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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sprachliche Neulnldimgmi,

den Dom freilegen (nämlich durch Wegreißen der Nachbarhäuser) oder: einen
Schaden bloßlegcn -- unwillkürlich denkt man an den Anatomen, der Haut
und Muskeln auf die Seite legt, bis der Knochen bloßliegt.

Derselbe Sprachschwnlst, dieselbe Abneigung von dem Einfachen, Natürlichen
und Ursprünglichen, wohin man blickt. Ein wahrer Vernichtungskampf wird jetzt
gegen unsre kurzen, flüchtigen und leichtgeschürzten Präpositionen geführt. Sie
scheinen geradezu auf den Aussterbeetat gesetzt werden zu solle". Auf, bei, nach,
von, mit -- sie alle werden verdrängt dnrch schwerfällige Wortungethüme. An¬
statt: "auf das Schreiben der Stadtverordneten" heißt es jetzt: "antwortlich
der Zuschrift der Stadtverordneten"; anstatt: "bei der Einweihung des Goethe-
Denkmals" wird gesagt: "gelegentlich oder anläßlich der Einweihung"; anstatt:
"nach diesem Telegramm scheint es" heißt es jetzt: "inhnlts oder inhaltlich
dieses Telegramms"; anstatt: "nach Paragraph zehn der Städteordnung" wird
geschrieben: "in Gemäßheit von Paragraph zehn"; anstatt: "mit einem Messer"
"mit Hilfe oder gar mit Zuhilfenahme eines Messers." Das einfache von
beim Passionen wird vollends gar nicht mehr gebraucht; dafür heißt es bloß noch
von Seiten, seitens oder -seits. "Von Preußen ist die Anfrage ergangen" --
pfui, wie zopfig! Der gerechte und vollkommene Journalist schreibt: Von Seiten
Preußens oder preußischcrseits, statt vom Ministerium miniftericllcrseits,
statt von den Gegnern der Juden antisemitischerseits. Ist das nicht einfach
scheußlich? Wir macheu uns lustig über die rollenden, zischenden und schnalzenden
Bildungen der slavischen Sprachen. Aber muß nicht ein französisches oder ein
italienisches Ohr sich ebenso verschließen gegen ein Monstrum wie antisemi¬
tischerseits -- trotz des schönen Rhythmus, der zufällig in dem halben Penta¬
meter steckt?

Doch genug der Beispiele. Eins ist unbegreiflich bei allen diesen Wörtern:
die reißende Schnelligkeit, mit der sie binnen wenigen Jahren um sich gegriffen
haben. Das Wort selbstredend habe ich vielleicht vor zwei bis drei Jahren
zum ersten Male aus dem Munde eines Ladendieners in einem Schnittwaaren¬
geschäft gehört. Ich dachte damals: Aha, wieder eins von den schönen Wörtern,
die der kaufmännische Jargon zu bilden liebt, ganz geeignet für die verbindlich
lispelnden Lippen von Ladenjünglingen und Prvbirmamsells. Bald darauf tauchte
aber das Wort vereinzelt in den Zeitungen auf -- möglich, daß es der Laden-
jnngling selbst schon aus eiuer Zeitung aufgelesen hatte. Nicht lange, so brauchte
es ein mir bekannter Arzt in der Unterhaltung -- ich erschrak förmlich und traute
meinen Ohren kaum, dann las ich es wiederholt in einer wissenschaftlichen Zeitschrift,
und so ging es weiter und weiter, bis mich das garstige Wort von allen Seiten
umzischelte. Aehnliches habe ich mit richtigstellen und fertigstellen beobachtet.


Sprachliche Neulnldimgmi,

den Dom freilegen (nämlich durch Wegreißen der Nachbarhäuser) oder: einen
Schaden bloßlegcn — unwillkürlich denkt man an den Anatomen, der Haut
und Muskeln auf die Seite legt, bis der Knochen bloßliegt.

Derselbe Sprachschwnlst, dieselbe Abneigung von dem Einfachen, Natürlichen
und Ursprünglichen, wohin man blickt. Ein wahrer Vernichtungskampf wird jetzt
gegen unsre kurzen, flüchtigen und leichtgeschürzten Präpositionen geführt. Sie
scheinen geradezu auf den Aussterbeetat gesetzt werden zu solle». Auf, bei, nach,
von, mit — sie alle werden verdrängt dnrch schwerfällige Wortungethüme. An¬
statt: „auf das Schreiben der Stadtverordneten" heißt es jetzt: „antwortlich
der Zuschrift der Stadtverordneten"; anstatt: „bei der Einweihung des Goethe-
Denkmals" wird gesagt: „gelegentlich oder anläßlich der Einweihung"; anstatt:
„nach diesem Telegramm scheint es" heißt es jetzt: „inhnlts oder inhaltlich
dieses Telegramms"; anstatt: „nach Paragraph zehn der Städteordnung" wird
geschrieben: „in Gemäßheit von Paragraph zehn"; anstatt: „mit einem Messer"
„mit Hilfe oder gar mit Zuhilfenahme eines Messers." Das einfache von
beim Passionen wird vollends gar nicht mehr gebraucht; dafür heißt es bloß noch
von Seiten, seitens oder -seits. „Von Preußen ist die Anfrage ergangen" —
pfui, wie zopfig! Der gerechte und vollkommene Journalist schreibt: Von Seiten
Preußens oder preußischcrseits, statt vom Ministerium miniftericllcrseits,
statt von den Gegnern der Juden antisemitischerseits. Ist das nicht einfach
scheußlich? Wir macheu uns lustig über die rollenden, zischenden und schnalzenden
Bildungen der slavischen Sprachen. Aber muß nicht ein französisches oder ein
italienisches Ohr sich ebenso verschließen gegen ein Monstrum wie antisemi¬
tischerseits — trotz des schönen Rhythmus, der zufällig in dem halben Penta¬
meter steckt?

Doch genug der Beispiele. Eins ist unbegreiflich bei allen diesen Wörtern:
die reißende Schnelligkeit, mit der sie binnen wenigen Jahren um sich gegriffen
haben. Das Wort selbstredend habe ich vielleicht vor zwei bis drei Jahren
zum ersten Male aus dem Munde eines Ladendieners in einem Schnittwaaren¬
geschäft gehört. Ich dachte damals: Aha, wieder eins von den schönen Wörtern,
die der kaufmännische Jargon zu bilden liebt, ganz geeignet für die verbindlich
lispelnden Lippen von Ladenjünglingen und Prvbirmamsells. Bald darauf tauchte
aber das Wort vereinzelt in den Zeitungen auf — möglich, daß es der Laden-
jnngling selbst schon aus eiuer Zeitung aufgelesen hatte. Nicht lange, so brauchte
es ein mir bekannter Arzt in der Unterhaltung — ich erschrak förmlich und traute
meinen Ohren kaum, dann las ich es wiederholt in einer wissenschaftlichen Zeitschrift,
und so ging es weiter und weiter, bis mich das garstige Wort von allen Seiten
umzischelte. Aehnliches habe ich mit richtigstellen und fertigstellen beobachtet.


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[0582] Sprachliche Neulnldimgmi, den Dom freilegen (nämlich durch Wegreißen der Nachbarhäuser) oder: einen Schaden bloßlegcn — unwillkürlich denkt man an den Anatomen, der Haut und Muskeln auf die Seite legt, bis der Knochen bloßliegt. Derselbe Sprachschwnlst, dieselbe Abneigung von dem Einfachen, Natürlichen und Ursprünglichen, wohin man blickt. Ein wahrer Vernichtungskampf wird jetzt gegen unsre kurzen, flüchtigen und leichtgeschürzten Präpositionen geführt. Sie scheinen geradezu auf den Aussterbeetat gesetzt werden zu solle». Auf, bei, nach, von, mit — sie alle werden verdrängt dnrch schwerfällige Wortungethüme. An¬ statt: „auf das Schreiben der Stadtverordneten" heißt es jetzt: „antwortlich der Zuschrift der Stadtverordneten"; anstatt: „bei der Einweihung des Goethe- Denkmals" wird gesagt: „gelegentlich oder anläßlich der Einweihung"; anstatt: „nach diesem Telegramm scheint es" heißt es jetzt: „inhnlts oder inhaltlich dieses Telegramms"; anstatt: „nach Paragraph zehn der Städteordnung" wird geschrieben: „in Gemäßheit von Paragraph zehn"; anstatt: „mit einem Messer" „mit Hilfe oder gar mit Zuhilfenahme eines Messers." Das einfache von beim Passionen wird vollends gar nicht mehr gebraucht; dafür heißt es bloß noch von Seiten, seitens oder -seits. „Von Preußen ist die Anfrage ergangen" — pfui, wie zopfig! Der gerechte und vollkommene Journalist schreibt: Von Seiten Preußens oder preußischcrseits, statt vom Ministerium miniftericllcrseits, statt von den Gegnern der Juden antisemitischerseits. Ist das nicht einfach scheußlich? Wir macheu uns lustig über die rollenden, zischenden und schnalzenden Bildungen der slavischen Sprachen. Aber muß nicht ein französisches oder ein italienisches Ohr sich ebenso verschließen gegen ein Monstrum wie antisemi¬ tischerseits — trotz des schönen Rhythmus, der zufällig in dem halben Penta¬ meter steckt? Doch genug der Beispiele. Eins ist unbegreiflich bei allen diesen Wörtern: die reißende Schnelligkeit, mit der sie binnen wenigen Jahren um sich gegriffen haben. Das Wort selbstredend habe ich vielleicht vor zwei bis drei Jahren zum ersten Male aus dem Munde eines Ladendieners in einem Schnittwaaren¬ geschäft gehört. Ich dachte damals: Aha, wieder eins von den schönen Wörtern, die der kaufmännische Jargon zu bilden liebt, ganz geeignet für die verbindlich lispelnden Lippen von Ladenjünglingen und Prvbirmamsells. Bald darauf tauchte aber das Wort vereinzelt in den Zeitungen auf — möglich, daß es der Laden- jnngling selbst schon aus eiuer Zeitung aufgelesen hatte. Nicht lange, so brauchte es ein mir bekannter Arzt in der Unterhaltung — ich erschrak förmlich und traute meinen Ohren kaum, dann las ich es wiederholt in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, und so ging es weiter und weiter, bis mich das garstige Wort von allen Seiten umzischelte. Aehnliches habe ich mit richtigstellen und fertigstellen beobachtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/582>, abgerufen am 28.12.2024.