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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Der Parlamentarismus in England.

änderung hätte ein Gesetz erfordert, was nicht durch den gesetzgebenden Körper
zu bringen our. Einen Handelsvertrag konnte er nach einer aus der Charte
von 1814 übernommenen Bestimmung der Verfassung auf eigne Hand schließen
und durch eine Ordonnanz in Kraft setzen. Ein Handelsvertrag in frcihänd-
lerischer Richtung sicherte zugleich seinem Freunde Palmerston, der sich mit der
Anerkennung des Staatsstreichs sehr beeilt hatte, die vierzig und einige Stimmen,
die Bright, vom Kaiser beauftragt, spater für die Entwaffnung Englands zu
werben suchte. Man verständigte sich in Se. Cloud über folgendes: 1) Handels¬
vertrag, der im wesentlichen die englischen Zölle von französischen Lebensmitteln
aufhebt und die französischen Zölle voll gewissen englischen Fabrikaten herab¬
setzt; 2) England hält über Nizza und Savoyen den Mund. Die förmlichen
Verhandlungen wurden von Rouhcr, Laroche, Lord Cooley und Cobden geführt
und zwar so geheim, daß der Finanzminister Magne und der Generaldireetor
der Zölle nichts davon erfuhren. Madame Rouher und Madame Chevalier
fungirten dabei als Protokollführer, Registraturen und Kanzlisten, jene für die
Franzosen, diese sür die Engländer. ?ni)1lo opinioir erfuhr gar nichts. Der
Vertrag wurde am 24. Januar 1860 unterzeichnet. Die zur Ausführung des¬
selben erforderlichen Gesetze wurden im Parlamente nachher gleichzeitig mit der
Frage Nizza-Savoyen berathen. Bei den heftigen Debatten über letztere schrie
Bright: ,Hole Savoyen der Teufel!'"

Die Unmöglichkeit, das Parlament sich in die Karten sehen zu lassen, liegt
nicht bloß in dem häusig hervortretenden Gegensatze zwischen den Interessen
der herrschenden Klassen und denen des Volks, sondern auch in den Vorstellungen
der Engländer über ihr Verhältniß zu andern Völkern. Früher faßte man dieses
Verhältniß wesentlich als Rechtsverhältniß auf, die Vertragstreue war die Grund¬
lage des europäischen Friedens, Verträge zwischen Völkern wurden als heilig
angesehen. Heute werden die internationalen Verhältnisse mit Benthcim als
Sache der Zweckmäßigkeit, der Meinung betrachtet. Man bricht Vertrüge nicht
leicht, besonders, wenn sie mit einem Mächtigen abgeschlossen worden. "Aber
was nicht durch specielle Verträge untersagt ist, das hält man für erlaubt. Die
Achtung der Persönlichkeit ist unter den Staaten verschwunden. Niemand ver-
urtheilt es, daß eine Intervention, d. h. ein Eingriff in die Persönlichkeit, statt¬
findet, alle Beschwerden beziehen sich nur darauf, wie, zu welchem Zwecke sie
stattfindet, und was die eine Partei verurtheilt, billigt die andere."

"Der verfassungsmäßige Weg für die Behandlung der auswärtigen Politik
ist folgender: Der König im Geheimräthe beschließt, ob über einen bestimmten
Gegenstand Verhandlungen mit einem bestimmten Staate gepflogen werden sollen.
Der Beschluß wird unter dem Siegel des Geheinisiegelbewahrers ausgefertigt


Der Parlamentarismus in England.

änderung hätte ein Gesetz erfordert, was nicht durch den gesetzgebenden Körper
zu bringen our. Einen Handelsvertrag konnte er nach einer aus der Charte
von 1814 übernommenen Bestimmung der Verfassung auf eigne Hand schließen
und durch eine Ordonnanz in Kraft setzen. Ein Handelsvertrag in frcihänd-
lerischer Richtung sicherte zugleich seinem Freunde Palmerston, der sich mit der
Anerkennung des Staatsstreichs sehr beeilt hatte, die vierzig und einige Stimmen,
die Bright, vom Kaiser beauftragt, spater für die Entwaffnung Englands zu
werben suchte. Man verständigte sich in Se. Cloud über folgendes: 1) Handels¬
vertrag, der im wesentlichen die englischen Zölle von französischen Lebensmitteln
aufhebt und die französischen Zölle voll gewissen englischen Fabrikaten herab¬
setzt; 2) England hält über Nizza und Savoyen den Mund. Die förmlichen
Verhandlungen wurden von Rouhcr, Laroche, Lord Cooley und Cobden geführt
und zwar so geheim, daß der Finanzminister Magne und der Generaldireetor
der Zölle nichts davon erfuhren. Madame Rouher und Madame Chevalier
fungirten dabei als Protokollführer, Registraturen und Kanzlisten, jene für die
Franzosen, diese sür die Engländer. ?ni)1lo opinioir erfuhr gar nichts. Der
Vertrag wurde am 24. Januar 1860 unterzeichnet. Die zur Ausführung des¬
selben erforderlichen Gesetze wurden im Parlamente nachher gleichzeitig mit der
Frage Nizza-Savoyen berathen. Bei den heftigen Debatten über letztere schrie
Bright: ,Hole Savoyen der Teufel!'"

Die Unmöglichkeit, das Parlament sich in die Karten sehen zu lassen, liegt
nicht bloß in dem häusig hervortretenden Gegensatze zwischen den Interessen
der herrschenden Klassen und denen des Volks, sondern auch in den Vorstellungen
der Engländer über ihr Verhältniß zu andern Völkern. Früher faßte man dieses
Verhältniß wesentlich als Rechtsverhältniß auf, die Vertragstreue war die Grund¬
lage des europäischen Friedens, Verträge zwischen Völkern wurden als heilig
angesehen. Heute werden die internationalen Verhältnisse mit Benthcim als
Sache der Zweckmäßigkeit, der Meinung betrachtet. Man bricht Vertrüge nicht
leicht, besonders, wenn sie mit einem Mächtigen abgeschlossen worden. „Aber
was nicht durch specielle Verträge untersagt ist, das hält man für erlaubt. Die
Achtung der Persönlichkeit ist unter den Staaten verschwunden. Niemand ver-
urtheilt es, daß eine Intervention, d. h. ein Eingriff in die Persönlichkeit, statt¬
findet, alle Beschwerden beziehen sich nur darauf, wie, zu welchem Zwecke sie
stattfindet, und was die eine Partei verurtheilt, billigt die andere."

„Der verfassungsmäßige Weg für die Behandlung der auswärtigen Politik
ist folgender: Der König im Geheimräthe beschließt, ob über einen bestimmten
Gegenstand Verhandlungen mit einem bestimmten Staate gepflogen werden sollen.
Der Beschluß wird unter dem Siegel des Geheinisiegelbewahrers ausgefertigt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/279>, abgerufen am 28.12.2024.