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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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für klare Begriffe ausgiebt, ist unbestreitbar, wie es selbstverständlich ist, daß auch
in ihr eine feste Methode zu herrschen hat, vermöge deren keine Begriffe eingeführt
werden, die nicht logisch widerspruchsfrei und zutreffend, d. h. "ut der Wirklichkeit
übereinstimmend sind, daß aber übrigens zwar der Phantasie ein kleiner und
nothwendiger, der Phantasterei jedoch gar kein Platz eingeräumt wird. In diesem
Sinne hat das Verfahren und Denken des Verfassers mit wirklicher Philosophie
wenig gemein.

Er beginnt nach einigen vomnsgeschickten Gedanken über Kraft, Spannung
und Substanz, deren Kritik wir unterlassen, seine Auseinandersetzung über das
"originale Zwiespaltselement" mit der Frage: "Welches sind nun die funda¬
mentalen Mächte oder Factoren, die jene Spannung ("vermittelst welcher sich die
Substanz selber trägt") bilden?" Und er antwortet: "Es müssen zwei Willen
sein von der Art, daß der eine den andern zugleich negirt und postulirt." Gleich
darauf werden diese "Willen" näher bezeichnet als "der Wille des absoluten
Etwas und der Wille des absoluten Nichts."

Der Verfasser steigt also hinab zu den Fundamenten des Seins und findet
daselbst zwei Willen? Nein, er ist nicht hinabgestiegen, und er hat nichts gefunden.
Wozu dies selbstgefällige Gebähren? wozu dies Spiel mit dem Ernst? Wenn
der Mann zu uns spräche: "Ich, B. M. W. Koch, bin aus dem Gefolge Schopen¬
hauers und wandle in seiner Metaphysik; ich glaube, was er glaubte; ich sage
nach, was er gesagt hat; jedoch nehme ich nur die Freiheit, meine Herrschaften,
etwas Eigenes und Originales seiner Lehre hinzuzufügen, indem ich an die Stelle
des einen Willens zwei setze" -- wenn der Mann so spräche, dann würden wir
sehen, daß er uns belustigen will, und würden ihn willkommen heißen und freund¬
lich bitten, Platz zu nehmen. Aber das thut er nicht, vielmehr spricht er vom
Willen als eigentlichem Weltwcsen und gar von seinen zwei Willen als noch eigent¬
licheren Weltwesen wie von ausgemachten Dingen. Leider benehmen sich so heute
noch mehr Leute, die, unbefangen oder dreist, Schopenhauerische Begriffe wie
"Weltwille," "Objeetivation" ?e. einander von Hand zu Hand werfen, ohne eine
Ahnung davon zu haben, daß es Schneebälle sind: wenn der Frühling kommt,
werden sie nichts mehr zwischen den Fingern haben. Dies Verfahren, in der
Literatur und Öffentlichkeit, ist nicht wissenschaftlich, und, da Wissenschaftlichkeit
allein die Redlichkeit der Philosophen ist, auch nicht redlich; wobei wir diesem
Begriff eine etwas höhere Function geben, als er im eigentlich moralischen hat.

Dem "Willen des absoluten Etwas" läßt der Verfasser den "Willen des
absoluten Nichts" entgegenwirken. Zunächst fragt man: Wozu "absolut?" Wer
es mit dem Nichts ehrlich meint, der denkt dabei genau dasselbe wie bei absolutem
Nichts. Also "Wille des Nichts." Man sollte glauben, derjenige, welcher uns


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für klare Begriffe ausgiebt, ist unbestreitbar, wie es selbstverständlich ist, daß auch
in ihr eine feste Methode zu herrschen hat, vermöge deren keine Begriffe eingeführt
werden, die nicht logisch widerspruchsfrei und zutreffend, d. h. »ut der Wirklichkeit
übereinstimmend sind, daß aber übrigens zwar der Phantasie ein kleiner und
nothwendiger, der Phantasterei jedoch gar kein Platz eingeräumt wird. In diesem
Sinne hat das Verfahren und Denken des Verfassers mit wirklicher Philosophie
wenig gemein.

Er beginnt nach einigen vomnsgeschickten Gedanken über Kraft, Spannung
und Substanz, deren Kritik wir unterlassen, seine Auseinandersetzung über das
„originale Zwiespaltselement" mit der Frage: „Welches sind nun die funda¬
mentalen Mächte oder Factoren, die jene Spannung („vermittelst welcher sich die
Substanz selber trägt") bilden?" Und er antwortet: „Es müssen zwei Willen
sein von der Art, daß der eine den andern zugleich negirt und postulirt." Gleich
darauf werden diese „Willen" näher bezeichnet als „der Wille des absoluten
Etwas und der Wille des absoluten Nichts."

Der Verfasser steigt also hinab zu den Fundamenten des Seins und findet
daselbst zwei Willen? Nein, er ist nicht hinabgestiegen, und er hat nichts gefunden.
Wozu dies selbstgefällige Gebähren? wozu dies Spiel mit dem Ernst? Wenn
der Mann zu uns spräche: „Ich, B. M. W. Koch, bin aus dem Gefolge Schopen¬
hauers und wandle in seiner Metaphysik; ich glaube, was er glaubte; ich sage
nach, was er gesagt hat; jedoch nehme ich nur die Freiheit, meine Herrschaften,
etwas Eigenes und Originales seiner Lehre hinzuzufügen, indem ich an die Stelle
des einen Willens zwei setze" — wenn der Mann so spräche, dann würden wir
sehen, daß er uns belustigen will, und würden ihn willkommen heißen und freund¬
lich bitten, Platz zu nehmen. Aber das thut er nicht, vielmehr spricht er vom
Willen als eigentlichem Weltwcsen und gar von seinen zwei Willen als noch eigent¬
licheren Weltwesen wie von ausgemachten Dingen. Leider benehmen sich so heute
noch mehr Leute, die, unbefangen oder dreist, Schopenhauerische Begriffe wie
„Weltwille," „Objeetivation" ?e. einander von Hand zu Hand werfen, ohne eine
Ahnung davon zu haben, daß es Schneebälle sind: wenn der Frühling kommt,
werden sie nichts mehr zwischen den Fingern haben. Dies Verfahren, in der
Literatur und Öffentlichkeit, ist nicht wissenschaftlich, und, da Wissenschaftlichkeit
allein die Redlichkeit der Philosophen ist, auch nicht redlich; wobei wir diesem
Begriff eine etwas höhere Function geben, als er im eigentlich moralischen hat.

Dem „Willen des absoluten Etwas" läßt der Verfasser den „Willen des
absoluten Nichts" entgegenwirken. Zunächst fragt man: Wozu „absolut?" Wer
es mit dem Nichts ehrlich meint, der denkt dabei genau dasselbe wie bei absolutem
Nichts. Also „Wille des Nichts." Man sollte glauben, derjenige, welcher uns


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/540>, abgerufen am 27.12.2024.