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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Neues Mönchthum.

Anspruch nimmt, keine Würdigung, sondern Geringschätzung erfuhren, ist selbst¬
verständlich, brandmarkt aber zugleich den engherzig egoistischen Standpunkt dieser
Philosophie und angeblichen Lebensweisheit, Sie ruht durchaus auf einer Ver-
kennung des Moralischen überhaupt und der Natur des Menschen, welcher in der
Jsolirung, auch wenn sie von wichtiger Erkenntniß überströmte, sein Heil nun
und nimmermehr findet. An dieser Thatsache müssen Unternehmungen wie die
des Verfassers unbedingt scheitern.

Und hat sich nicht bereits die Selbstvernichtung seines Systems vollzogen?
Der Mann, dem es um nichts zu thun ist als um Erkenntniß-Gewinnung und
Erweiterung seiner Persönlichkeit, hat "die Ergebnisse seines Nachdenkens" ver¬
öffentlicht -- veröffentlicht, damit sie andern zu gute kommen, und weil der
Manu in seiner Jsolirung keine volle Befriedigung gefunden hat. In seiner
Theorie schätzt er die Beziehungen zwischen Mensch und Mensch gering, aber sein
natürlicher Trieb schlägt jene öde Theorie zu Boden: mit dem Besten, was er
hat und kennt, mit seinem "speculativen Wissen" wendet sich der Mann an seine
Mitmenschen.

Sollen wir den Verfasser daran erinnern, daß ein Dichter, dessen Lebens¬
lauf feinem Ideal glücklicherweise nicht entspricht, sich mit demselben Problem
von der rechten Gestalt des individuellen Daseins beschäftigt hat? Goethes Faust
beginnt mit dem Erkenntniß-Rausch; er verfällt alsdann dem Extrem des Sinnen¬
genusses; er gelangt zuletzt zur Ergreifung der productiven Thätigkeit, der im
Zusammenhang der Menschheit bedeutsamen Arbeit, und -- findet Befriedigung.
Goethe hat das Problem gelöst, nicht Herr Koch. Was in Fausts Leben zeitlich
auseinanderliegt und aufeinanderfolgt, soll vereinigt werden, so daß Wissen und
Erkennen, Wirken und Schaffen und Genießen harmonisch verbunden sind. Dieses
Ziel ist zu erreichen und ist, zum Ruhme des Lebens und der Welt, nicht schwer
zu erreichen.

Es hat sich gezeigt, daß der Verfasser nicht berufen ist, der Schöpfer einer
praktischen Lebensphilosophie zu werden. Da er aber eine erstaunliche Verehrung
des speculativen Wissens an den Tag legt, so könnten wir ein günstiges Vor¬
urtheil fassen für seine Kraft der Speculation, für seine Virtuosität im abstracten
Denken. Er hat jedoch Gelegenheit genommen, auch dies Vorurtheil gründlich
zu beseitigen in demjenigen Theile der Schrift, welcher die Zwiespältigkeit im Leben
des Menschen auf die fundamentale Beschaffenheit der Welt oder des Seins zu¬
rückzuführen versucht. Wir lernen hier den Metaphhstker Koch kennen und er¬
fahren, wie er die allgemeinsten Begriffe handhabt. Es ist eine traurige Erfahrung.

Daß die Philosophie keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit hat, wenn sie
Erdichtungen für ausgemachte Wahrheiten und willkürliche Worteompositiouen


Neues Mönchthum.

Anspruch nimmt, keine Würdigung, sondern Geringschätzung erfuhren, ist selbst¬
verständlich, brandmarkt aber zugleich den engherzig egoistischen Standpunkt dieser
Philosophie und angeblichen Lebensweisheit, Sie ruht durchaus auf einer Ver-
kennung des Moralischen überhaupt und der Natur des Menschen, welcher in der
Jsolirung, auch wenn sie von wichtiger Erkenntniß überströmte, sein Heil nun
und nimmermehr findet. An dieser Thatsache müssen Unternehmungen wie die
des Verfassers unbedingt scheitern.

Und hat sich nicht bereits die Selbstvernichtung seines Systems vollzogen?
Der Mann, dem es um nichts zu thun ist als um Erkenntniß-Gewinnung und
Erweiterung seiner Persönlichkeit, hat „die Ergebnisse seines Nachdenkens" ver¬
öffentlicht — veröffentlicht, damit sie andern zu gute kommen, und weil der
Manu in seiner Jsolirung keine volle Befriedigung gefunden hat. In seiner
Theorie schätzt er die Beziehungen zwischen Mensch und Mensch gering, aber sein
natürlicher Trieb schlägt jene öde Theorie zu Boden: mit dem Besten, was er
hat und kennt, mit seinem „speculativen Wissen" wendet sich der Mann an seine
Mitmenschen.

Sollen wir den Verfasser daran erinnern, daß ein Dichter, dessen Lebens¬
lauf feinem Ideal glücklicherweise nicht entspricht, sich mit demselben Problem
von der rechten Gestalt des individuellen Daseins beschäftigt hat? Goethes Faust
beginnt mit dem Erkenntniß-Rausch; er verfällt alsdann dem Extrem des Sinnen¬
genusses; er gelangt zuletzt zur Ergreifung der productiven Thätigkeit, der im
Zusammenhang der Menschheit bedeutsamen Arbeit, und — findet Befriedigung.
Goethe hat das Problem gelöst, nicht Herr Koch. Was in Fausts Leben zeitlich
auseinanderliegt und aufeinanderfolgt, soll vereinigt werden, so daß Wissen und
Erkennen, Wirken und Schaffen und Genießen harmonisch verbunden sind. Dieses
Ziel ist zu erreichen und ist, zum Ruhme des Lebens und der Welt, nicht schwer
zu erreichen.

Es hat sich gezeigt, daß der Verfasser nicht berufen ist, der Schöpfer einer
praktischen Lebensphilosophie zu werden. Da er aber eine erstaunliche Verehrung
des speculativen Wissens an den Tag legt, so könnten wir ein günstiges Vor¬
urtheil fassen für seine Kraft der Speculation, für seine Virtuosität im abstracten
Denken. Er hat jedoch Gelegenheit genommen, auch dies Vorurtheil gründlich
zu beseitigen in demjenigen Theile der Schrift, welcher die Zwiespältigkeit im Leben
des Menschen auf die fundamentale Beschaffenheit der Welt oder des Seins zu¬
rückzuführen versucht. Wir lernen hier den Metaphhstker Koch kennen und er¬
fahren, wie er die allgemeinsten Begriffe handhabt. Es ist eine traurige Erfahrung.

Daß die Philosophie keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit hat, wenn sie
Erdichtungen für ausgemachte Wahrheiten und willkürliche Worteompositiouen


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[0539] Neues Mönchthum. Anspruch nimmt, keine Würdigung, sondern Geringschätzung erfuhren, ist selbst¬ verständlich, brandmarkt aber zugleich den engherzig egoistischen Standpunkt dieser Philosophie und angeblichen Lebensweisheit, Sie ruht durchaus auf einer Ver- kennung des Moralischen überhaupt und der Natur des Menschen, welcher in der Jsolirung, auch wenn sie von wichtiger Erkenntniß überströmte, sein Heil nun und nimmermehr findet. An dieser Thatsache müssen Unternehmungen wie die des Verfassers unbedingt scheitern. Und hat sich nicht bereits die Selbstvernichtung seines Systems vollzogen? Der Mann, dem es um nichts zu thun ist als um Erkenntniß-Gewinnung und Erweiterung seiner Persönlichkeit, hat „die Ergebnisse seines Nachdenkens" ver¬ öffentlicht — veröffentlicht, damit sie andern zu gute kommen, und weil der Manu in seiner Jsolirung keine volle Befriedigung gefunden hat. In seiner Theorie schätzt er die Beziehungen zwischen Mensch und Mensch gering, aber sein natürlicher Trieb schlägt jene öde Theorie zu Boden: mit dem Besten, was er hat und kennt, mit seinem „speculativen Wissen" wendet sich der Mann an seine Mitmenschen. Sollen wir den Verfasser daran erinnern, daß ein Dichter, dessen Lebens¬ lauf feinem Ideal glücklicherweise nicht entspricht, sich mit demselben Problem von der rechten Gestalt des individuellen Daseins beschäftigt hat? Goethes Faust beginnt mit dem Erkenntniß-Rausch; er verfällt alsdann dem Extrem des Sinnen¬ genusses; er gelangt zuletzt zur Ergreifung der productiven Thätigkeit, der im Zusammenhang der Menschheit bedeutsamen Arbeit, und — findet Befriedigung. Goethe hat das Problem gelöst, nicht Herr Koch. Was in Fausts Leben zeitlich auseinanderliegt und aufeinanderfolgt, soll vereinigt werden, so daß Wissen und Erkennen, Wirken und Schaffen und Genießen harmonisch verbunden sind. Dieses Ziel ist zu erreichen und ist, zum Ruhme des Lebens und der Welt, nicht schwer zu erreichen. Es hat sich gezeigt, daß der Verfasser nicht berufen ist, der Schöpfer einer praktischen Lebensphilosophie zu werden. Da er aber eine erstaunliche Verehrung des speculativen Wissens an den Tag legt, so könnten wir ein günstiges Vor¬ urtheil fassen für seine Kraft der Speculation, für seine Virtuosität im abstracten Denken. Er hat jedoch Gelegenheit genommen, auch dies Vorurtheil gründlich zu beseitigen in demjenigen Theile der Schrift, welcher die Zwiespältigkeit im Leben des Menschen auf die fundamentale Beschaffenheit der Welt oder des Seins zu¬ rückzuführen versucht. Wir lernen hier den Metaphhstker Koch kennen und er¬ fahren, wie er die allgemeinsten Begriffe handhabt. Es ist eine traurige Erfahrung. Daß die Philosophie keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit hat, wenn sie Erdichtungen für ausgemachte Wahrheiten und willkürliche Worteompositiouen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/539>, abgerufen am 28.12.2024.