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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Lapj'oui,

basirt, wurde aber durch die Ereignisse überholt. In der von Capponi ver¬
faßten Einleitung zu dem statuto vom Februar 1848 wird dasselbe ausdrücklich
in historischen Zusammenhang mit deu Bestrebungen Leopolds I. und Ferdinands 111.
gebracht. Die Volkssouveränetät, auf die andere es stützen wollten, war für
Capponi "eine legale Lüge und ein leerer Name."

In immer beschleunigterm Tempo entwickelten sich die Ereignisse. Die
Pariser Februarrevolution hatte den Nativnnlkrieg gegen Oesterreich zur unmittel¬
baren Folge. Im Juli fiel auf die Botschaft von der entscheidenden Niederlage
des italienischen Heeres bei CustvM und dein Rückzüge auf Mailand das ge¬
mäßigte Ministerium Ridvlfi in Florenz. Giuv Capponi ließ sich durch die
Bitten des Großherzogs und das Drängen der Freunde bewegen, ein neues
zu bilden, eine bald schwer bereute Thorheit für den Blinden, dem überdies
zu einem Regenten in solch wildbewegter Zeit die rasche Thatkraft und die
Stahlhärte des Charakters mangelten. Er hat uns jene Epoche in seiner Schrift:
"Ein Ministerium von 70 Tagen" selbst wahrheitsgetreu geschildert. Seine
Hauptidee war: schleuniger Friedensschluß mit Oesterreich und Bildung eines
italienischen Staatenbundes mit Verstärkung Piemonts. Vergeblich schickte er
zu ihrer Verwirklichung Speeialgesandte an alle Höfe Italiens wie der Gro߬
mächte. Weder die äußere uoch die innere Lage waren diesem Projecte günstig.
Ueberall in Italien erhob sich, von den Radicalen ausgehend, von dem politisch
kindischen Volke millionenstimmig wiederholt, das Geschrei über den Verrath an
der nationalen Sache. Ueberall siegte die extreme Partei.

An ihrer Spitze stand in Toscana der livornesische Demagog Domenico
Gnerrazzi, ein Mann von scharfem Verstände, bei dem sich fanatische Leiden¬
schaft unter äußerer Ruhe, glühender, unersättlicher Ehrgeiz unter vaterländischer
Begeisterung versteckten, nicht ohne einen Anflug von Mysticismus, wie seine
bekannten Romane beweisen, dabei doppelzüngig, ohne Glauben an Menschheit
und Gottheit, das Volk, das er doch trefflich zu leiten und aufzuregen verstand,
nicht nur im Innern tief verachtend, sondern sogar in seinen Ansprachen oft
mit wegwerfender Ironie behandelnd. "Was willst Du?" sagte er einst zu
dem ihm früher befreundeten Capponi, "meine Mutter hat mich nie geliebt,
mein Vater mir nie von Gott gesprochen -- wie konnte ich da ein anderer
werden, als ich geworden bin?"

In Verbindung mit dem Professor Montanelli von Pisa, einem eiteln,
sentimentalen Phantasten, der damals als "der Verwundete von Curtatoue"
der toscanische Volksabgvtt war, stürzte Guerrazzi das Ministerium Capponi,
und Giuv zog sich in das Privatleben zurück voll schwerer Sorgen um das
Geschick des Vaterlands wie der engern Heimat, wenn auch innerlich froh,


Giuv Lapj'oui,

basirt, wurde aber durch die Ereignisse überholt. In der von Capponi ver¬
faßten Einleitung zu dem statuto vom Februar 1848 wird dasselbe ausdrücklich
in historischen Zusammenhang mit deu Bestrebungen Leopolds I. und Ferdinands 111.
gebracht. Die Volkssouveränetät, auf die andere es stützen wollten, war für
Capponi „eine legale Lüge und ein leerer Name."

In immer beschleunigterm Tempo entwickelten sich die Ereignisse. Die
Pariser Februarrevolution hatte den Nativnnlkrieg gegen Oesterreich zur unmittel¬
baren Folge. Im Juli fiel auf die Botschaft von der entscheidenden Niederlage
des italienischen Heeres bei CustvM und dein Rückzüge auf Mailand das ge¬
mäßigte Ministerium Ridvlfi in Florenz. Giuv Capponi ließ sich durch die
Bitten des Großherzogs und das Drängen der Freunde bewegen, ein neues
zu bilden, eine bald schwer bereute Thorheit für den Blinden, dem überdies
zu einem Regenten in solch wildbewegter Zeit die rasche Thatkraft und die
Stahlhärte des Charakters mangelten. Er hat uns jene Epoche in seiner Schrift:
„Ein Ministerium von 70 Tagen" selbst wahrheitsgetreu geschildert. Seine
Hauptidee war: schleuniger Friedensschluß mit Oesterreich und Bildung eines
italienischen Staatenbundes mit Verstärkung Piemonts. Vergeblich schickte er
zu ihrer Verwirklichung Speeialgesandte an alle Höfe Italiens wie der Gro߬
mächte. Weder die äußere uoch die innere Lage waren diesem Projecte günstig.
Ueberall in Italien erhob sich, von den Radicalen ausgehend, von dem politisch
kindischen Volke millionenstimmig wiederholt, das Geschrei über den Verrath an
der nationalen Sache. Ueberall siegte die extreme Partei.

An ihrer Spitze stand in Toscana der livornesische Demagog Domenico
Gnerrazzi, ein Mann von scharfem Verstände, bei dem sich fanatische Leiden¬
schaft unter äußerer Ruhe, glühender, unersättlicher Ehrgeiz unter vaterländischer
Begeisterung versteckten, nicht ohne einen Anflug von Mysticismus, wie seine
bekannten Romane beweisen, dabei doppelzüngig, ohne Glauben an Menschheit
und Gottheit, das Volk, das er doch trefflich zu leiten und aufzuregen verstand,
nicht nur im Innern tief verachtend, sondern sogar in seinen Ansprachen oft
mit wegwerfender Ironie behandelnd. „Was willst Du?" sagte er einst zu
dem ihm früher befreundeten Capponi, „meine Mutter hat mich nie geliebt,
mein Vater mir nie von Gott gesprochen — wie konnte ich da ein anderer
werden, als ich geworden bin?"

In Verbindung mit dem Professor Montanelli von Pisa, einem eiteln,
sentimentalen Phantasten, der damals als „der Verwundete von Curtatoue"
der toscanische Volksabgvtt war, stürzte Guerrazzi das Ministerium Capponi,
und Giuv zog sich in das Privatleben zurück voll schwerer Sorgen um das
Geschick des Vaterlands wie der engern Heimat, wenn auch innerlich froh,


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[0217] Giuv Lapj'oui, basirt, wurde aber durch die Ereignisse überholt. In der von Capponi ver¬ faßten Einleitung zu dem statuto vom Februar 1848 wird dasselbe ausdrücklich in historischen Zusammenhang mit deu Bestrebungen Leopolds I. und Ferdinands 111. gebracht. Die Volkssouveränetät, auf die andere es stützen wollten, war für Capponi „eine legale Lüge und ein leerer Name." In immer beschleunigterm Tempo entwickelten sich die Ereignisse. Die Pariser Februarrevolution hatte den Nativnnlkrieg gegen Oesterreich zur unmittel¬ baren Folge. Im Juli fiel auf die Botschaft von der entscheidenden Niederlage des italienischen Heeres bei CustvM und dein Rückzüge auf Mailand das ge¬ mäßigte Ministerium Ridvlfi in Florenz. Giuv Capponi ließ sich durch die Bitten des Großherzogs und das Drängen der Freunde bewegen, ein neues zu bilden, eine bald schwer bereute Thorheit für den Blinden, dem überdies zu einem Regenten in solch wildbewegter Zeit die rasche Thatkraft und die Stahlhärte des Charakters mangelten. Er hat uns jene Epoche in seiner Schrift: „Ein Ministerium von 70 Tagen" selbst wahrheitsgetreu geschildert. Seine Hauptidee war: schleuniger Friedensschluß mit Oesterreich und Bildung eines italienischen Staatenbundes mit Verstärkung Piemonts. Vergeblich schickte er zu ihrer Verwirklichung Speeialgesandte an alle Höfe Italiens wie der Gro߬ mächte. Weder die äußere uoch die innere Lage waren diesem Projecte günstig. Ueberall in Italien erhob sich, von den Radicalen ausgehend, von dem politisch kindischen Volke millionenstimmig wiederholt, das Geschrei über den Verrath an der nationalen Sache. Ueberall siegte die extreme Partei. An ihrer Spitze stand in Toscana der livornesische Demagog Domenico Gnerrazzi, ein Mann von scharfem Verstände, bei dem sich fanatische Leiden¬ schaft unter äußerer Ruhe, glühender, unersättlicher Ehrgeiz unter vaterländischer Begeisterung versteckten, nicht ohne einen Anflug von Mysticismus, wie seine bekannten Romane beweisen, dabei doppelzüngig, ohne Glauben an Menschheit und Gottheit, das Volk, das er doch trefflich zu leiten und aufzuregen verstand, nicht nur im Innern tief verachtend, sondern sogar in seinen Ansprachen oft mit wegwerfender Ironie behandelnd. „Was willst Du?" sagte er einst zu dem ihm früher befreundeten Capponi, „meine Mutter hat mich nie geliebt, mein Vater mir nie von Gott gesprochen — wie konnte ich da ein anderer werden, als ich geworden bin?" In Verbindung mit dem Professor Montanelli von Pisa, einem eiteln, sentimentalen Phantasten, der damals als „der Verwundete von Curtatoue" der toscanische Volksabgvtt war, stürzte Guerrazzi das Ministerium Capponi, und Giuv zog sich in das Privatleben zurück voll schwerer Sorgen um das Geschick des Vaterlands wie der engern Heimat, wenn auch innerlich froh,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/217>, abgerufen am 27.12.2024.