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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Capplini,

liebe Entwicklung der modernen Menschheit nachweisen wollte. Theils in seiner
geistigen Eigeuthiimlichkeit liegende Gründe, ans die wir noch später zurück¬
kommen werden, theils seine frühe Erblindung ließen beide vielversprechende
Werke nicht zur Vollendung gelangen.

Schon in der Mitte der dreißiger Jahre zeigten sich bei ihm die Spuren
eines allmählich immer bedenklicher werdenden Augenleidens. Als er, zugleich
leberkrank, im Sommer 1837 Carlsbad besuchen und von hier nach Berlin
reisen wollte, um Verbindungen mit deutschen Gelehrten zur Förderung seiner
historischen Studien anzuknüpfen, verweigerte ihm die österreichische Polizei die
Überschreitung der Grenze: er stand zu seiner eignen Verwunderung allzusehr
im Gerüche eiues verdächtigen Liberalen, Erst im Frühling 1841 kam er
wieder nach Deutschland, wo er bei Walter in München Hilfe für sein weit
vorgeschrittenes Augenleiden suchte und mit den namhaftesten Gelehrten, wie
Schelling und Görres, Thiersch und Döllinger verkehrte. Aber die Hoffnung,
daß es der Kunst der dentschen Aerzte gelingen würde, ihm die schwindende
Sehkraft wiederzugeben oder doch den vorhandenen Rest zu erhalten, wurde
getäuscht. Mehr und mehr verdichtete sich die ihn umgebende Finsterniß, im
Jahre 1844 erlosch ihm der letzte Schimmer des Lichtes. So lange irgend
eine Möglichkeit vorhanden war, lehnte er, zuweilen nicht ohne Gefahr und
schwere Sorge für die Seinen, jede Unterstützung und Führung ab. Die end¬
liche Ergebung in äußere Abhängigkeit war seiner durchaus auf äußere wie
innere Selbständigkeit angelegten Natur eine furchtbar schwere, nie ganz rein
gelöste Aufgabe. Und doch war er vor den meisten von gleichen: Unglück be¬
troffenen hoch bevorzugt durch sein wunderbares Gedächtniß, das ihm nicht
nur den reichen Vorrath des geistig erworbenen bis an sein Lebensende be¬
wahrte, sondern ihm auch gestattete, durch Vorgelesenes und Erzähltes seinen
Wissensschatz unablässig dauernd zu bereichern.

Häusliche Unglücksfälle, der Tod der geliebten Mutter und einer der beiden
Töchter, die schwere Krankheit der andern, trugen dazu bei, sein Gemüth noch
mehr zu verdüstern. Da erschienen in der Mitte der vierziger Jahre die ersten
Vorzeichen einer neuen Zeit am politischen Horizonte Italiens. Balbvs "Hoff¬
nungen Italiens", Givbertis Buch "von dem bürgerlichen und moralischen
Primat der Italiener", des ^nvnwio toad-rräo (Luigi Torelli) "Gedanken
über Italien", welche verkündeten, daß der nationale Gedanke in den edelsten
Patrioten neue Kraft und Gestalt gewinne, und zugleich die ersten Zeichen Ware",
daß sich zwischen den revolutionären und republieanisch gesinnten Sectirern
einerseits, den reactionären und antinationalen Regierungen andererseits eine neue
Partei bilde, erregten ungeheures Aufsehen! jede dieser Schriften war ein Er-


Giuv Capplini,

liebe Entwicklung der modernen Menschheit nachweisen wollte. Theils in seiner
geistigen Eigeuthiimlichkeit liegende Gründe, ans die wir noch später zurück¬
kommen werden, theils seine frühe Erblindung ließen beide vielversprechende
Werke nicht zur Vollendung gelangen.

Schon in der Mitte der dreißiger Jahre zeigten sich bei ihm die Spuren
eines allmählich immer bedenklicher werdenden Augenleidens. Als er, zugleich
leberkrank, im Sommer 1837 Carlsbad besuchen und von hier nach Berlin
reisen wollte, um Verbindungen mit deutschen Gelehrten zur Förderung seiner
historischen Studien anzuknüpfen, verweigerte ihm die österreichische Polizei die
Überschreitung der Grenze: er stand zu seiner eignen Verwunderung allzusehr
im Gerüche eiues verdächtigen Liberalen, Erst im Frühling 1841 kam er
wieder nach Deutschland, wo er bei Walter in München Hilfe für sein weit
vorgeschrittenes Augenleiden suchte und mit den namhaftesten Gelehrten, wie
Schelling und Görres, Thiersch und Döllinger verkehrte. Aber die Hoffnung,
daß es der Kunst der dentschen Aerzte gelingen würde, ihm die schwindende
Sehkraft wiederzugeben oder doch den vorhandenen Rest zu erhalten, wurde
getäuscht. Mehr und mehr verdichtete sich die ihn umgebende Finsterniß, im
Jahre 1844 erlosch ihm der letzte Schimmer des Lichtes. So lange irgend
eine Möglichkeit vorhanden war, lehnte er, zuweilen nicht ohne Gefahr und
schwere Sorge für die Seinen, jede Unterstützung und Führung ab. Die end¬
liche Ergebung in äußere Abhängigkeit war seiner durchaus auf äußere wie
innere Selbständigkeit angelegten Natur eine furchtbar schwere, nie ganz rein
gelöste Aufgabe. Und doch war er vor den meisten von gleichen: Unglück be¬
troffenen hoch bevorzugt durch sein wunderbares Gedächtniß, das ihm nicht
nur den reichen Vorrath des geistig erworbenen bis an sein Lebensende be¬
wahrte, sondern ihm auch gestattete, durch Vorgelesenes und Erzähltes seinen
Wissensschatz unablässig dauernd zu bereichern.

Häusliche Unglücksfälle, der Tod der geliebten Mutter und einer der beiden
Töchter, die schwere Krankheit der andern, trugen dazu bei, sein Gemüth noch
mehr zu verdüstern. Da erschienen in der Mitte der vierziger Jahre die ersten
Vorzeichen einer neuen Zeit am politischen Horizonte Italiens. Balbvs „Hoff¬
nungen Italiens", Givbertis Buch „von dem bürgerlichen und moralischen
Primat der Italiener", des ^nvnwio toad-rräo (Luigi Torelli) „Gedanken
über Italien", welche verkündeten, daß der nationale Gedanke in den edelsten
Patrioten neue Kraft und Gestalt gewinne, und zugleich die ersten Zeichen Ware»,
daß sich zwischen den revolutionären und republieanisch gesinnten Sectirern
einerseits, den reactionären und antinationalen Regierungen andererseits eine neue
Partei bilde, erregten ungeheures Aufsehen! jede dieser Schriften war ein Er-


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[0215] Giuv Capplini, liebe Entwicklung der modernen Menschheit nachweisen wollte. Theils in seiner geistigen Eigeuthiimlichkeit liegende Gründe, ans die wir noch später zurück¬ kommen werden, theils seine frühe Erblindung ließen beide vielversprechende Werke nicht zur Vollendung gelangen. Schon in der Mitte der dreißiger Jahre zeigten sich bei ihm die Spuren eines allmählich immer bedenklicher werdenden Augenleidens. Als er, zugleich leberkrank, im Sommer 1837 Carlsbad besuchen und von hier nach Berlin reisen wollte, um Verbindungen mit deutschen Gelehrten zur Förderung seiner historischen Studien anzuknüpfen, verweigerte ihm die österreichische Polizei die Überschreitung der Grenze: er stand zu seiner eignen Verwunderung allzusehr im Gerüche eiues verdächtigen Liberalen, Erst im Frühling 1841 kam er wieder nach Deutschland, wo er bei Walter in München Hilfe für sein weit vorgeschrittenes Augenleiden suchte und mit den namhaftesten Gelehrten, wie Schelling und Görres, Thiersch und Döllinger verkehrte. Aber die Hoffnung, daß es der Kunst der dentschen Aerzte gelingen würde, ihm die schwindende Sehkraft wiederzugeben oder doch den vorhandenen Rest zu erhalten, wurde getäuscht. Mehr und mehr verdichtete sich die ihn umgebende Finsterniß, im Jahre 1844 erlosch ihm der letzte Schimmer des Lichtes. So lange irgend eine Möglichkeit vorhanden war, lehnte er, zuweilen nicht ohne Gefahr und schwere Sorge für die Seinen, jede Unterstützung und Führung ab. Die end¬ liche Ergebung in äußere Abhängigkeit war seiner durchaus auf äußere wie innere Selbständigkeit angelegten Natur eine furchtbar schwere, nie ganz rein gelöste Aufgabe. Und doch war er vor den meisten von gleichen: Unglück be¬ troffenen hoch bevorzugt durch sein wunderbares Gedächtniß, das ihm nicht nur den reichen Vorrath des geistig erworbenen bis an sein Lebensende be¬ wahrte, sondern ihm auch gestattete, durch Vorgelesenes und Erzähltes seinen Wissensschatz unablässig dauernd zu bereichern. Häusliche Unglücksfälle, der Tod der geliebten Mutter und einer der beiden Töchter, die schwere Krankheit der andern, trugen dazu bei, sein Gemüth noch mehr zu verdüstern. Da erschienen in der Mitte der vierziger Jahre die ersten Vorzeichen einer neuen Zeit am politischen Horizonte Italiens. Balbvs „Hoff¬ nungen Italiens", Givbertis Buch „von dem bürgerlichen und moralischen Primat der Italiener", des ^nvnwio toad-rräo (Luigi Torelli) „Gedanken über Italien", welche verkündeten, daß der nationale Gedanke in den edelsten Patrioten neue Kraft und Gestalt gewinne, und zugleich die ersten Zeichen Ware», daß sich zwischen den revolutionären und republieanisch gesinnten Sectirern einerseits, den reactionären und antinationalen Regierungen andererseits eine neue Partei bilde, erregten ungeheures Aufsehen! jede dieser Schriften war ein Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/215>, abgerufen am 27.12.2024.