Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance,

una zu befragen, die ihm die Geheimnisse der Statur im Centrum der Erde
enthüllt, während Proteus die Umwandlungen prophezeit, die sich an die Er¬
findung der Magnetnadel knüpfend)

Auch im Bereiche des Epos gewinnen die gelehrten Studien im 16. Jahr¬
hundert mehr und mehr an Einfluß und drängen das Volksmäßige zurück. Hatte
das romantische Epos zu letzterm in enger Beziehung gestanden, indem es seine
Stoffe mit Vorliebe der populären Karlssage entnahm und durch die ironisch
gefärbte Behandlung einem specifisch italienischen Charakterzüge seinen Tribut
entrichtete, so läßt sich doch schon bei Ariost, wenn man sein Heldengedicht mit
frühern wie dem noch stark im Mittelalter wurzelnden Pulci vergleicht, die Hin¬
neigung zur gelehrten Richtung nicht verkennen. Ausschließlich von dieser geht
aber das sogenannte heroische Epos aus, welches aus dem Alterthume seine
Stoffe schöpft und nach antikem Muster bearbeitet. Schon 1491 hatte der Flo¬
rentiner Geistliche Jacopo ti Carlo ein Product dieser Art geliefert, indem er
unter dem Titel II IrvMiio eine Fortsetzung der Ilias veröffentlichte. Lodo-
vico Dolce combinirte sogar in einem einzigen Poem von nicht weniger als
5^ Gesängen den Inhalt der Ilias und der Aeneide, ohne damit freilich größern
Erfolg als sein Vorgänger zu erreichen.

Lateinisch verfaßte Epen übergehend, die wie Fallctti's "Gigantischer Krieg"
oder Lorenzo Gambaras "Columbias" historische Vorgänge behandeln, müssen
wir doch einen Blick auf die in italienischer Sprache auftretenden Erzeugnisse
der heroischen Epik werfen, unter denen des Giovanni Giorgio Trissino Mus,
lidsrM alni das erste und wichtigste ist. Eine Frucht mehr als 20jäh-
riger Arbeit, beruht das aus 27 langen Gesängen bestehende Werk auf dem
eingehendsten Studium der Alten, dessen sich der Autor in seiner Widmung an
Kaiser Karl V. mit sichtlichen: Selbstbewußtsein rühmt, nicht ohne dabei freilich
zu verrathen, wie naive Vorstellungen er von dem Wesen seiner Aufgabe hatte.
Schon die Wahl des Stoffes, der in der Hauptsache aus Procopius geschöpft
ist, muß als eine unglückliche bezeichnet werden. Denn welches Interesse kann
der Feldzug, den Justinian durch Belisar gegen die Gothen in Italien führen
ließ, für die Italiener bieten, die, wie Cereseto mit Recht hervorhebt, das gothische
Joch nur gegen das griechische eintauschten und keine andre Rolle in dem Kriege
spielten, als maßlos zu leiden und von beiden Parteien zerfleischt zu werden,
ohne aus all dem Elend auch nur den geringsten Vortheil für die Zukunft zu
ziehen? Diesen Hauptfehler durch die Kunst einer glänzenden Darstellung weniger



°) Beiläufig sei darauf hingewiesen, daß gerade diese Seite der gelehrten Dichtung im
17. und 18. Jahrhundert eifrige Nachfolge fand und noch im gegenwärtigen durch Cesare
Arni und andere cultivirt wurde.
Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance,

una zu befragen, die ihm die Geheimnisse der Statur im Centrum der Erde
enthüllt, während Proteus die Umwandlungen prophezeit, die sich an die Er¬
findung der Magnetnadel knüpfend)

Auch im Bereiche des Epos gewinnen die gelehrten Studien im 16. Jahr¬
hundert mehr und mehr an Einfluß und drängen das Volksmäßige zurück. Hatte
das romantische Epos zu letzterm in enger Beziehung gestanden, indem es seine
Stoffe mit Vorliebe der populären Karlssage entnahm und durch die ironisch
gefärbte Behandlung einem specifisch italienischen Charakterzüge seinen Tribut
entrichtete, so läßt sich doch schon bei Ariost, wenn man sein Heldengedicht mit
frühern wie dem noch stark im Mittelalter wurzelnden Pulci vergleicht, die Hin¬
neigung zur gelehrten Richtung nicht verkennen. Ausschließlich von dieser geht
aber das sogenannte heroische Epos aus, welches aus dem Alterthume seine
Stoffe schöpft und nach antikem Muster bearbeitet. Schon 1491 hatte der Flo¬
rentiner Geistliche Jacopo ti Carlo ein Product dieser Art geliefert, indem er
unter dem Titel II IrvMiio eine Fortsetzung der Ilias veröffentlichte. Lodo-
vico Dolce combinirte sogar in einem einzigen Poem von nicht weniger als
5^ Gesängen den Inhalt der Ilias und der Aeneide, ohne damit freilich größern
Erfolg als sein Vorgänger zu erreichen.

Lateinisch verfaßte Epen übergehend, die wie Fallctti's „Gigantischer Krieg"
oder Lorenzo Gambaras „Columbias" historische Vorgänge behandeln, müssen
wir doch einen Blick auf die in italienischer Sprache auftretenden Erzeugnisse
der heroischen Epik werfen, unter denen des Giovanni Giorgio Trissino Mus,
lidsrM alni das erste und wichtigste ist. Eine Frucht mehr als 20jäh-
riger Arbeit, beruht das aus 27 langen Gesängen bestehende Werk auf dem
eingehendsten Studium der Alten, dessen sich der Autor in seiner Widmung an
Kaiser Karl V. mit sichtlichen: Selbstbewußtsein rühmt, nicht ohne dabei freilich
zu verrathen, wie naive Vorstellungen er von dem Wesen seiner Aufgabe hatte.
Schon die Wahl des Stoffes, der in der Hauptsache aus Procopius geschöpft
ist, muß als eine unglückliche bezeichnet werden. Denn welches Interesse kann
der Feldzug, den Justinian durch Belisar gegen die Gothen in Italien führen
ließ, für die Italiener bieten, die, wie Cereseto mit Recht hervorhebt, das gothische
Joch nur gegen das griechische eintauschten und keine andre Rolle in dem Kriege
spielten, als maßlos zu leiden und von beiden Parteien zerfleischt zu werden,
ohne aus all dem Elend auch nur den geringsten Vortheil für die Zukunft zu
ziehen? Diesen Hauptfehler durch die Kunst einer glänzenden Darstellung weniger



°) Beiläufig sei darauf hingewiesen, daß gerade diese Seite der gelehrten Dichtung im
17. und 18. Jahrhundert eifrige Nachfolge fand und noch im gegenwärtigen durch Cesare
Arni und andere cultivirt wurde.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149415"/>
          <fw type="header" place="top"> Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1174" prev="#ID_1173"> una zu befragen, die ihm die Geheimnisse der Statur im Centrum der Erde<lb/>
enthüllt, während Proteus die Umwandlungen prophezeit, die sich an die Er¬<lb/>
findung der Magnetnadel knüpfend)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1175"> Auch im Bereiche des Epos gewinnen die gelehrten Studien im 16. Jahr¬<lb/>
hundert mehr und mehr an Einfluß und drängen das Volksmäßige zurück. Hatte<lb/>
das romantische Epos zu letzterm in enger Beziehung gestanden, indem es seine<lb/>
Stoffe mit Vorliebe der populären Karlssage entnahm und durch die ironisch<lb/>
gefärbte Behandlung einem specifisch italienischen Charakterzüge seinen Tribut<lb/>
entrichtete, so läßt sich doch schon bei Ariost, wenn man sein Heldengedicht mit<lb/>
frühern wie dem noch stark im Mittelalter wurzelnden Pulci vergleicht, die Hin¬<lb/>
neigung zur gelehrten Richtung nicht verkennen. Ausschließlich von dieser geht<lb/>
aber das sogenannte heroische Epos aus, welches aus dem Alterthume seine<lb/>
Stoffe schöpft und nach antikem Muster bearbeitet. Schon 1491 hatte der Flo¬<lb/>
rentiner Geistliche Jacopo ti Carlo ein Product dieser Art geliefert, indem er<lb/>
unter dem Titel II IrvMiio eine Fortsetzung der Ilias veröffentlichte. Lodo-<lb/>
vico Dolce combinirte sogar in einem einzigen Poem von nicht weniger als<lb/>
5^ Gesängen den Inhalt der Ilias und der Aeneide, ohne damit freilich größern<lb/>
Erfolg als sein Vorgänger zu erreichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1176" next="#ID_1177"> Lateinisch verfaßte Epen übergehend, die wie Fallctti's &#x201E;Gigantischer Krieg"<lb/>
oder Lorenzo Gambaras &#x201E;Columbias" historische Vorgänge behandeln, müssen<lb/>
wir doch einen Blick auf die in italienischer Sprache auftretenden Erzeugnisse<lb/>
der heroischen Epik werfen, unter denen des Giovanni Giorgio Trissino Mus,<lb/>
lidsrM alni das erste und wichtigste ist. Eine Frucht mehr als 20jäh-<lb/>
riger Arbeit, beruht das aus 27 langen Gesängen bestehende Werk auf dem<lb/>
eingehendsten Studium der Alten, dessen sich der Autor in seiner Widmung an<lb/>
Kaiser Karl V. mit sichtlichen: Selbstbewußtsein rühmt, nicht ohne dabei freilich<lb/>
zu verrathen, wie naive Vorstellungen er von dem Wesen seiner Aufgabe hatte.<lb/>
Schon die Wahl des Stoffes, der in der Hauptsache aus Procopius geschöpft<lb/>
ist, muß als eine unglückliche bezeichnet werden. Denn welches Interesse kann<lb/>
der Feldzug, den Justinian durch Belisar gegen die Gothen in Italien führen<lb/>
ließ, für die Italiener bieten, die, wie Cereseto mit Recht hervorhebt, das gothische<lb/>
Joch nur gegen das griechische eintauschten und keine andre Rolle in dem Kriege<lb/>
spielten, als maßlos zu leiden und von beiden Parteien zerfleischt zu werden,<lb/>
ohne aus all dem Elend auch nur den geringsten Vortheil für die Zukunft zu<lb/>
ziehen? Diesen Hauptfehler durch die Kunst einer glänzenden Darstellung weniger</p><lb/>
          <note xml:id="FID_60" place="foot"> °) Beiläufig sei darauf hingewiesen, daß gerade diese Seite der gelehrten Dichtung im<lb/>
17. und 18. Jahrhundert eifrige Nachfolge fand und noch im gegenwärtigen durch Cesare<lb/>
Arni und andere cultivirt wurde.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance, una zu befragen, die ihm die Geheimnisse der Statur im Centrum der Erde enthüllt, während Proteus die Umwandlungen prophezeit, die sich an die Er¬ findung der Magnetnadel knüpfend) Auch im Bereiche des Epos gewinnen die gelehrten Studien im 16. Jahr¬ hundert mehr und mehr an Einfluß und drängen das Volksmäßige zurück. Hatte das romantische Epos zu letzterm in enger Beziehung gestanden, indem es seine Stoffe mit Vorliebe der populären Karlssage entnahm und durch die ironisch gefärbte Behandlung einem specifisch italienischen Charakterzüge seinen Tribut entrichtete, so läßt sich doch schon bei Ariost, wenn man sein Heldengedicht mit frühern wie dem noch stark im Mittelalter wurzelnden Pulci vergleicht, die Hin¬ neigung zur gelehrten Richtung nicht verkennen. Ausschließlich von dieser geht aber das sogenannte heroische Epos aus, welches aus dem Alterthume seine Stoffe schöpft und nach antikem Muster bearbeitet. Schon 1491 hatte der Flo¬ rentiner Geistliche Jacopo ti Carlo ein Product dieser Art geliefert, indem er unter dem Titel II IrvMiio eine Fortsetzung der Ilias veröffentlichte. Lodo- vico Dolce combinirte sogar in einem einzigen Poem von nicht weniger als 5^ Gesängen den Inhalt der Ilias und der Aeneide, ohne damit freilich größern Erfolg als sein Vorgänger zu erreichen. Lateinisch verfaßte Epen übergehend, die wie Fallctti's „Gigantischer Krieg" oder Lorenzo Gambaras „Columbias" historische Vorgänge behandeln, müssen wir doch einen Blick auf die in italienischer Sprache auftretenden Erzeugnisse der heroischen Epik werfen, unter denen des Giovanni Giorgio Trissino Mus, lidsrM alni das erste und wichtigste ist. Eine Frucht mehr als 20jäh- riger Arbeit, beruht das aus 27 langen Gesängen bestehende Werk auf dem eingehendsten Studium der Alten, dessen sich der Autor in seiner Widmung an Kaiser Karl V. mit sichtlichen: Selbstbewußtsein rühmt, nicht ohne dabei freilich zu verrathen, wie naive Vorstellungen er von dem Wesen seiner Aufgabe hatte. Schon die Wahl des Stoffes, der in der Hauptsache aus Procopius geschöpft ist, muß als eine unglückliche bezeichnet werden. Denn welches Interesse kann der Feldzug, den Justinian durch Belisar gegen die Gothen in Italien führen ließ, für die Italiener bieten, die, wie Cereseto mit Recht hervorhebt, das gothische Joch nur gegen das griechische eintauschten und keine andre Rolle in dem Kriege spielten, als maßlos zu leiden und von beiden Parteien zerfleischt zu werden, ohne aus all dem Elend auch nur den geringsten Vortheil für die Zukunft zu ziehen? Diesen Hauptfehler durch die Kunst einer glänzenden Darstellung weniger °) Beiläufig sei darauf hingewiesen, daß gerade diese Seite der gelehrten Dichtung im 17. und 18. Jahrhundert eifrige Nachfolge fand und noch im gegenwärtigen durch Cesare Arni und andere cultivirt wurde.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/431>, abgerufen am 28.12.2024.