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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Schliemmnis Ilios.

zeigt. Virchow hat ihm bei der Lösung der Cardinalfmge, ob der Burgberg
von Hissarlik wirklich das Troja der Jlicide sei, macker beigestanden. Auch er
findet, daß die landschaftlichen Schilderungen Homers auf die Ebene und die Hügel
von Hissarlik Passen, kann aber nicht umhin einzugestehen, daß manche der vom
Dichter erwähnten Züge in dem Gesammtbilde dieser Landschaft fehlen. Na¬
mentlich stimmt der Lauf und der Charakter der Flüsse nicht mit der Beschreibung
Homers überein. Doch glaubt Virchow annehmen zu dürfen, daß der Stamander
im Laufe der Jahrhunderte sein Bett verändert habe. Er und Schliemann find
also genöthigt, immer noch zu gewagten Hypothesen zu greifen, um ihre Ansicht
haltbar zu machen. Schliemann ist sogar neuerdings so skeptisch geworden, daß
er, der früher fast an den einen und untheilbaren Homer geglaubt hat, jetzt
das letzte Buch der Ilias für apokryph erklärt, weil gewisse topographische An¬
deutungen desselben nicht mit seinen Entdeckungen übereinstimmen.

Es ist bezeichnend, daß die Zahl der wissenschaftlichen Gegner Schlicmanns,
welche sich zu seiner Troja-Hhvothese nicht bekennen wollen, in den letzten Jahren
gewachsen ist. Schliemann führt alle seine Gegner sehr gewissenhaft auf. Zu
den Begründern und ersten Verfechtern der "Bunarbaschi-Theorie", Lechcvalier,
Choiseul-Goufficr, Hehre und Carl Gvtthold Lenz, sind später hinzugekommen:
William Gell, Oberst Lenke, v. Prokesch-Osten, Charles Fellowes, Texier, Forch¬
hammer, Welcker, Kiepert, neuerdings, also nach den Schlicmannschen Ent¬
deckungen, Curtius, Conze und Stark, drei Zierden der archäologischen Wissen¬
schaft. Von besondern! Interesse ist, daß auch Graf Moltke sich und zwar aus
militärischen Gründen für Bunarbaschi entschieden hat. In seinen, kürzlich neu
aufgelegten "Briefen über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den
Jahren 1835--1839" sagt er darüber: "In der nähern Bestimmung weichen
die Gelehrten etwas von einander ab; wir, die wir keine Gelehrten sind, ließen
uns einfach von einem militärischen Instinkt an den Ort leiten, wo man (damals
wie heute) sich anbauen würde, wenn es gälte, eine unersteigbare Burg zu gründen."

Die Zahl derer, die sich für Schliemann erklärt haben, ist bei weitem ge¬
ringer, und ihre Namen fallen auch nicht so schwer ins Gewicht, wie die der
Gegner. Nußer einigen mecklenburgischen Gelehrten, deren Beweisführung doch
nicht ganz frei von Loealpatriotismus sein dürfte, und außer einigen fran¬
zösischen Journalisten, welche die Argumente Schlicmanns auf Treu und Glauben
angenommen haben, weiß der letztere nur folgende anzuführen: Grote, den
Verfasser der Listen ok KrsEoö, Julius Braun, den phantasievollen Autor der
"Geschichte der Kunst in ihrem Entwicklungsgang durch alle Völker der alten
Welt," den englischen Archäologen Newton, den englischen Konsul Frank Calvert,
die französischen Archäologen Emil Burnouf und Franc-vis Lcuormant und


Grenzboten 1. 1881. os
Schliemmnis Ilios.

zeigt. Virchow hat ihm bei der Lösung der Cardinalfmge, ob der Burgberg
von Hissarlik wirklich das Troja der Jlicide sei, macker beigestanden. Auch er
findet, daß die landschaftlichen Schilderungen Homers auf die Ebene und die Hügel
von Hissarlik Passen, kann aber nicht umhin einzugestehen, daß manche der vom
Dichter erwähnten Züge in dem Gesammtbilde dieser Landschaft fehlen. Na¬
mentlich stimmt der Lauf und der Charakter der Flüsse nicht mit der Beschreibung
Homers überein. Doch glaubt Virchow annehmen zu dürfen, daß der Stamander
im Laufe der Jahrhunderte sein Bett verändert habe. Er und Schliemann find
also genöthigt, immer noch zu gewagten Hypothesen zu greifen, um ihre Ansicht
haltbar zu machen. Schliemann ist sogar neuerdings so skeptisch geworden, daß
er, der früher fast an den einen und untheilbaren Homer geglaubt hat, jetzt
das letzte Buch der Ilias für apokryph erklärt, weil gewisse topographische An¬
deutungen desselben nicht mit seinen Entdeckungen übereinstimmen.

Es ist bezeichnend, daß die Zahl der wissenschaftlichen Gegner Schlicmanns,
welche sich zu seiner Troja-Hhvothese nicht bekennen wollen, in den letzten Jahren
gewachsen ist. Schliemann führt alle seine Gegner sehr gewissenhaft auf. Zu
den Begründern und ersten Verfechtern der „Bunarbaschi-Theorie", Lechcvalier,
Choiseul-Goufficr, Hehre und Carl Gvtthold Lenz, sind später hinzugekommen:
William Gell, Oberst Lenke, v. Prokesch-Osten, Charles Fellowes, Texier, Forch¬
hammer, Welcker, Kiepert, neuerdings, also nach den Schlicmannschen Ent¬
deckungen, Curtius, Conze und Stark, drei Zierden der archäologischen Wissen¬
schaft. Von besondern! Interesse ist, daß auch Graf Moltke sich und zwar aus
militärischen Gründen für Bunarbaschi entschieden hat. In seinen, kürzlich neu
aufgelegten „Briefen über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den
Jahren 1835—1839" sagt er darüber: „In der nähern Bestimmung weichen
die Gelehrten etwas von einander ab; wir, die wir keine Gelehrten sind, ließen
uns einfach von einem militärischen Instinkt an den Ort leiten, wo man (damals
wie heute) sich anbauen würde, wenn es gälte, eine unersteigbare Burg zu gründen."

Die Zahl derer, die sich für Schliemann erklärt haben, ist bei weitem ge¬
ringer, und ihre Namen fallen auch nicht so schwer ins Gewicht, wie die der
Gegner. Nußer einigen mecklenburgischen Gelehrten, deren Beweisführung doch
nicht ganz frei von Loealpatriotismus sein dürfte, und außer einigen fran¬
zösischen Journalisten, welche die Argumente Schlicmanns auf Treu und Glauben
angenommen haben, weiß der letztere nur folgende anzuführen: Grote, den
Verfasser der Listen ok KrsEoö, Julius Braun, den phantasievollen Autor der
„Geschichte der Kunst in ihrem Entwicklungsgang durch alle Völker der alten
Welt," den englischen Archäologen Newton, den englischen Konsul Frank Calvert,
die französischen Archäologen Emil Burnouf und Franc-vis Lcuormant und


Grenzboten 1. 1881. os
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[0529] Schliemmnis Ilios. zeigt. Virchow hat ihm bei der Lösung der Cardinalfmge, ob der Burgberg von Hissarlik wirklich das Troja der Jlicide sei, macker beigestanden. Auch er findet, daß die landschaftlichen Schilderungen Homers auf die Ebene und die Hügel von Hissarlik Passen, kann aber nicht umhin einzugestehen, daß manche der vom Dichter erwähnten Züge in dem Gesammtbilde dieser Landschaft fehlen. Na¬ mentlich stimmt der Lauf und der Charakter der Flüsse nicht mit der Beschreibung Homers überein. Doch glaubt Virchow annehmen zu dürfen, daß der Stamander im Laufe der Jahrhunderte sein Bett verändert habe. Er und Schliemann find also genöthigt, immer noch zu gewagten Hypothesen zu greifen, um ihre Ansicht haltbar zu machen. Schliemann ist sogar neuerdings so skeptisch geworden, daß er, der früher fast an den einen und untheilbaren Homer geglaubt hat, jetzt das letzte Buch der Ilias für apokryph erklärt, weil gewisse topographische An¬ deutungen desselben nicht mit seinen Entdeckungen übereinstimmen. Es ist bezeichnend, daß die Zahl der wissenschaftlichen Gegner Schlicmanns, welche sich zu seiner Troja-Hhvothese nicht bekennen wollen, in den letzten Jahren gewachsen ist. Schliemann führt alle seine Gegner sehr gewissenhaft auf. Zu den Begründern und ersten Verfechtern der „Bunarbaschi-Theorie", Lechcvalier, Choiseul-Goufficr, Hehre und Carl Gvtthold Lenz, sind später hinzugekommen: William Gell, Oberst Lenke, v. Prokesch-Osten, Charles Fellowes, Texier, Forch¬ hammer, Welcker, Kiepert, neuerdings, also nach den Schlicmannschen Ent¬ deckungen, Curtius, Conze und Stark, drei Zierden der archäologischen Wissen¬ schaft. Von besondern! Interesse ist, daß auch Graf Moltke sich und zwar aus militärischen Gründen für Bunarbaschi entschieden hat. In seinen, kürzlich neu aufgelegten „Briefen über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835—1839" sagt er darüber: „In der nähern Bestimmung weichen die Gelehrten etwas von einander ab; wir, die wir keine Gelehrten sind, ließen uns einfach von einem militärischen Instinkt an den Ort leiten, wo man (damals wie heute) sich anbauen würde, wenn es gälte, eine unersteigbare Burg zu gründen." Die Zahl derer, die sich für Schliemann erklärt haben, ist bei weitem ge¬ ringer, und ihre Namen fallen auch nicht so schwer ins Gewicht, wie die der Gegner. Nußer einigen mecklenburgischen Gelehrten, deren Beweisführung doch nicht ganz frei von Loealpatriotismus sein dürfte, und außer einigen fran¬ zösischen Journalisten, welche die Argumente Schlicmanns auf Treu und Glauben angenommen haben, weiß der letztere nur folgende anzuführen: Grote, den Verfasser der Listen ok KrsEoö, Julius Braun, den phantasievollen Autor der „Geschichte der Kunst in ihrem Entwicklungsgang durch alle Völker der alten Welt," den englischen Archäologen Newton, den englischen Konsul Frank Calvert, die französischen Archäologen Emil Burnouf und Franc-vis Lcuormant und Grenzboten 1. 1881. os

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/529>, abgerufen am 29.12.2024.