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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Schliemcmns Zlios.

wann und bei welchem Volte eine keramische Form zum ersten Male aufge¬
treten ist und wann sie wieder verschwunden ist, um einer höher entwickelten
oder durch Zurücksinken auf eine niedere Culturstufe roher gewordnen Platz zu
machen.

Wenn doch die Herren, die sich mit anthropologischen und verwandten
Forschungen beschäftigen, so ehrlich sein wollten, einzugestehen, daß sie noch immer
im Vorhof dieser jungen Wissenschaft stehen, daß sie noch so gut wie nichts
wissen und daß es noch Hunderte solcher Funde bedarf, wie sie Schliemann ge¬
than hat, uni ein halbwegs festes Gerüst zu zimmern, mit dessen Hilfe sie den
Bau beginnen können, Virchow scheint das sehr wohl zu empfinden, da er mit
großer Vorsicht jeder Frage nach dem Alter der Schliemanuschen Funde aus
dem Wege geht. Die Verantwortung für alles Chronologische überläßt er seinem
Freunde, der mit der Bezeichnung "prähistorisch" äußerst freigebig verfährt,

Schlicmanns eigne Arbeit unterscheidet sich von seinem ersten Buche über
Troja sehr vortheilhaft. Freilich haben nur in der deutschen Ausgabe nicht das
Original Schlicmanns, sondern nur eine Uebersetzung aus dem Englischen vor
uns, in welcher Sprache Schliemann sein Buch zuerst niedergeschrieben hat. Der
Generalstab von Gelehrten, mit welchem er sich umgeben hat, wird ihn vor
manchem der ergötzlichen Schnitzer bewahrt haben, an denen seine frühern Ar¬
beiten, selbst das Buch über Mykenae, sehr reich sind. Durch die kolossale Masse
von Anmerkungen und Citaten aus classischen und nichtelassischen Schriftstellern
hat das Werk sogar einen gelehrten Anstrich erhalten; aber man kann nicht be¬
haupten, daß es dadurch lesbarer geworden sei. L/e/a /?t/?>?.to^
So weitschweifig und ermüdend kann eben nur einer schreiben, der seine Bücher
ans eigne Kosten drucken läßt und dabei mit seinem Gelde nicht zu sparen
braucht. Jedes der abgebildeten Fundvbjeete -- es sind fast 2000 -- ist mit
einem Commentar versehen; nicht die armseligste Thvnscherbe schlüpft durch, ohne
daß ihr eine tiefsinnige Bemerkung angehängt würde. Und nicht genug damit:
auch die Unterschriften der einzelnen Abbildungen enthalten -- echt dilettantisch --
allgemeine Urtheile, wie z.B. Ur. 1452: Sonderbarer Gegenstand aus Terrn-
evtta. Ur. 1454: Sehr schöner weiblicher Kops. Ur. 1475 a, 1>: Merkwür¬
diger bronzener Schlüssel u. tgi. in. Wie ganz anders würde Schliemauns
Buch wirken, wenn er die Logik der Thatsachen für sich allein sprechen ließe n"d
seine phantastischen Exeurse nicht überall störend in die Darstellung des objectiven
Sachverhalts eingezwängt hätte. Mit wahrhaft rührender Ausdauer spannt
er sein Hissarlik und die umgebende Ebene auf das Prokrustesbett der homeri-
rischeu Gesänge. Bald muß er da ein Stück abhauen, welches über den Rand
hinausragt, hier ein Stück nusciuanderzerren, weil sich eine unausfüllbare Kluft


Schliemcmns Zlios.

wann und bei welchem Volte eine keramische Form zum ersten Male aufge¬
treten ist und wann sie wieder verschwunden ist, um einer höher entwickelten
oder durch Zurücksinken auf eine niedere Culturstufe roher gewordnen Platz zu
machen.

Wenn doch die Herren, die sich mit anthropologischen und verwandten
Forschungen beschäftigen, so ehrlich sein wollten, einzugestehen, daß sie noch immer
im Vorhof dieser jungen Wissenschaft stehen, daß sie noch so gut wie nichts
wissen und daß es noch Hunderte solcher Funde bedarf, wie sie Schliemann ge¬
than hat, uni ein halbwegs festes Gerüst zu zimmern, mit dessen Hilfe sie den
Bau beginnen können, Virchow scheint das sehr wohl zu empfinden, da er mit
großer Vorsicht jeder Frage nach dem Alter der Schliemanuschen Funde aus
dem Wege geht. Die Verantwortung für alles Chronologische überläßt er seinem
Freunde, der mit der Bezeichnung „prähistorisch" äußerst freigebig verfährt,

Schlicmanns eigne Arbeit unterscheidet sich von seinem ersten Buche über
Troja sehr vortheilhaft. Freilich haben nur in der deutschen Ausgabe nicht das
Original Schlicmanns, sondern nur eine Uebersetzung aus dem Englischen vor
uns, in welcher Sprache Schliemann sein Buch zuerst niedergeschrieben hat. Der
Generalstab von Gelehrten, mit welchem er sich umgeben hat, wird ihn vor
manchem der ergötzlichen Schnitzer bewahrt haben, an denen seine frühern Ar¬
beiten, selbst das Buch über Mykenae, sehr reich sind. Durch die kolossale Masse
von Anmerkungen und Citaten aus classischen und nichtelassischen Schriftstellern
hat das Werk sogar einen gelehrten Anstrich erhalten; aber man kann nicht be¬
haupten, daß es dadurch lesbarer geworden sei. L/e/a /?t/?>?.to^
So weitschweifig und ermüdend kann eben nur einer schreiben, der seine Bücher
ans eigne Kosten drucken läßt und dabei mit seinem Gelde nicht zu sparen
braucht. Jedes der abgebildeten Fundvbjeete — es sind fast 2000 — ist mit
einem Commentar versehen; nicht die armseligste Thvnscherbe schlüpft durch, ohne
daß ihr eine tiefsinnige Bemerkung angehängt würde. Und nicht genug damit:
auch die Unterschriften der einzelnen Abbildungen enthalten — echt dilettantisch —
allgemeine Urtheile, wie z.B. Ur. 1452: Sonderbarer Gegenstand aus Terrn-
evtta. Ur. 1454: Sehr schöner weiblicher Kops. Ur. 1475 a, 1>: Merkwür¬
diger bronzener Schlüssel u. tgi. in. Wie ganz anders würde Schliemauns
Buch wirken, wenn er die Logik der Thatsachen für sich allein sprechen ließe n»d
seine phantastischen Exeurse nicht überall störend in die Darstellung des objectiven
Sachverhalts eingezwängt hätte. Mit wahrhaft rührender Ausdauer spannt
er sein Hissarlik und die umgebende Ebene auf das Prokrustesbett der homeri-
rischeu Gesänge. Bald muß er da ein Stück abhauen, welches über den Rand
hinausragt, hier ein Stück nusciuanderzerren, weil sich eine unausfüllbare Kluft


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[0528] Schliemcmns Zlios. wann und bei welchem Volte eine keramische Form zum ersten Male aufge¬ treten ist und wann sie wieder verschwunden ist, um einer höher entwickelten oder durch Zurücksinken auf eine niedere Culturstufe roher gewordnen Platz zu machen. Wenn doch die Herren, die sich mit anthropologischen und verwandten Forschungen beschäftigen, so ehrlich sein wollten, einzugestehen, daß sie noch immer im Vorhof dieser jungen Wissenschaft stehen, daß sie noch so gut wie nichts wissen und daß es noch Hunderte solcher Funde bedarf, wie sie Schliemann ge¬ than hat, uni ein halbwegs festes Gerüst zu zimmern, mit dessen Hilfe sie den Bau beginnen können, Virchow scheint das sehr wohl zu empfinden, da er mit großer Vorsicht jeder Frage nach dem Alter der Schliemanuschen Funde aus dem Wege geht. Die Verantwortung für alles Chronologische überläßt er seinem Freunde, der mit der Bezeichnung „prähistorisch" äußerst freigebig verfährt, Schlicmanns eigne Arbeit unterscheidet sich von seinem ersten Buche über Troja sehr vortheilhaft. Freilich haben nur in der deutschen Ausgabe nicht das Original Schlicmanns, sondern nur eine Uebersetzung aus dem Englischen vor uns, in welcher Sprache Schliemann sein Buch zuerst niedergeschrieben hat. Der Generalstab von Gelehrten, mit welchem er sich umgeben hat, wird ihn vor manchem der ergötzlichen Schnitzer bewahrt haben, an denen seine frühern Ar¬ beiten, selbst das Buch über Mykenae, sehr reich sind. Durch die kolossale Masse von Anmerkungen und Citaten aus classischen und nichtelassischen Schriftstellern hat das Werk sogar einen gelehrten Anstrich erhalten; aber man kann nicht be¬ haupten, daß es dadurch lesbarer geworden sei. L/e/a /?t/?>?.to^ So weitschweifig und ermüdend kann eben nur einer schreiben, der seine Bücher ans eigne Kosten drucken läßt und dabei mit seinem Gelde nicht zu sparen braucht. Jedes der abgebildeten Fundvbjeete — es sind fast 2000 — ist mit einem Commentar versehen; nicht die armseligste Thvnscherbe schlüpft durch, ohne daß ihr eine tiefsinnige Bemerkung angehängt würde. Und nicht genug damit: auch die Unterschriften der einzelnen Abbildungen enthalten — echt dilettantisch — allgemeine Urtheile, wie z.B. Ur. 1452: Sonderbarer Gegenstand aus Terrn- evtta. Ur. 1454: Sehr schöner weiblicher Kops. Ur. 1475 a, 1>: Merkwür¬ diger bronzener Schlüssel u. tgi. in. Wie ganz anders würde Schliemauns Buch wirken, wenn er die Logik der Thatsachen für sich allein sprechen ließe n»d seine phantastischen Exeurse nicht überall störend in die Darstellung des objectiven Sachverhalts eingezwängt hätte. Mit wahrhaft rührender Ausdauer spannt er sein Hissarlik und die umgebende Ebene auf das Prokrustesbett der homeri- rischeu Gesänge. Bald muß er da ein Stück abhauen, welches über den Rand hinausragt, hier ein Stück nusciuanderzerren, weil sich eine unausfüllbare Kluft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/528>, abgerufen am 29.12.2024.