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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Metz an, und zu gleicher Zeit auch die Befehle, unsre Kirche zu zerstören. Der
Intendant ließ selbigen Abends die Schlüssel derselben holen und verbot, sich
am andern Tage darin zu versammeln. Da sich diese Nachricht verbreitet hatte,
versetzte sie unsre arme Gemeinde in die äußerste Trostlosigkeit. Ich befand mich
in diesem Augenblicke bei meinem Vater, welcher, nachdem er sich sehr mit einem
auch gerade anwesenden Gevatter betrübt hatte, mir mehrere Auswege vor¬
schlug, welche mir nicht so wohl gefielen als derjenige, den ich im Sinne hatte.
Ich wünschte ihm also gute Nacht. Als ich hierauf mit meiner Frau hierüber
gesprochen, welche ganz meiner Gesinnung war, d. h. entschlossen, alle unsre
Güter zu verlassen, um ein ruhiges Gewissen zu behalten, so legten wir uns
mit diesem Entschlüsse schlafen und nahmen früh am Sonntag Morgen unsre
beiden sehr einfach gekleideten Kinder an die Hand und begaben uns nach einem
Thore der Stadt, um von da nach Se. Julien zu gehen, welches gleichsam
die Vorstadt ist und wo meine Schwiegermutter ein Landhaus besaß. Wir
erfuhren unterwegs die Neckereien mehrerer Papisten, welche schon unsers Un¬
glücks spotteten. Sobald wir in dieses Haus kamen, ließ ich daselbst meine Frau
und Kinder und kehrte zur Stadt zurück, um ihnen durch meine Magd unser
Silbergeschirr und ein wenig Leinenzeug zu schicken, weil ich nicht wagte, viel
davon zu schicken aus Furcht bemerkt und angehalten zu werden. Vater, Mutter
und Schwiegermutter thaten alles mögliche, um mich zurückzuhalten, indem sie
mir vorstellten, daß ich, wenn trotz dem Verbote bei der Auswanderung ergriffen,
nach den Galeeren und meine Frau in ein Kloster geschickt würde, von dessen
Wahrheit ich auch überzeugt war.

Gott gab mir jedoch die nöthige Festigkeit, um diesen Stürmen zu wider¬
stehen. Da dies mein Vater sah, sagte er mir: Wohlan, mein Sohn, ich bitte
Gott, daß er dich begleite, und dich, daß du deinen kleinen Bruder mit dir
nehmen und Sorge für ihn tragen mögest, welches ich mit Vergnügen annahm.
Dies war das kleinste seiner Kinder und ungefähr elf Jahre alt; man führte ihn
dahin, wo sich meine Frau befand, und nachdem ich alles zu mir genommen
hatte, was ich an Gelde zu Hause hatte, folgte auch ich ihm dahin. Ich fand
daselbst auch meinen Schwager Blancbois, seine Frau und ihre vier Kinder.
Derselbe hatte einen Wagen holen lassen, wohinein wir unsre Frauen und Kinder
setzten. Darauf machten wir uns fertig, ihnen zu Fuße zu folgen.

Da der Meier meiner Schwiegermutter sah, daß es ernst war, so gab er
uns sein Erstaunen zu erkennen über unsern Entschluß, alles zu verlassen und
uns selbst so auszusetzen, denn er war Papist, jedoch ein guter Mann. Wir er¬
klärten ihm aber, daß wir unsern Entschluß nicht ändern würden, und als wir
ihm Adieu gesagt hatten, nahmen wir unsern Weg nach Courcelles, einem guten


Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Metz an, und zu gleicher Zeit auch die Befehle, unsre Kirche zu zerstören. Der
Intendant ließ selbigen Abends die Schlüssel derselben holen und verbot, sich
am andern Tage darin zu versammeln. Da sich diese Nachricht verbreitet hatte,
versetzte sie unsre arme Gemeinde in die äußerste Trostlosigkeit. Ich befand mich
in diesem Augenblicke bei meinem Vater, welcher, nachdem er sich sehr mit einem
auch gerade anwesenden Gevatter betrübt hatte, mir mehrere Auswege vor¬
schlug, welche mir nicht so wohl gefielen als derjenige, den ich im Sinne hatte.
Ich wünschte ihm also gute Nacht. Als ich hierauf mit meiner Frau hierüber
gesprochen, welche ganz meiner Gesinnung war, d. h. entschlossen, alle unsre
Güter zu verlassen, um ein ruhiges Gewissen zu behalten, so legten wir uns
mit diesem Entschlüsse schlafen und nahmen früh am Sonntag Morgen unsre
beiden sehr einfach gekleideten Kinder an die Hand und begaben uns nach einem
Thore der Stadt, um von da nach Se. Julien zu gehen, welches gleichsam
die Vorstadt ist und wo meine Schwiegermutter ein Landhaus besaß. Wir
erfuhren unterwegs die Neckereien mehrerer Papisten, welche schon unsers Un¬
glücks spotteten. Sobald wir in dieses Haus kamen, ließ ich daselbst meine Frau
und Kinder und kehrte zur Stadt zurück, um ihnen durch meine Magd unser
Silbergeschirr und ein wenig Leinenzeug zu schicken, weil ich nicht wagte, viel
davon zu schicken aus Furcht bemerkt und angehalten zu werden. Vater, Mutter
und Schwiegermutter thaten alles mögliche, um mich zurückzuhalten, indem sie
mir vorstellten, daß ich, wenn trotz dem Verbote bei der Auswanderung ergriffen,
nach den Galeeren und meine Frau in ein Kloster geschickt würde, von dessen
Wahrheit ich auch überzeugt war.

Gott gab mir jedoch die nöthige Festigkeit, um diesen Stürmen zu wider¬
stehen. Da dies mein Vater sah, sagte er mir: Wohlan, mein Sohn, ich bitte
Gott, daß er dich begleite, und dich, daß du deinen kleinen Bruder mit dir
nehmen und Sorge für ihn tragen mögest, welches ich mit Vergnügen annahm.
Dies war das kleinste seiner Kinder und ungefähr elf Jahre alt; man führte ihn
dahin, wo sich meine Frau befand, und nachdem ich alles zu mir genommen
hatte, was ich an Gelde zu Hause hatte, folgte auch ich ihm dahin. Ich fand
daselbst auch meinen Schwager Blancbois, seine Frau und ihre vier Kinder.
Derselbe hatte einen Wagen holen lassen, wohinein wir unsre Frauen und Kinder
setzten. Darauf machten wir uns fertig, ihnen zu Fuße zu folgen.

Da der Meier meiner Schwiegermutter sah, daß es ernst war, so gab er
uns sein Erstaunen zu erkennen über unsern Entschluß, alles zu verlassen und
uns selbst so auszusetzen, denn er war Papist, jedoch ein guter Mann. Wir er¬
klärten ihm aber, daß wir unsern Entschluß nicht ändern würden, und als wir
ihm Adieu gesagt hatten, nahmen wir unsern Weg nach Courcelles, einem guten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/143>, abgerufen am 23.07.2024.