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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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der unfruchtbaren Plage und drückenden Verantwortlichkeit seines Amtes ent¬
hoben zu sein. Wenige Monate später nöthigte das demokratische Ministerium
Guerrazzi-Montanelli den Großherzog durch seine Zumuthung, in die Wahlen
zu einer constituirenden Nationalversammlung in Rom zu willigen, zur Flucht uach
San Stefano und weiter nachGavta. Die Machthaber in Florenz waren rathlos;
im Lande herrschte, dem Charakter des Volkes entsprechend, "eine milde Anarchie."
Nach der Schlacht bei Novara plante Guerrazzi selbst die Restauration des
Großherzogs; aber am 1.1. April 1849 trieben die empörten Bürger der Haupt¬
stadt die livvrnesischen Rotten, gewissermaßen die Leibgarde des Dictators Guer¬
razzi, unter dem Rufe: "Wir wollen ehrliche Leute!" aus den Thoren. Die
Stadtbehörden übernahmen die Regierung unter Hinzuziehung hervorragender
Bürger. Der erste auf der Liste war Giuv Capponi. Er vermochte wenig zu
thun. Die Entscheidung lag bei dem Großherzoge, der schon mit den Oester¬
reichern in Unterhandlung stand? doch gelang es ihm wenigstens, Guerrazzi,
dessen Leben schwer bedroht war, zu retten. Nachdem der grvßherzvgliche Com-
missär Serristori die Regierung übernommen hatte, schloß er sich dem Proteste
gegen den Einmarsch der Oesterreicher an und zog sich, als derselbe resultatlos
blieb, vollständig von den öffentlichen Dingen zurück.

Während des folgenden Jahrzehnts der Reaction, die übrigens in Toscana,
der Tradition entsprechend, einen milden und humanen Charakter trug, trat er
nie aus dem Privatleben hervor. Dagegen war sein Palast in Florenz wie
seine Lieblingsvilla zu Varramista im untern Arnothale ein steter Sammelplatz
nicht nur in- und ausländischer Gelehrten, denen hier die liebenswürdigste Gast¬
freundschaft geboten ward, sondern auch der bedeutendsten Patrioten, welche sich
um die neue Fahne schaarten. Seine durch das eigene Leiden wie durch
die Täuschung seiner patriotischen Hoffnungen schwer gedrückte Stiimnnng wurde
in dieser Zeit durch den Tod alter treuer Freunde noch mehr getrübt. Im
Jahre 1850 starb in seinen Armen auf Varramista Giuseppe Giusti, dessen
Gedichte Paul Heyses unübertreffliche Übertragung jetzt auch in Deutschland
populär gemacht hat, dem großen Publicum in Italien nur als scharfer und
witziger Satiriker und politischer Carieaturenzeichner bekannt, doch in der That
ein echter Humorist, der von seinen eignen Dichtungen sagen durfte: "Ein
Lächeln scheint's und ist ein Zug des Schmerzes." Giuv Capponi setzte dem
Freunde, der auf dem marmorgleißenden Kirchhofe'neben der alten Basilica
von San Miniato ruht, die Grabschrift: "Der Anmuth unserer lebendigen
Sprache entlockte er eine vor ihm von keinem versuchte Form der Poesie, und
indem er mit geistvollen Witze das Laster züchtigte, ohne den Glauben an die
Tugend zu schwächen, erhob er seine Mitmenschen zum Cultus edler Empfin-


der unfruchtbaren Plage und drückenden Verantwortlichkeit seines Amtes ent¬
hoben zu sein. Wenige Monate später nöthigte das demokratische Ministerium
Guerrazzi-Montanelli den Großherzog durch seine Zumuthung, in die Wahlen
zu einer constituirenden Nationalversammlung in Rom zu willigen, zur Flucht uach
San Stefano und weiter nachGavta. Die Machthaber in Florenz waren rathlos;
im Lande herrschte, dem Charakter des Volkes entsprechend, „eine milde Anarchie."
Nach der Schlacht bei Novara plante Guerrazzi selbst die Restauration des
Großherzogs; aber am 1.1. April 1849 trieben die empörten Bürger der Haupt¬
stadt die livvrnesischen Rotten, gewissermaßen die Leibgarde des Dictators Guer¬
razzi, unter dem Rufe: „Wir wollen ehrliche Leute!" aus den Thoren. Die
Stadtbehörden übernahmen die Regierung unter Hinzuziehung hervorragender
Bürger. Der erste auf der Liste war Giuv Capponi. Er vermochte wenig zu
thun. Die Entscheidung lag bei dem Großherzoge, der schon mit den Oester¬
reichern in Unterhandlung stand? doch gelang es ihm wenigstens, Guerrazzi,
dessen Leben schwer bedroht war, zu retten. Nachdem der grvßherzvgliche Com-
missär Serristori die Regierung übernommen hatte, schloß er sich dem Proteste
gegen den Einmarsch der Oesterreicher an und zog sich, als derselbe resultatlos
blieb, vollständig von den öffentlichen Dingen zurück.

Während des folgenden Jahrzehnts der Reaction, die übrigens in Toscana,
der Tradition entsprechend, einen milden und humanen Charakter trug, trat er
nie aus dem Privatleben hervor. Dagegen war sein Palast in Florenz wie
seine Lieblingsvilla zu Varramista im untern Arnothale ein steter Sammelplatz
nicht nur in- und ausländischer Gelehrten, denen hier die liebenswürdigste Gast¬
freundschaft geboten ward, sondern auch der bedeutendsten Patrioten, welche sich
um die neue Fahne schaarten. Seine durch das eigene Leiden wie durch
die Täuschung seiner patriotischen Hoffnungen schwer gedrückte Stiimnnng wurde
in dieser Zeit durch den Tod alter treuer Freunde noch mehr getrübt. Im
Jahre 1850 starb in seinen Armen auf Varramista Giuseppe Giusti, dessen
Gedichte Paul Heyses unübertreffliche Übertragung jetzt auch in Deutschland
populär gemacht hat, dem großen Publicum in Italien nur als scharfer und
witziger Satiriker und politischer Carieaturenzeichner bekannt, doch in der That
ein echter Humorist, der von seinen eignen Dichtungen sagen durfte: „Ein
Lächeln scheint's und ist ein Zug des Schmerzes." Giuv Capponi setzte dem
Freunde, der auf dem marmorgleißenden Kirchhofe'neben der alten Basilica
von San Miniato ruht, die Grabschrift: „Der Anmuth unserer lebendigen
Sprache entlockte er eine vor ihm von keinem versuchte Form der Poesie, und
indem er mit geistvollen Witze das Laster züchtigte, ohne den Glauben an die
Tugend zu schwächen, erhob er seine Mitmenschen zum Cultus edler Empfin-


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[0218] der unfruchtbaren Plage und drückenden Verantwortlichkeit seines Amtes ent¬ hoben zu sein. Wenige Monate später nöthigte das demokratische Ministerium Guerrazzi-Montanelli den Großherzog durch seine Zumuthung, in die Wahlen zu einer constituirenden Nationalversammlung in Rom zu willigen, zur Flucht uach San Stefano und weiter nachGavta. Die Machthaber in Florenz waren rathlos; im Lande herrschte, dem Charakter des Volkes entsprechend, „eine milde Anarchie." Nach der Schlacht bei Novara plante Guerrazzi selbst die Restauration des Großherzogs; aber am 1.1. April 1849 trieben die empörten Bürger der Haupt¬ stadt die livvrnesischen Rotten, gewissermaßen die Leibgarde des Dictators Guer¬ razzi, unter dem Rufe: „Wir wollen ehrliche Leute!" aus den Thoren. Die Stadtbehörden übernahmen die Regierung unter Hinzuziehung hervorragender Bürger. Der erste auf der Liste war Giuv Capponi. Er vermochte wenig zu thun. Die Entscheidung lag bei dem Großherzoge, der schon mit den Oester¬ reichern in Unterhandlung stand? doch gelang es ihm wenigstens, Guerrazzi, dessen Leben schwer bedroht war, zu retten. Nachdem der grvßherzvgliche Com- missär Serristori die Regierung übernommen hatte, schloß er sich dem Proteste gegen den Einmarsch der Oesterreicher an und zog sich, als derselbe resultatlos blieb, vollständig von den öffentlichen Dingen zurück. Während des folgenden Jahrzehnts der Reaction, die übrigens in Toscana, der Tradition entsprechend, einen milden und humanen Charakter trug, trat er nie aus dem Privatleben hervor. Dagegen war sein Palast in Florenz wie seine Lieblingsvilla zu Varramista im untern Arnothale ein steter Sammelplatz nicht nur in- und ausländischer Gelehrten, denen hier die liebenswürdigste Gast¬ freundschaft geboten ward, sondern auch der bedeutendsten Patrioten, welche sich um die neue Fahne schaarten. Seine durch das eigene Leiden wie durch die Täuschung seiner patriotischen Hoffnungen schwer gedrückte Stiimnnng wurde in dieser Zeit durch den Tod alter treuer Freunde noch mehr getrübt. Im Jahre 1850 starb in seinen Armen auf Varramista Giuseppe Giusti, dessen Gedichte Paul Heyses unübertreffliche Übertragung jetzt auch in Deutschland populär gemacht hat, dem großen Publicum in Italien nur als scharfer und witziger Satiriker und politischer Carieaturenzeichner bekannt, doch in der That ein echter Humorist, der von seinen eignen Dichtungen sagen durfte: „Ein Lächeln scheint's und ist ein Zug des Schmerzes." Giuv Capponi setzte dem Freunde, der auf dem marmorgleißenden Kirchhofe'neben der alten Basilica von San Miniato ruht, die Grabschrift: „Der Anmuth unserer lebendigen Sprache entlockte er eine vor ihm von keinem versuchte Form der Poesie, und indem er mit geistvollen Witze das Laster züchtigte, ohne den Glauben an die Tugend zu schwächen, erhob er seine Mitmenschen zum Cultus edler Empfin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/218>, abgerufen am 27.12.2024.