Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Maechiavelli als militärischer Techniker.

Noch immer hat jedes seiner Fähnlein in den 5 vordem Gliedern Spießer,
um den erwarteten Stoß schwerer Cavallerie aufzufangen; nur die 15 hintern
Glieder sind Rondartschierc, die für das ernste Handgemenge bestimmt sind.
Aber auch die freien Flanken umschließt eine Spießerhccke, und um die hierfür
nöthige Mannschaft zu gewinnen, giebt er jedem seiner Bataillone ein Corps
von 1000 außerordentlichen, nicht in die Fähnlein eingereihten Pikenieren bei.
Auch die verschiedene Breite der Intervalle innerhalb der Treffen lehrt, daß
Maechiavelli doch wesentlich unter dem Eindrucke der defensiven Bedürfnisse seiner
Zeit schrieb. Diejenigen des zweiten und dritten Treffens sind groß genug,
um dem ersten Treffen zu gestatten, sich durch dieselben zurückzuziehen; aber die
Intervalle des ersten Treffens find nicht groß genug, weder um den Feind zu
einer Theilung seiner Front zu veranlassen, noch um dein zweiten Treffen zu
gestatten, dem ersten im entscheidenden Momente wirksam zu Hilfe zu kommen
und damit vielleicht den Angriff zu entscheiden (3. Buch).

Gelingt es Maechiavelli in infanteristischen Dingen nicht ganz, dem Be¬
dürfnisse der Zeit zu entsprechen, so ist umsomehr der Scharfsinn zu bewundern,
mit welchem sein durchdringender Geist die wahren Aufgaben der Reiterei er¬
kannte. Er ist ein Gegner der schwer geharnischten Reisigen, die nicht selten,
wenn sie einmal vom Pferde gekommen, sich nicht wieder aufrichten konnten,
sondern im Schlamm und Schmutz erstickten. Seine Gedanken über den zweck¬
mäßigen Gebrauch der Kavallerie saßt er in folgenden Worten zusammen.

"Mau bedarf der Reiterei zur Unterstützung und Verstärkung des Fußvolks;
keineswegs aber darf man sie als die Hauptwaffe des Heeres betrachten. Sie
hat ihre hohe und berechtigte Bedeutung bei Rceognoseirnngsritten, als Avant¬
garde, auf Streifzügen zur Fvuragirung und Verwüstung feindlichen Gebietes,
zur Beunruhigung und steten Alarmirung der Quartiere des Gegners und zum
Abfangen seiner Zufuhren. In Feldschlachten aber, wie sie über das Schicksal
der Völker entscheiden, ist die Reiterei mehr geeignet, einen schon erschütterten
Feind anzugreifen oder den fliehenden zu verfolgen, als für irgend eine andere
Aufgabe" (2. Buch). Wenn man diese Sätze liest, so glaubt man einen Theo¬
retiker aus unsern eignen Tagen zu hören.

Seltsam ist Mcicchiavellis Verhältniß zur Artillerie. Obgleich die L.re<z cloHa
ssusri'Ä doch nach der Schlacht von Ravenna (1612) geschrieben ist, in welcher
das Feuergeschütz bereits eine so große Rolle spielte und durch die kühne Flanken¬
bewegung des Alfonso von Este die italienische Artillerie wahrlich den Beweis
überraschender Reife gegeben hatte, so tritt ihr doch Maechiavelli ungemein zurück¬
haltend gegenüber. Hier ist eine Voreingenommenheit, wohl infolge einseitiger
Verehrung der Antike, kaum zu verkennen. Maechiavelli steht in dieser Beziehung


Maechiavelli als militärischer Techniker.

Noch immer hat jedes seiner Fähnlein in den 5 vordem Gliedern Spießer,
um den erwarteten Stoß schwerer Cavallerie aufzufangen; nur die 15 hintern
Glieder sind Rondartschierc, die für das ernste Handgemenge bestimmt sind.
Aber auch die freien Flanken umschließt eine Spießerhccke, und um die hierfür
nöthige Mannschaft zu gewinnen, giebt er jedem seiner Bataillone ein Corps
von 1000 außerordentlichen, nicht in die Fähnlein eingereihten Pikenieren bei.
Auch die verschiedene Breite der Intervalle innerhalb der Treffen lehrt, daß
Maechiavelli doch wesentlich unter dem Eindrucke der defensiven Bedürfnisse seiner
Zeit schrieb. Diejenigen des zweiten und dritten Treffens sind groß genug,
um dem ersten Treffen zu gestatten, sich durch dieselben zurückzuziehen; aber die
Intervalle des ersten Treffens find nicht groß genug, weder um den Feind zu
einer Theilung seiner Front zu veranlassen, noch um dein zweiten Treffen zu
gestatten, dem ersten im entscheidenden Momente wirksam zu Hilfe zu kommen
und damit vielleicht den Angriff zu entscheiden (3. Buch).

Gelingt es Maechiavelli in infanteristischen Dingen nicht ganz, dem Be¬
dürfnisse der Zeit zu entsprechen, so ist umsomehr der Scharfsinn zu bewundern,
mit welchem sein durchdringender Geist die wahren Aufgaben der Reiterei er¬
kannte. Er ist ein Gegner der schwer geharnischten Reisigen, die nicht selten,
wenn sie einmal vom Pferde gekommen, sich nicht wieder aufrichten konnten,
sondern im Schlamm und Schmutz erstickten. Seine Gedanken über den zweck¬
mäßigen Gebrauch der Kavallerie saßt er in folgenden Worten zusammen.

„Mau bedarf der Reiterei zur Unterstützung und Verstärkung des Fußvolks;
keineswegs aber darf man sie als die Hauptwaffe des Heeres betrachten. Sie
hat ihre hohe und berechtigte Bedeutung bei Rceognoseirnngsritten, als Avant¬
garde, auf Streifzügen zur Fvuragirung und Verwüstung feindlichen Gebietes,
zur Beunruhigung und steten Alarmirung der Quartiere des Gegners und zum
Abfangen seiner Zufuhren. In Feldschlachten aber, wie sie über das Schicksal
der Völker entscheiden, ist die Reiterei mehr geeignet, einen schon erschütterten
Feind anzugreifen oder den fliehenden zu verfolgen, als für irgend eine andere
Aufgabe" (2. Buch). Wenn man diese Sätze liest, so glaubt man einen Theo¬
retiker aus unsern eignen Tagen zu hören.

Seltsam ist Mcicchiavellis Verhältniß zur Artillerie. Obgleich die L.re<z cloHa
ssusri'Ä doch nach der Schlacht von Ravenna (1612) geschrieben ist, in welcher
das Feuergeschütz bereits eine so große Rolle spielte und durch die kühne Flanken¬
bewegung des Alfonso von Este die italienische Artillerie wahrlich den Beweis
überraschender Reife gegeben hatte, so tritt ihr doch Maechiavelli ungemein zurück¬
haltend gegenüber. Hier ist eine Voreingenommenheit, wohl infolge einseitiger
Verehrung der Antike, kaum zu verkennen. Maechiavelli steht in dieser Beziehung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0563" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149547"/>
          <fw type="header" place="top"> Maechiavelli als militärischer Techniker.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1583"> Noch immer hat jedes seiner Fähnlein in den 5 vordem Gliedern Spießer,<lb/>
um den erwarteten Stoß schwerer Cavallerie aufzufangen; nur die 15 hintern<lb/>
Glieder sind Rondartschierc, die für das ernste Handgemenge bestimmt sind.<lb/>
Aber auch die freien Flanken umschließt eine Spießerhccke, und um die hierfür<lb/>
nöthige Mannschaft zu gewinnen, giebt er jedem seiner Bataillone ein Corps<lb/>
von 1000 außerordentlichen, nicht in die Fähnlein eingereihten Pikenieren bei.<lb/>
Auch die verschiedene Breite der Intervalle innerhalb der Treffen lehrt, daß<lb/>
Maechiavelli doch wesentlich unter dem Eindrucke der defensiven Bedürfnisse seiner<lb/>
Zeit schrieb. Diejenigen des zweiten und dritten Treffens sind groß genug,<lb/>
um dem ersten Treffen zu gestatten, sich durch dieselben zurückzuziehen; aber die<lb/>
Intervalle des ersten Treffens find nicht groß genug, weder um den Feind zu<lb/>
einer Theilung seiner Front zu veranlassen, noch um dein zweiten Treffen zu<lb/>
gestatten, dem ersten im entscheidenden Momente wirksam zu Hilfe zu kommen<lb/>
und damit vielleicht den Angriff zu entscheiden (3. Buch).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1584"> Gelingt es Maechiavelli in infanteristischen Dingen nicht ganz, dem Be¬<lb/>
dürfnisse der Zeit zu entsprechen, so ist umsomehr der Scharfsinn zu bewundern,<lb/>
mit welchem sein durchdringender Geist die wahren Aufgaben der Reiterei er¬<lb/>
kannte. Er ist ein Gegner der schwer geharnischten Reisigen, die nicht selten,<lb/>
wenn sie einmal vom Pferde gekommen, sich nicht wieder aufrichten konnten,<lb/>
sondern im Schlamm und Schmutz erstickten. Seine Gedanken über den zweck¬<lb/>
mäßigen Gebrauch der Kavallerie saßt er in folgenden Worten zusammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1585"> &#x201E;Mau bedarf der Reiterei zur Unterstützung und Verstärkung des Fußvolks;<lb/>
keineswegs aber darf man sie als die Hauptwaffe des Heeres betrachten. Sie<lb/>
hat ihre hohe und berechtigte Bedeutung bei Rceognoseirnngsritten, als Avant¬<lb/>
garde, auf Streifzügen zur Fvuragirung und Verwüstung feindlichen Gebietes,<lb/>
zur Beunruhigung und steten Alarmirung der Quartiere des Gegners und zum<lb/>
Abfangen seiner Zufuhren. In Feldschlachten aber, wie sie über das Schicksal<lb/>
der Völker entscheiden, ist die Reiterei mehr geeignet, einen schon erschütterten<lb/>
Feind anzugreifen oder den fliehenden zu verfolgen, als für irgend eine andere<lb/>
Aufgabe" (2. Buch). Wenn man diese Sätze liest, so glaubt man einen Theo¬<lb/>
retiker aus unsern eignen Tagen zu hören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1586" next="#ID_1587"> Seltsam ist Mcicchiavellis Verhältniß zur Artillerie. Obgleich die L.re&lt;z cloHa<lb/>
ssusri'Ä doch nach der Schlacht von Ravenna (1612) geschrieben ist, in welcher<lb/>
das Feuergeschütz bereits eine so große Rolle spielte und durch die kühne Flanken¬<lb/>
bewegung des Alfonso von Este die italienische Artillerie wahrlich den Beweis<lb/>
überraschender Reife gegeben hatte, so tritt ihr doch Maechiavelli ungemein zurück¬<lb/>
haltend gegenüber. Hier ist eine Voreingenommenheit, wohl infolge einseitiger<lb/>
Verehrung der Antike, kaum zu verkennen. Maechiavelli steht in dieser Beziehung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0563] Maechiavelli als militärischer Techniker. Noch immer hat jedes seiner Fähnlein in den 5 vordem Gliedern Spießer, um den erwarteten Stoß schwerer Cavallerie aufzufangen; nur die 15 hintern Glieder sind Rondartschierc, die für das ernste Handgemenge bestimmt sind. Aber auch die freien Flanken umschließt eine Spießerhccke, und um die hierfür nöthige Mannschaft zu gewinnen, giebt er jedem seiner Bataillone ein Corps von 1000 außerordentlichen, nicht in die Fähnlein eingereihten Pikenieren bei. Auch die verschiedene Breite der Intervalle innerhalb der Treffen lehrt, daß Maechiavelli doch wesentlich unter dem Eindrucke der defensiven Bedürfnisse seiner Zeit schrieb. Diejenigen des zweiten und dritten Treffens sind groß genug, um dem ersten Treffen zu gestatten, sich durch dieselben zurückzuziehen; aber die Intervalle des ersten Treffens find nicht groß genug, weder um den Feind zu einer Theilung seiner Front zu veranlassen, noch um dein zweiten Treffen zu gestatten, dem ersten im entscheidenden Momente wirksam zu Hilfe zu kommen und damit vielleicht den Angriff zu entscheiden (3. Buch). Gelingt es Maechiavelli in infanteristischen Dingen nicht ganz, dem Be¬ dürfnisse der Zeit zu entsprechen, so ist umsomehr der Scharfsinn zu bewundern, mit welchem sein durchdringender Geist die wahren Aufgaben der Reiterei er¬ kannte. Er ist ein Gegner der schwer geharnischten Reisigen, die nicht selten, wenn sie einmal vom Pferde gekommen, sich nicht wieder aufrichten konnten, sondern im Schlamm und Schmutz erstickten. Seine Gedanken über den zweck¬ mäßigen Gebrauch der Kavallerie saßt er in folgenden Worten zusammen. „Mau bedarf der Reiterei zur Unterstützung und Verstärkung des Fußvolks; keineswegs aber darf man sie als die Hauptwaffe des Heeres betrachten. Sie hat ihre hohe und berechtigte Bedeutung bei Rceognoseirnngsritten, als Avant¬ garde, auf Streifzügen zur Fvuragirung und Verwüstung feindlichen Gebietes, zur Beunruhigung und steten Alarmirung der Quartiere des Gegners und zum Abfangen seiner Zufuhren. In Feldschlachten aber, wie sie über das Schicksal der Völker entscheiden, ist die Reiterei mehr geeignet, einen schon erschütterten Feind anzugreifen oder den fliehenden zu verfolgen, als für irgend eine andere Aufgabe" (2. Buch). Wenn man diese Sätze liest, so glaubt man einen Theo¬ retiker aus unsern eignen Tagen zu hören. Seltsam ist Mcicchiavellis Verhältniß zur Artillerie. Obgleich die L.re<z cloHa ssusri'Ä doch nach der Schlacht von Ravenna (1612) geschrieben ist, in welcher das Feuergeschütz bereits eine so große Rolle spielte und durch die kühne Flanken¬ bewegung des Alfonso von Este die italienische Artillerie wahrlich den Beweis überraschender Reife gegeben hatte, so tritt ihr doch Maechiavelli ungemein zurück¬ haltend gegenüber. Hier ist eine Voreingenommenheit, wohl infolge einseitiger Verehrung der Antike, kaum zu verkennen. Maechiavelli steht in dieser Beziehung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/563
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/563>, abgerufen am 27.12.2024.