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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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fühlbar zu machen, reichte nun aber die Begabung des gelehrten Poeten keines¬
wegs aus; nichts kann es deutlicher als seine Arbeit veranschaulichen, wieviel
noch daran fehlt, ein Homer zu sein, selbst wenn man mit dessen Technik aufs
engste vertraut ist, seine Schilderungen, seine Gleichnisse genan nachzuzirkelu
versteht und aus der ganzen classischen Literatur die schönsten Redewendungen
zusammeutrcigt. Es fehlt die Weihe einer aus dem Stoffe hervorgegangnen
Begeisterung, für welche-die strictcste Befolgung der aristotelischen Regeln und
der Aufwand aller Kunstmittel nicht zu entschädigen vermag. Wie matt und
langweilig sind die weitschweifigen Schilderungen des byzantinischen Hoflebens,
in wie losem Zusammenhange stehen zur Haupthandlung die meisten der aus
der Ilias entlehnten Episoden, die sich wie Flittergold auf einem Bettlergewande
ausnehmen. Die farblosen, verschwommenen Engel, die fast regelmäßig aus¬
helfen müssen, um die ins Stocken gerathene Handlung wieder in Fluß zu bringen,
sind ein klägliches substitue der homerischen Gottheiten, und die im Ueberfluß
eingestreuten Reden erinnern durch ihr dcclamatorisches Pathos weit mehr an
Statius als an den Sänger der Ilias, Trotz aller antiken Fesseln jedoch, die
sich Trissino anlegt, macht er der romantischen Richtung weitgehende Concessionen,
so namentlich in dem Liebeshandel zwischen Justinus und Sophia, der sich durch
eine ganze Reihe von Gesängen hindnrchspinnt und zu allerhand romantisch auf¬
geputzten Abenteuern Veranlassung bietet, ohne indeß die Hauptaction auch uur
im geringsten zu fördern. Deu Schweiß der Arbeit läßt sich der Dichter geuugscnu
anmerken, und wenn er im Eingang des Schlußgesaugs die Musen apostvphirt:


Nun, da ich langte bei der letzten Mühe
Der mühevollen, langen Dichtung an
Durch euch und durch den göttlichen Homerus,
Der Meister mir gewesen und mein Stern:
Gefall' es euch, mir uoch so weit zu helfen,
Daß ich gelange zum ersehnten Ende,
Das nah bevorsteht --

so werden die wenigen Leser, die den Heroismus besitzen, dieses heroische Epos
auszulösen, gewiß mit dem Verfasser erleichtert ausathmen. Trissino selbst blieb
übrigens die schmerzliche Einsicht nicht erspart, daß seine Riesenarbeit eine Ver¬
lorne sei, und im Hinblick auf die Triumphe, die Ariost mit seinein Epos er¬
rang, soll er bitter geäußert haben:


Lif. witloclotw it gwruo v I'orÄ, Piimäo
?rvki In. xvima, o mein oauiiu ä'Ol'Iimäo!

Demungeachtet blieb sein Beispiel nicht ohne Nachfolge. Oliviero besang in ähn¬
licher Weise Karls V. Krieg gegen den schmalkaldischen Bund in einem aus
24 Gesängen bestehenden Epos, welches er Philipp II. von Spanien widmete,
und Alamcmni vergeudete noch in hohen Jahren sei" bedeutendes Formentaleut


fühlbar zu machen, reichte nun aber die Begabung des gelehrten Poeten keines¬
wegs aus; nichts kann es deutlicher als seine Arbeit veranschaulichen, wieviel
noch daran fehlt, ein Homer zu sein, selbst wenn man mit dessen Technik aufs
engste vertraut ist, seine Schilderungen, seine Gleichnisse genan nachzuzirkelu
versteht und aus der ganzen classischen Literatur die schönsten Redewendungen
zusammeutrcigt. Es fehlt die Weihe einer aus dem Stoffe hervorgegangnen
Begeisterung, für welche-die strictcste Befolgung der aristotelischen Regeln und
der Aufwand aller Kunstmittel nicht zu entschädigen vermag. Wie matt und
langweilig sind die weitschweifigen Schilderungen des byzantinischen Hoflebens,
in wie losem Zusammenhange stehen zur Haupthandlung die meisten der aus
der Ilias entlehnten Episoden, die sich wie Flittergold auf einem Bettlergewande
ausnehmen. Die farblosen, verschwommenen Engel, die fast regelmäßig aus¬
helfen müssen, um die ins Stocken gerathene Handlung wieder in Fluß zu bringen,
sind ein klägliches substitue der homerischen Gottheiten, und die im Ueberfluß
eingestreuten Reden erinnern durch ihr dcclamatorisches Pathos weit mehr an
Statius als an den Sänger der Ilias, Trotz aller antiken Fesseln jedoch, die
sich Trissino anlegt, macht er der romantischen Richtung weitgehende Concessionen,
so namentlich in dem Liebeshandel zwischen Justinus und Sophia, der sich durch
eine ganze Reihe von Gesängen hindnrchspinnt und zu allerhand romantisch auf¬
geputzten Abenteuern Veranlassung bietet, ohne indeß die Hauptaction auch uur
im geringsten zu fördern. Deu Schweiß der Arbeit läßt sich der Dichter geuugscnu
anmerken, und wenn er im Eingang des Schlußgesaugs die Musen apostvphirt:


Nun, da ich langte bei der letzten Mühe
Der mühevollen, langen Dichtung an
Durch euch und durch den göttlichen Homerus,
Der Meister mir gewesen und mein Stern:
Gefall' es euch, mir uoch so weit zu helfen,
Daß ich gelange zum ersehnten Ende,
Das nah bevorsteht —

so werden die wenigen Leser, die den Heroismus besitzen, dieses heroische Epos
auszulösen, gewiß mit dem Verfasser erleichtert ausathmen. Trissino selbst blieb
übrigens die schmerzliche Einsicht nicht erspart, daß seine Riesenarbeit eine Ver¬
lorne sei, und im Hinblick auf die Triumphe, die Ariost mit seinein Epos er¬
rang, soll er bitter geäußert haben:


Lif. witloclotw it gwruo v I'orÄ, Piimäo
?rvki In. xvima, o mein oauiiu ä'Ol'Iimäo!

Demungeachtet blieb sein Beispiel nicht ohne Nachfolge. Oliviero besang in ähn¬
licher Weise Karls V. Krieg gegen den schmalkaldischen Bund in einem aus
24 Gesängen bestehenden Epos, welches er Philipp II. von Spanien widmete,
und Alamcmni vergeudete noch in hohen Jahren sei» bedeutendes Formentaleut


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[0432] fühlbar zu machen, reichte nun aber die Begabung des gelehrten Poeten keines¬ wegs aus; nichts kann es deutlicher als seine Arbeit veranschaulichen, wieviel noch daran fehlt, ein Homer zu sein, selbst wenn man mit dessen Technik aufs engste vertraut ist, seine Schilderungen, seine Gleichnisse genan nachzuzirkelu versteht und aus der ganzen classischen Literatur die schönsten Redewendungen zusammeutrcigt. Es fehlt die Weihe einer aus dem Stoffe hervorgegangnen Begeisterung, für welche-die strictcste Befolgung der aristotelischen Regeln und der Aufwand aller Kunstmittel nicht zu entschädigen vermag. Wie matt und langweilig sind die weitschweifigen Schilderungen des byzantinischen Hoflebens, in wie losem Zusammenhange stehen zur Haupthandlung die meisten der aus der Ilias entlehnten Episoden, die sich wie Flittergold auf einem Bettlergewande ausnehmen. Die farblosen, verschwommenen Engel, die fast regelmäßig aus¬ helfen müssen, um die ins Stocken gerathene Handlung wieder in Fluß zu bringen, sind ein klägliches substitue der homerischen Gottheiten, und die im Ueberfluß eingestreuten Reden erinnern durch ihr dcclamatorisches Pathos weit mehr an Statius als an den Sänger der Ilias, Trotz aller antiken Fesseln jedoch, die sich Trissino anlegt, macht er der romantischen Richtung weitgehende Concessionen, so namentlich in dem Liebeshandel zwischen Justinus und Sophia, der sich durch eine ganze Reihe von Gesängen hindnrchspinnt und zu allerhand romantisch auf¬ geputzten Abenteuern Veranlassung bietet, ohne indeß die Hauptaction auch uur im geringsten zu fördern. Deu Schweiß der Arbeit läßt sich der Dichter geuugscnu anmerken, und wenn er im Eingang des Schlußgesaugs die Musen apostvphirt: Nun, da ich langte bei der letzten Mühe Der mühevollen, langen Dichtung an Durch euch und durch den göttlichen Homerus, Der Meister mir gewesen und mein Stern: Gefall' es euch, mir uoch so weit zu helfen, Daß ich gelange zum ersehnten Ende, Das nah bevorsteht — so werden die wenigen Leser, die den Heroismus besitzen, dieses heroische Epos auszulösen, gewiß mit dem Verfasser erleichtert ausathmen. Trissino selbst blieb übrigens die schmerzliche Einsicht nicht erspart, daß seine Riesenarbeit eine Ver¬ lorne sei, und im Hinblick auf die Triumphe, die Ariost mit seinein Epos er¬ rang, soll er bitter geäußert haben: Lif. witloclotw it gwruo v I'orÄ, Piimäo ?rvki In. xvima, o mein oauiiu ä'Ol'Iimäo! Demungeachtet blieb sein Beispiel nicht ohne Nachfolge. Oliviero besang in ähn¬ licher Weise Karls V. Krieg gegen den schmalkaldischen Bund in einem aus 24 Gesängen bestehenden Epos, welches er Philipp II. von Spanien widmete, und Alamcmni vergeudete noch in hohen Jahren sei» bedeutendes Formentaleut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/432>, abgerufen am 28.12.2024.