
welche obigen Brief an meine Frau trug. Wir gingen weiter und kamen ganz
müde und ermattet bei dem Vater meiner Magd an, welcher uns die Kleider
verschafft hatte, wir setzten uns sogleich nahe an sein Feuer und baten ihn um
etwas zu trinken; er brachte uns ganz jungen Wein, weil er keinen andern hatte,
und einige Nüsse, deren wir so zu genießen anfingen, als Madame Varnier mit
ihren Töchtern und jünger" Nichten auch hier ankam. Verkleidet hatten sie wie
wir das Mittel gefunden, aus der Stadt zu entkomme". Sie kannten uns damals
noch nicht und hielten uns für das, was wir schienen, setzten sich auch dreist auf
unsre Plätze, und die ante Frau Varnier schlug uns sogar vor, gegen gute
Bezahlung die beiden jüngsten Mädchen zu tragen. Wir hatten Mühe genug uns
selbst zu tragen, um ihr Gesuch abzuschlagen. Als wir uns also entschuldigt hatten,
gingen wir hinaus, um an unsre Angelegenheit zu denken. Kaum waren wir
draußen, als eine gute Frau von Metz, welche mit dieser Gesellschaft gekommen
war und uns trotz unsrer Verkleidung erkannt hatte, zu uns kam und um Er¬
laubniß bat, uus folgen zu dürfen. Als wir ihr dies bewilligt hatten, und unser
Wegweiser angekommen war, machten wir uns auf den Weg. Der Mond war
aufgegangen und begünstigte unsre Reise. Es ergriff mich bald ein heftiger Schmerz
mitten im Körper, daß ich gezwungen wurde, mich platt um die Erde zu legen,
welches ich kaum gethan hatte, als auch Gott mich wieder in den stand setzte,
meine Reise fortzusetzen.

Den übrigen Theil der Nacht marschirten wir glücklich. Am Anfange des
Tags begegneten uns in einem Gehölze mehrere Bauern, welche nach einem benach¬
barten Dorfe zur Messe gingen, und da wir ihnen verdächtig vorkamen, schimpften
sie aus uns, wagten jedoch nicht, sich uns zu nähern. Nachmittags um 2 Uhr
kamen wir glücklich zu Loudwillcr an, einem kleinen Orte, wo unsre Religion
noch ausgeübt wurde, zu der sich fast der ganze Ort bekannte. Die guten Leute
kamen aus der Kirche, wo sie soeben den Sonntag gefeiert hatten. Einer dieser
Brüder nahm uns in sein Haus auf, woselbst, nachdem wir unsere Körper
wieder ausgefüttert hatten, denen es sehr nöthig that, wir diesen heiligen
Tag mit Singen des Lobes Gottes, besonders des für uns so paßlichcn 74,
Psalmen, zubrachten. Den ander" Morgen um 2 Uhr setzten wir unsern Weg
fort, mei" Schwager, ich und unser Wegweiser, um uns nach Saarbrücken zu
begeben. Da wir aber wußten, daß die dortige Brücke genau bewacht wurde,
so fanden wir für gut, el" Hans zu suchen, wo wir u"s so lange verbergen


GmiMm U. ISLI. 19

Wir gingen nun längs den Mauern, um den Weg nach Deutschland zu
erreichen. Während diesem kam die Nacht heran, und kaum hatten wir jenen Weg
erreicht, als wir hinter uns galoppiren hörten; wir versteckten uns eiligst hinter
Gebüsch und bemerkten, daß es die gewöhnliche reitende Post von Homburg sei,
welche obigen Brief an meine Frau trug. Wir gingen weiter und kamen ganz
müde und ermattet bei dem Vater meiner Magd an, welcher uns die Kleider
verschafft hatte, wir setzten uns sogleich nahe an sein Feuer und baten ihn um
etwas zu trinken; er brachte uns ganz jungen Wein, weil er keinen andern hatte,
und einige Nüsse, deren wir so zu genießen anfingen, als Madame Varnier mit
ihren Töchtern und jünger» Nichten auch hier ankam. Verkleidet hatten sie wie
wir das Mittel gefunden, aus der Stadt zu entkomme». Sie kannten uns damals
noch nicht und hielten uns für das, was wir schienen, setzten sich auch dreist auf
unsre Plätze, und die ante Frau Varnier schlug uns sogar vor, gegen gute
Bezahlung die beiden jüngsten Mädchen zu tragen. Wir hatten Mühe genug uns
selbst zu tragen, um ihr Gesuch abzuschlagen. Als wir uns also entschuldigt hatten,
gingen wir hinaus, um an unsre Angelegenheit zu denken. Kaum waren wir
draußen, als eine gute Frau von Metz, welche mit dieser Gesellschaft gekommen
war und uns trotz unsrer Verkleidung erkannt hatte, zu uns kam und um Er¬
laubniß bat, uus folgen zu dürfen. Als wir ihr dies bewilligt hatten, und unser
Wegweiser angekommen war, machten wir uns auf den Weg. Der Mond war
aufgegangen und begünstigte unsre Reise. Es ergriff mich bald ein heftiger Schmerz
mitten im Körper, daß ich gezwungen wurde, mich platt um die Erde zu legen,
welches ich kaum gethan hatte, als auch Gott mich wieder in den stand setzte,
meine Reise fortzusetzen.

Den übrigen Theil der Nacht marschirten wir glücklich. Am Anfange des
Tags begegneten uns in einem Gehölze mehrere Bauern, welche nach einem benach¬
barten Dorfe zur Messe gingen, und da wir ihnen verdächtig vorkamen, schimpften
sie aus uns, wagten jedoch nicht, sich uns zu nähern. Nachmittags um 2 Uhr
kamen wir glücklich zu Loudwillcr an, einem kleinen Orte, wo unsre Religion
noch ausgeübt wurde, zu der sich fast der ganze Ort bekannte. Die guten Leute
kamen aus der Kirche, wo sie soeben den Sonntag gefeiert hatten. Einer dieser
Brüder nahm uns in sein Haus auf, woselbst, nachdem wir unsere Körper
wieder ausgefüttert hatten, denen es sehr nöthig that, wir diesen heiligen
Tag mit Singen des Lobes Gottes, besonders des für uns so paßlichcn 74,
Psalmen, zubrachten. Den ander» Morgen um 2 Uhr setzten wir unsern Weg
fort, mei» Schwager, ich und unser Wegweiser, um uns nach Saarbrücken zu
begeben. Da wir aber wußten, daß die dortige Brücke genau bewacht wurde,
so fanden wir für gut, el» Hans zu suchen, wo wir u»s so lange verbergen


GmiMm U. ISLI. 19
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[0149] Wir gingen nun längs den Mauern, um den Weg nach Deutschland zu erreichen. Während diesem kam die Nacht heran, und kaum hatten wir jenen Weg erreicht, als wir hinter uns galoppiren hörten; wir versteckten uns eiligst hinter Gebüsch und bemerkten, daß es die gewöhnliche reitende Post von Homburg sei, welche obigen Brief an meine Frau trug. Wir gingen weiter und kamen ganz müde und ermattet bei dem Vater meiner Magd an, welcher uns die Kleider verschafft hatte, wir setzten uns sogleich nahe an sein Feuer und baten ihn um etwas zu trinken; er brachte uns ganz jungen Wein, weil er keinen andern hatte, und einige Nüsse, deren wir so zu genießen anfingen, als Madame Varnier mit ihren Töchtern und jünger» Nichten auch hier ankam. Verkleidet hatten sie wie wir das Mittel gefunden, aus der Stadt zu entkomme». Sie kannten uns damals noch nicht und hielten uns für das, was wir schienen, setzten sich auch dreist auf unsre Plätze, und die ante Frau Varnier schlug uns sogar vor, gegen gute Bezahlung die beiden jüngsten Mädchen zu tragen. Wir hatten Mühe genug uns selbst zu tragen, um ihr Gesuch abzuschlagen. Als wir uns also entschuldigt hatten, gingen wir hinaus, um an unsre Angelegenheit zu denken. Kaum waren wir draußen, als eine gute Frau von Metz, welche mit dieser Gesellschaft gekommen war und uns trotz unsrer Verkleidung erkannt hatte, zu uns kam und um Er¬ laubniß bat, uus folgen zu dürfen. Als wir ihr dies bewilligt hatten, und unser Wegweiser angekommen war, machten wir uns auf den Weg. Der Mond war aufgegangen und begünstigte unsre Reise. Es ergriff mich bald ein heftiger Schmerz mitten im Körper, daß ich gezwungen wurde, mich platt um die Erde zu legen, welches ich kaum gethan hatte, als auch Gott mich wieder in den stand setzte, meine Reise fortzusetzen. Den übrigen Theil der Nacht marschirten wir glücklich. Am Anfange des Tags begegneten uns in einem Gehölze mehrere Bauern, welche nach einem benach¬ barten Dorfe zur Messe gingen, und da wir ihnen verdächtig vorkamen, schimpften sie aus uns, wagten jedoch nicht, sich uns zu nähern. Nachmittags um 2 Uhr kamen wir glücklich zu Loudwillcr an, einem kleinen Orte, wo unsre Religion noch ausgeübt wurde, zu der sich fast der ganze Ort bekannte. Die guten Leute kamen aus der Kirche, wo sie soeben den Sonntag gefeiert hatten. Einer dieser Brüder nahm uns in sein Haus auf, woselbst, nachdem wir unsere Körper wieder ausgefüttert hatten, denen es sehr nöthig that, wir diesen heiligen Tag mit Singen des Lobes Gottes, besonders des für uns so paßlichcn 74, Psalmen, zubrachten. Den ander» Morgen um 2 Uhr setzten wir unsern Weg fort, mei» Schwager, ich und unser Wegweiser, um uns nach Saarbrücken zu begeben. Da wir aber wußten, daß die dortige Brücke genau bewacht wurde, so fanden wir für gut, el» Hans zu suchen, wo wir u»s so lange verbergen GmiMm U. ISLI. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/149>, abgerufen am 23.07.2024.