Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Dorfe vier Stunden von Metz, von einer Menge Reformirter bewohnt, welche
sich doch diesen Tag noch versammelt hatten, um zu Gott zu beten. Wir kamen
daselbst beim Eintritt der Nacht an und wurden von diesen guten Leuten, unsern
Brüdern, mit wahrhaftig christlicher Liebe empfangen, wie es bei unserm traurigen
Zustande und dem ihnen so nahe drohenden nur möglich war.

Während unsre Frauen Sorge für die Kinder trugen, suchten wir einen
Wagen, um uns weiter zu bringen, und als wir ein wenig ausgeruht und der
Wagen angekommen war, packten wir unsre Familien wieder auf und reiften
noch vor Tage ab, während welchem wir ohne irgend einen widrigen Vorfall
marschirten. Am Abend kamen wir zu Saarbrücken an, wo wir die Nacht zu¬
brachten, und als wir einen andern Wagen genommen, reisten wir am Morgen
weiter und passtrten ohne Schwierigkeit die Brücke, weil noch keine Wache an ihr
war; wir kamen noch denselben Tag nach Zweibrücken, Den andern Tag ließen
wir unsre Familien da und gingen nach Homburg, um den Herrn Intendanten
Goupillisre zu begrüßen und ihm unsre Lust zu bezeigen, uns hier zu etabliren,
welches er billigte, indem er uns seine Fürsprache versicherte, wie auch, daß der
König die Absicht habe, jedem die Ausübung seiner Religion frei zu lassen.
Gehen Sie, sagte er uns, und führen Sie dreist Ihre Familien und Sachen
hierher, Sie werden hier sicher sein.

Nach diesen guten Worten kehrten wir noch desselben Tages nach Zweibrücken
zurück und führten Tags darauf unsre Familien nach Homburg, wo wir sie,
nachdem wir sie in eine Wohnung gebracht, verließen, um unsre Sachen von Metz
zu holen. Ich bemerkte jedoch mit Verdruß, daß die Saarbrücker Brücke bewacht
wurde und mau von den Hinausgehenden Pässe verlangte; wir setzten jedoch
unsern Weg fort. Als wir zu Courcelles ankamen, fanden wir die Kirche zer¬
stört und die armen Leute in einer großen Traurigkeit. Wir kamen den andern
Tag, Sonntag den 28. October, zu Metz an, nach einer Abwesenheit von acht
Tagen. Auch bemerkten wir, daß hier Bürger an den Thoren waren, um die
Auswanderung zu verhindern, welches uns fürchten ließ, dies möchte die Höhle
des Löwen für uns sein. Mein Vater empfing mich mit aller möglichen Freude;
meine Mutter ließ meine Schwiegermutter zum Abendessen laden. Aber unsre
Freude wurde durch die Ankunft Gremecieux, Bruders meiner Frau, unterbrochen,
welcher von Paris zurückkam, wo er schon versprochen hatte, seine Religion zu
ändern. Er fing an zu weinen wie ein Kalb, ohne auch nur einen guten Grund
dafür anzugeben. Seine Mutter nahm ihn mit sich und ich ging nach meinem
Hause, um zu schlafen, wo ich meine Sachen in demselben Zustande fand, wie
ich sie verlassen. Am andern Tage ging ich mit der größten Zuversicht von der
Welt zu denjenigen, welche die Stadt commandirten, um ihnen meine Absicht,


Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Dorfe vier Stunden von Metz, von einer Menge Reformirter bewohnt, welche
sich doch diesen Tag noch versammelt hatten, um zu Gott zu beten. Wir kamen
daselbst beim Eintritt der Nacht an und wurden von diesen guten Leuten, unsern
Brüdern, mit wahrhaftig christlicher Liebe empfangen, wie es bei unserm traurigen
Zustande und dem ihnen so nahe drohenden nur möglich war.

Während unsre Frauen Sorge für die Kinder trugen, suchten wir einen
Wagen, um uns weiter zu bringen, und als wir ein wenig ausgeruht und der
Wagen angekommen war, packten wir unsre Familien wieder auf und reiften
noch vor Tage ab, während welchem wir ohne irgend einen widrigen Vorfall
marschirten. Am Abend kamen wir zu Saarbrücken an, wo wir die Nacht zu¬
brachten, und als wir einen andern Wagen genommen, reisten wir am Morgen
weiter und passtrten ohne Schwierigkeit die Brücke, weil noch keine Wache an ihr
war; wir kamen noch denselben Tag nach Zweibrücken, Den andern Tag ließen
wir unsre Familien da und gingen nach Homburg, um den Herrn Intendanten
Goupillisre zu begrüßen und ihm unsre Lust zu bezeigen, uns hier zu etabliren,
welches er billigte, indem er uns seine Fürsprache versicherte, wie auch, daß der
König die Absicht habe, jedem die Ausübung seiner Religion frei zu lassen.
Gehen Sie, sagte er uns, und führen Sie dreist Ihre Familien und Sachen
hierher, Sie werden hier sicher sein.

Nach diesen guten Worten kehrten wir noch desselben Tages nach Zweibrücken
zurück und führten Tags darauf unsre Familien nach Homburg, wo wir sie,
nachdem wir sie in eine Wohnung gebracht, verließen, um unsre Sachen von Metz
zu holen. Ich bemerkte jedoch mit Verdruß, daß die Saarbrücker Brücke bewacht
wurde und mau von den Hinausgehenden Pässe verlangte; wir setzten jedoch
unsern Weg fort. Als wir zu Courcelles ankamen, fanden wir die Kirche zer¬
stört und die armen Leute in einer großen Traurigkeit. Wir kamen den andern
Tag, Sonntag den 28. October, zu Metz an, nach einer Abwesenheit von acht
Tagen. Auch bemerkten wir, daß hier Bürger an den Thoren waren, um die
Auswanderung zu verhindern, welches uns fürchten ließ, dies möchte die Höhle
des Löwen für uns sein. Mein Vater empfing mich mit aller möglichen Freude;
meine Mutter ließ meine Schwiegermutter zum Abendessen laden. Aber unsre
Freude wurde durch die Ankunft Gremecieux, Bruders meiner Frau, unterbrochen,
welcher von Paris zurückkam, wo er schon versprochen hatte, seine Religion zu
ändern. Er fing an zu weinen wie ein Kalb, ohne auch nur einen guten Grund
dafür anzugeben. Seine Mutter nahm ihn mit sich und ich ging nach meinem
Hause, um zu schlafen, wo ich meine Sachen in demselben Zustande fand, wie
ich sie verlassen. Am andern Tage ging ich mit der größten Zuversicht von der
Welt zu denjenigen, welche die Stadt commandirten, um ihnen meine Absicht,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149716"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_483" prev="#ID_482"> Dorfe vier Stunden von Metz, von einer Menge Reformirter bewohnt, welche<lb/>
sich doch diesen Tag noch versammelt hatten, um zu Gott zu beten. Wir kamen<lb/>
daselbst beim Eintritt der Nacht an und wurden von diesen guten Leuten, unsern<lb/>
Brüdern, mit wahrhaftig christlicher Liebe empfangen, wie es bei unserm traurigen<lb/>
Zustande und dem ihnen so nahe drohenden nur möglich war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_484"> Während unsre Frauen Sorge für die Kinder trugen, suchten wir einen<lb/>
Wagen, um uns weiter zu bringen, und als wir ein wenig ausgeruht und der<lb/>
Wagen angekommen war, packten wir unsre Familien wieder auf und reiften<lb/>
noch vor Tage ab, während welchem wir ohne irgend einen widrigen Vorfall<lb/>
marschirten. Am Abend kamen wir zu Saarbrücken an, wo wir die Nacht zu¬<lb/>
brachten, und als wir einen andern Wagen genommen, reisten wir am Morgen<lb/>
weiter und passtrten ohne Schwierigkeit die Brücke, weil noch keine Wache an ihr<lb/>
war; wir kamen noch denselben Tag nach Zweibrücken, Den andern Tag ließen<lb/>
wir unsre Familien da und gingen nach Homburg, um den Herrn Intendanten<lb/>
Goupillisre zu begrüßen und ihm unsre Lust zu bezeigen, uns hier zu etabliren,<lb/>
welches er billigte, indem er uns seine Fürsprache versicherte, wie auch, daß der<lb/>
König die Absicht habe, jedem die Ausübung seiner Religion frei zu lassen.<lb/>
Gehen Sie, sagte er uns, und führen Sie dreist Ihre Familien und Sachen<lb/>
hierher, Sie werden hier sicher sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485" next="#ID_486"> Nach diesen guten Worten kehrten wir noch desselben Tages nach Zweibrücken<lb/>
zurück und führten Tags darauf unsre Familien nach Homburg, wo wir sie,<lb/>
nachdem wir sie in eine Wohnung gebracht, verließen, um unsre Sachen von Metz<lb/>
zu holen. Ich bemerkte jedoch mit Verdruß, daß die Saarbrücker Brücke bewacht<lb/>
wurde und mau von den Hinausgehenden Pässe verlangte; wir setzten jedoch<lb/>
unsern Weg fort. Als wir zu Courcelles ankamen, fanden wir die Kirche zer¬<lb/>
stört und die armen Leute in einer großen Traurigkeit. Wir kamen den andern<lb/>
Tag, Sonntag den 28. October, zu Metz an, nach einer Abwesenheit von acht<lb/>
Tagen. Auch bemerkten wir, daß hier Bürger an den Thoren waren, um die<lb/>
Auswanderung zu verhindern, welches uns fürchten ließ, dies möchte die Höhle<lb/>
des Löwen für uns sein. Mein Vater empfing mich mit aller möglichen Freude;<lb/>
meine Mutter ließ meine Schwiegermutter zum Abendessen laden. Aber unsre<lb/>
Freude wurde durch die Ankunft Gremecieux, Bruders meiner Frau, unterbrochen,<lb/>
welcher von Paris zurückkam, wo er schon versprochen hatte, seine Religion zu<lb/>
ändern. Er fing an zu weinen wie ein Kalb, ohne auch nur einen guten Grund<lb/>
dafür anzugeben. Seine Mutter nahm ihn mit sich und ich ging nach meinem<lb/>
Hause, um zu schlafen, wo ich meine Sachen in demselben Zustande fand, wie<lb/>
ich sie verlassen. Am andern Tage ging ich mit der größten Zuversicht von der<lb/>
Welt zu denjenigen, welche die Stadt commandirten, um ihnen meine Absicht,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0144] Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes. Dorfe vier Stunden von Metz, von einer Menge Reformirter bewohnt, welche sich doch diesen Tag noch versammelt hatten, um zu Gott zu beten. Wir kamen daselbst beim Eintritt der Nacht an und wurden von diesen guten Leuten, unsern Brüdern, mit wahrhaftig christlicher Liebe empfangen, wie es bei unserm traurigen Zustande und dem ihnen so nahe drohenden nur möglich war. Während unsre Frauen Sorge für die Kinder trugen, suchten wir einen Wagen, um uns weiter zu bringen, und als wir ein wenig ausgeruht und der Wagen angekommen war, packten wir unsre Familien wieder auf und reiften noch vor Tage ab, während welchem wir ohne irgend einen widrigen Vorfall marschirten. Am Abend kamen wir zu Saarbrücken an, wo wir die Nacht zu¬ brachten, und als wir einen andern Wagen genommen, reisten wir am Morgen weiter und passtrten ohne Schwierigkeit die Brücke, weil noch keine Wache an ihr war; wir kamen noch denselben Tag nach Zweibrücken, Den andern Tag ließen wir unsre Familien da und gingen nach Homburg, um den Herrn Intendanten Goupillisre zu begrüßen und ihm unsre Lust zu bezeigen, uns hier zu etabliren, welches er billigte, indem er uns seine Fürsprache versicherte, wie auch, daß der König die Absicht habe, jedem die Ausübung seiner Religion frei zu lassen. Gehen Sie, sagte er uns, und führen Sie dreist Ihre Familien und Sachen hierher, Sie werden hier sicher sein. Nach diesen guten Worten kehrten wir noch desselben Tages nach Zweibrücken zurück und führten Tags darauf unsre Familien nach Homburg, wo wir sie, nachdem wir sie in eine Wohnung gebracht, verließen, um unsre Sachen von Metz zu holen. Ich bemerkte jedoch mit Verdruß, daß die Saarbrücker Brücke bewacht wurde und mau von den Hinausgehenden Pässe verlangte; wir setzten jedoch unsern Weg fort. Als wir zu Courcelles ankamen, fanden wir die Kirche zer¬ stört und die armen Leute in einer großen Traurigkeit. Wir kamen den andern Tag, Sonntag den 28. October, zu Metz an, nach einer Abwesenheit von acht Tagen. Auch bemerkten wir, daß hier Bürger an den Thoren waren, um die Auswanderung zu verhindern, welches uns fürchten ließ, dies möchte die Höhle des Löwen für uns sein. Mein Vater empfing mich mit aller möglichen Freude; meine Mutter ließ meine Schwiegermutter zum Abendessen laden. Aber unsre Freude wurde durch die Ankunft Gremecieux, Bruders meiner Frau, unterbrochen, welcher von Paris zurückkam, wo er schon versprochen hatte, seine Religion zu ändern. Er fing an zu weinen wie ein Kalb, ohne auch nur einen guten Grund dafür anzugeben. Seine Mutter nahm ihn mit sich und ich ging nach meinem Hause, um zu schlafen, wo ich meine Sachen in demselben Zustande fand, wie ich sie verlassen. Am andern Tage ging ich mit der größten Zuversicht von der Welt zu denjenigen, welche die Stadt commandirten, um ihnen meine Absicht,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/144
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/144>, abgerufen am 23.07.2024.