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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Avr etwa Jahresfrist hörte ich in einer öffentlichen Prüfung, wie der Examinator
ans eine falsche Antwort, die der gefragte gegeben, einen andern der zu prüfenden
fragte: "Können Sie vielleicht diese Antwort richtigstellen?" Ich wäre bei einem
Haare dazwischen gefahren mit dem Rufe: "Wollen Sie nicht zunächst einmal
diese Frage richtig stellen?" Ich kaun mir nicht helfen: Ich glaube, ich könnte
hundert Jahre alt werden, ich würde diese Wörter und die meisten der oben auf¬
gezählte" Neubildungen nnn und nimmermehr in den Mund nehmen, nun und
nimmermehr schreiben, so grnudwiderwärtig sind sie mir. Ich hasse diese Wörter
so, daß es für mich geradezu für die Beurtheilung eines Menschen entscheidend
ist, ob er sie nachbraucht oder vermeidet. Jedermann kennt den peinlichen Ein¬
druck, den es in gebildeter Gesellschaft macht, wenn ein Mensch, der auf der
Bildungsstufe der übrigen Anwesenden zu stehen schien, plötzlich ein Fremdwort
falsch anwendet oder mitten in der geziertesten Rede über einen groben syntak¬
tischen Fehler stolpert. Keiner fühlt sich berufen, den Aermsten über seinen Schnitzer
zu belehren, aber alle sehen sich stumm an und denken: Hier liegt ein Ver¬
sehen vor, wie kommt der Mensch in unsern Kreis? Genau dasselbe Gefühl
habe ich Leuten gegenüber, die ihre Rede mit Neologismen spicken. Ich habe
mich fünf Minnten lang mit jemand unterhalten, und das Gespräch will eben
etwas in Zug kommen, wir sind im Begriff einander näher zu rücken. Plötzlich
braucht der andre eil? so dummes Wort wie selbstredend -- und ich bin wie
auf den Mund geschlagen, ich sehe, daß wir nicht zu einander passen.

Nun habe ich mich schon oft ernstlich und aufrichtig gefragt: Bist du im
Rechte mit deiner unbesieglichen Abneigung gegen diese Wörter? Oder sind sie
es, die sie arglos uachbrauchen? Gehört nicht vielleicht allen diesen Wörtern
die Zukunft, und ist es nicht "ein eitel und vergeblich Wage", zu fallen ins
bewegte Rad der Zeit?" Ist nicht die Sprache in ewigem Fluß und Werden
begriffen, und würde sie nicht zur Nerknöcherung verdammt sein, wenn alle
Menschen sich gegen die Aufnahme dieser Wörter so sträuben wollten wie du?
Ist es nicht eine Idiosynkrasie von dir, daß dn hier einen Mangel, einen Mi߬
stand siehst? Liegt der Mangel nicht vielmehr bei dir? Bist du nicht ein
Pedant, und die andern die Geistesfreien? -- Immer aber muß ich mir dann
antworten: Du, der du dich gegen diese Wörter sträubst, bist doch der denkende;
sie, die sie frischweg nachbranchen, sind die gedankenlosen. Wären sie die den-
kenden, brauchten sie die Sprache nicht wie im halben Traume, sondern mit dem
hellen Bewußtsein eines Menschen, der genau weiß, warum er an jeder Stelle
gerade dieses Wort setzt und kein andres, so müßten doch auch sie an den Neu¬
bildungen einmal Anstoß nehmen. Es gilt als Zeichen einer niedern Bildungs¬
stufe, wenn jemand an allen Alfanzereien der wechselnden Kleidermode theil-


Avr etwa Jahresfrist hörte ich in einer öffentlichen Prüfung, wie der Examinator
ans eine falsche Antwort, die der gefragte gegeben, einen andern der zu prüfenden
fragte: „Können Sie vielleicht diese Antwort richtigstellen?" Ich wäre bei einem
Haare dazwischen gefahren mit dem Rufe: „Wollen Sie nicht zunächst einmal
diese Frage richtig stellen?" Ich kaun mir nicht helfen: Ich glaube, ich könnte
hundert Jahre alt werden, ich würde diese Wörter und die meisten der oben auf¬
gezählte» Neubildungen nnn und nimmermehr in den Mund nehmen, nun und
nimmermehr schreiben, so grnudwiderwärtig sind sie mir. Ich hasse diese Wörter
so, daß es für mich geradezu für die Beurtheilung eines Menschen entscheidend
ist, ob er sie nachbraucht oder vermeidet. Jedermann kennt den peinlichen Ein¬
druck, den es in gebildeter Gesellschaft macht, wenn ein Mensch, der auf der
Bildungsstufe der übrigen Anwesenden zu stehen schien, plötzlich ein Fremdwort
falsch anwendet oder mitten in der geziertesten Rede über einen groben syntak¬
tischen Fehler stolpert. Keiner fühlt sich berufen, den Aermsten über seinen Schnitzer
zu belehren, aber alle sehen sich stumm an und denken: Hier liegt ein Ver¬
sehen vor, wie kommt der Mensch in unsern Kreis? Genau dasselbe Gefühl
habe ich Leuten gegenüber, die ihre Rede mit Neologismen spicken. Ich habe
mich fünf Minnten lang mit jemand unterhalten, und das Gespräch will eben
etwas in Zug kommen, wir sind im Begriff einander näher zu rücken. Plötzlich
braucht der andre eil? so dummes Wort wie selbstredend — und ich bin wie
auf den Mund geschlagen, ich sehe, daß wir nicht zu einander passen.

Nun habe ich mich schon oft ernstlich und aufrichtig gefragt: Bist du im
Rechte mit deiner unbesieglichen Abneigung gegen diese Wörter? Oder sind sie
es, die sie arglos uachbrauchen? Gehört nicht vielleicht allen diesen Wörtern
die Zukunft, und ist es nicht „ein eitel und vergeblich Wage», zu fallen ins
bewegte Rad der Zeit?" Ist nicht die Sprache in ewigem Fluß und Werden
begriffen, und würde sie nicht zur Nerknöcherung verdammt sein, wenn alle
Menschen sich gegen die Aufnahme dieser Wörter so sträuben wollten wie du?
Ist es nicht eine Idiosynkrasie von dir, daß dn hier einen Mangel, einen Mi߬
stand siehst? Liegt der Mangel nicht vielmehr bei dir? Bist du nicht ein
Pedant, und die andern die Geistesfreien? — Immer aber muß ich mir dann
antworten: Du, der du dich gegen diese Wörter sträubst, bist doch der denkende;
sie, die sie frischweg nachbranchen, sind die gedankenlosen. Wären sie die den-
kenden, brauchten sie die Sprache nicht wie im halben Traume, sondern mit dem
hellen Bewußtsein eines Menschen, der genau weiß, warum er an jeder Stelle
gerade dieses Wort setzt und kein andres, so müßten doch auch sie an den Neu¬
bildungen einmal Anstoß nehmen. Es gilt als Zeichen einer niedern Bildungs¬
stufe, wenn jemand an allen Alfanzereien der wechselnden Kleidermode theil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/583>, abgerufen am 27.12.2024.