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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sprachliche Neubildungen.

Erweiterung der ursprünglichen einfachen Wörter vor, so führt in andern Fällen
dasselbe Bestreben nach Breite zu matten Umschreibungen. Schulen möchten
heute nicht mehr Schulen heiße", sondern Lehranstalten, aus der Handels¬
schule wird eine Handelslehranstalt, aus den Lehrern und Schülern werden
Lehrende und Lernende, die Studenten wollen nicht mehr Studenten ge¬
nannt sei", sondern Studirende (als ob mit dem Worte "Student" der Be¬
griff des wirklichen Studirens nicht mehr recht verbunden wäre!), die Sänger
und Musiker im Theater nennen sich Chormitglicder und Orchestermit¬
glieder. Man sollte doch denken, daß in dem Worte "Musicus" mehr Sinn
und Inhalt steckte als in dem faden, nichtssagenden "Mitglied."

Dem Streben nach breitem, gewichtigen Ausdruck verdanken wir wohl anch
zum Theil die abscheulichen Zusammensetzungen: richtigstellen, fertigstellen,
klarstellen oder klarlegen, die seit wenigen Jahren statt der guten alten
Wörter berichtigen, vollenden und aufklären gebraucht werden. Auch die
Hauptwörter Richtigstellung und Fertigstellung für Berichtigung und
Vollendung haben sich schon eingebürgert. Diese Wörter sind sämmtlich über¬
flüssig, entschieden unschön, einige, wenn man auf den Grund geht, geradezu ein¬
fältig. Auf den ersten Blick scheint es, als ob auch sie sich durch eine gewisse
Anschaulichkeit empfohlen: sie werden alle im übertragnen Sinne gebraucht und
bedeuten doch eigentlich eine sinnliche, mit der Hand vorzunehmende Thätigkeit.
Bei richtigstellen soll man wohl nicht an die Zeiger der Uhr denken, sondern
eher an ein Bild, das falsch beleuchtet ist und in die richtige Beleuchtung ge¬
stellt wird, oder noch besser an Gerätschaften im Zimmer, die durch einander
gerathen sind und wieder auf ihren Platz gestellt werden; ähnlich, könnte man
sagen, werden Thatsachen, die verschoben sind, zurechtgerückt oder ins rechte Licht
gestellt. Das läßt sich hören. Aber schon bei fertigstellen beginnt der Unsinn.
Das Wort kann vernünftigerweise nichts anders heißen als eine Sache so lange
hin- und herrücken, so lange an ihr gleichsam herumstellen, bis sie glücklich steht.
Das will man aber gar nicht damit sagen, das Wort wird einfach für beendigen
oder vollenden gebraucht: nicht bloß von einer Schleuße oder einem Straßen¬
pflaster, sondern auch von einen: Nomaumanuseript oder einem Gemälde heißt
es jetzt: es ist fertiggestellt. Geradezu stumpfsinnig aber sind klarstellen
und klarlegen gebildet: hier wird man von aller Anschauung im Stiche gelassen.
Klar brauchen wir in sinnlicher Bedeutung nur von der Luft und von Flüssig¬
keiten. Wie soll man diese aber ans eine feste Unterlage "legen" oder "stellen?"
Beide Wörter sind mechanisch und gedankenlos gebildet nach freistellen und
freilegen, bloßstelleu und bloßlegen. Gerade diese Wörter aber können
den Unterschied zeigen. Wie richtig sind sie gebildet! Wie plastisch ist gesagt:


Grenzlwtm I. 1831. 76
Sprachliche Neubildungen.

Erweiterung der ursprünglichen einfachen Wörter vor, so führt in andern Fällen
dasselbe Bestreben nach Breite zu matten Umschreibungen. Schulen möchten
heute nicht mehr Schulen heiße», sondern Lehranstalten, aus der Handels¬
schule wird eine Handelslehranstalt, aus den Lehrern und Schülern werden
Lehrende und Lernende, die Studenten wollen nicht mehr Studenten ge¬
nannt sei», sondern Studirende (als ob mit dem Worte „Student" der Be¬
griff des wirklichen Studirens nicht mehr recht verbunden wäre!), die Sänger
und Musiker im Theater nennen sich Chormitglicder und Orchestermit¬
glieder. Man sollte doch denken, daß in dem Worte „Musicus" mehr Sinn
und Inhalt steckte als in dem faden, nichtssagenden „Mitglied."

Dem Streben nach breitem, gewichtigen Ausdruck verdanken wir wohl anch
zum Theil die abscheulichen Zusammensetzungen: richtigstellen, fertigstellen,
klarstellen oder klarlegen, die seit wenigen Jahren statt der guten alten
Wörter berichtigen, vollenden und aufklären gebraucht werden. Auch die
Hauptwörter Richtigstellung und Fertigstellung für Berichtigung und
Vollendung haben sich schon eingebürgert. Diese Wörter sind sämmtlich über¬
flüssig, entschieden unschön, einige, wenn man auf den Grund geht, geradezu ein¬
fältig. Auf den ersten Blick scheint es, als ob auch sie sich durch eine gewisse
Anschaulichkeit empfohlen: sie werden alle im übertragnen Sinne gebraucht und
bedeuten doch eigentlich eine sinnliche, mit der Hand vorzunehmende Thätigkeit.
Bei richtigstellen soll man wohl nicht an die Zeiger der Uhr denken, sondern
eher an ein Bild, das falsch beleuchtet ist und in die richtige Beleuchtung ge¬
stellt wird, oder noch besser an Gerätschaften im Zimmer, die durch einander
gerathen sind und wieder auf ihren Platz gestellt werden; ähnlich, könnte man
sagen, werden Thatsachen, die verschoben sind, zurechtgerückt oder ins rechte Licht
gestellt. Das läßt sich hören. Aber schon bei fertigstellen beginnt der Unsinn.
Das Wort kann vernünftigerweise nichts anders heißen als eine Sache so lange
hin- und herrücken, so lange an ihr gleichsam herumstellen, bis sie glücklich steht.
Das will man aber gar nicht damit sagen, das Wort wird einfach für beendigen
oder vollenden gebraucht: nicht bloß von einer Schleuße oder einem Straßen¬
pflaster, sondern auch von einen: Nomaumanuseript oder einem Gemälde heißt
es jetzt: es ist fertiggestellt. Geradezu stumpfsinnig aber sind klarstellen
und klarlegen gebildet: hier wird man von aller Anschauung im Stiche gelassen.
Klar brauchen wir in sinnlicher Bedeutung nur von der Luft und von Flüssig¬
keiten. Wie soll man diese aber ans eine feste Unterlage „legen" oder „stellen?"
Beide Wörter sind mechanisch und gedankenlos gebildet nach freistellen und
freilegen, bloßstelleu und bloßlegen. Gerade diese Wörter aber können
den Unterschied zeigen. Wie richtig sind sie gebildet! Wie plastisch ist gesagt:


Grenzlwtm I. 1831. 76
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[0581] Sprachliche Neubildungen. Erweiterung der ursprünglichen einfachen Wörter vor, so führt in andern Fällen dasselbe Bestreben nach Breite zu matten Umschreibungen. Schulen möchten heute nicht mehr Schulen heiße», sondern Lehranstalten, aus der Handels¬ schule wird eine Handelslehranstalt, aus den Lehrern und Schülern werden Lehrende und Lernende, die Studenten wollen nicht mehr Studenten ge¬ nannt sei», sondern Studirende (als ob mit dem Worte „Student" der Be¬ griff des wirklichen Studirens nicht mehr recht verbunden wäre!), die Sänger und Musiker im Theater nennen sich Chormitglicder und Orchestermit¬ glieder. Man sollte doch denken, daß in dem Worte „Musicus" mehr Sinn und Inhalt steckte als in dem faden, nichtssagenden „Mitglied." Dem Streben nach breitem, gewichtigen Ausdruck verdanken wir wohl anch zum Theil die abscheulichen Zusammensetzungen: richtigstellen, fertigstellen, klarstellen oder klarlegen, die seit wenigen Jahren statt der guten alten Wörter berichtigen, vollenden und aufklären gebraucht werden. Auch die Hauptwörter Richtigstellung und Fertigstellung für Berichtigung und Vollendung haben sich schon eingebürgert. Diese Wörter sind sämmtlich über¬ flüssig, entschieden unschön, einige, wenn man auf den Grund geht, geradezu ein¬ fältig. Auf den ersten Blick scheint es, als ob auch sie sich durch eine gewisse Anschaulichkeit empfohlen: sie werden alle im übertragnen Sinne gebraucht und bedeuten doch eigentlich eine sinnliche, mit der Hand vorzunehmende Thätigkeit. Bei richtigstellen soll man wohl nicht an die Zeiger der Uhr denken, sondern eher an ein Bild, das falsch beleuchtet ist und in die richtige Beleuchtung ge¬ stellt wird, oder noch besser an Gerätschaften im Zimmer, die durch einander gerathen sind und wieder auf ihren Platz gestellt werden; ähnlich, könnte man sagen, werden Thatsachen, die verschoben sind, zurechtgerückt oder ins rechte Licht gestellt. Das läßt sich hören. Aber schon bei fertigstellen beginnt der Unsinn. Das Wort kann vernünftigerweise nichts anders heißen als eine Sache so lange hin- und herrücken, so lange an ihr gleichsam herumstellen, bis sie glücklich steht. Das will man aber gar nicht damit sagen, das Wort wird einfach für beendigen oder vollenden gebraucht: nicht bloß von einer Schleuße oder einem Straßen¬ pflaster, sondern auch von einen: Nomaumanuseript oder einem Gemälde heißt es jetzt: es ist fertiggestellt. Geradezu stumpfsinnig aber sind klarstellen und klarlegen gebildet: hier wird man von aller Anschauung im Stiche gelassen. Klar brauchen wir in sinnlicher Bedeutung nur von der Luft und von Flüssig¬ keiten. Wie soll man diese aber ans eine feste Unterlage „legen" oder „stellen?" Beide Wörter sind mechanisch und gedankenlos gebildet nach freistellen und freilegen, bloßstelleu und bloßlegen. Gerade diese Wörter aber können den Unterschied zeigen. Wie richtig sind sie gebildet! Wie plastisch ist gesagt: Grenzlwtm I. 1831. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/581>, abgerufen am 29.12.2024.