Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Parlamentarismus in England.

alles. "Georgs III. Versuch, eine andere Stellung zu gewinnen, mißlang, weil
die unumschränkte Gewalt, nach der er strebte, ebenso verfassungswidrig wie
die Stellung des Cabinets war. Anstatt zu dem Geheimrath zurückzukehren,
dessen Befugnisse durch kein Gesetz aufgehoben sind, wollte er das Ccibinet zu
einem Werkzeuge des Despotismus machen." Die beiden folgenden Könige
dachten nicht daran, die Prärogative der Krone wiederherzustellen. Die Königin
Victoria aber nahm den Kampf wieder auf und hatte, als Bucher schrieb, schon
zwei Siege erfochtein sie hatte ihre Weigerung durchgesetzt, die Hofdamen mit
dem Ministerium zu wechseln, und sie hatte 1851 Lord Palmerston aus dem
Ministerium entfernt. Sie ist überhaupt einflußreicher gewesen, als mancher
glaubt. Wer den Deutschen die englische Verfassung und die den Liberalen be¬
gehrenswerthe Omnipotenz des Parlaments rühmen will, der sollte "Das Leben
des Prinzen-Gemahls" von Martin gelesen haben, und wer seit dem Erscheine!,
des dritten Bandes dieses Werks noch des Glaubens lebt, daß der englische
Souverän eine Puppe oder ein Petschaft in der Hand der Minister sei, der
macht sich einfach lächerlich.

Sobald das Parlament die Controle des Volks und der Krone abgeschüttelt,
entwickelte es seine Pvlypennatur sehr schnell. Es nahm die Befugniß in An¬
spruch, jedes Gesetz zu ändern, stellte sich also über das Gesetz, und das Man¬
datsverhältniß trat immer mehr zurück gegen das eigne Interesse. Die Lehre
von der Allgewalt des Parlaments kam ans, und dasselbe war jetzt um so
weniger geneigt, den Kreis der Berechtigten, der Wählbaren und der Wähler,
zu erweitern. Für die Grafschaften hatte eine Acte von 1430 das ungemeine
Wahlrecht auf die I^Löllvlclör mit wenigstens 40 Shilling Einkommen be¬
schränkt, deren Zahl sich -- 1685 noch etwa 160,000 -- vorzüglich durch die
Neigung der Großgrundbesitzer, sich abzurunden, fortwährend verringerte. "An
die Stelle der aufgekauften Eigenthümer traten Pächter, die kein Wahlrecht
hatten." In den Städten wiederholte sich im kleinen, was das Parlament im
großen that. "Die Gemeindevertretungen sperrten sich ab. Zt^wis I^vo über¬
wucherte das gemeine Recht. Die Gewalt concentrirte sich in Zünften und
andern Cliquen. Die Klassen der Wahlberechtigten sanken durch die Veränderung
der wirtschaftlichen Verhältnisse, und neu entstandene Klassen waren aus¬
geschlossen. Die Regel, daß der König jede Stadt durch Vertreter um Parla¬
ment thciliiehmen lassen konnte, war längst außer Uebung gekommen. . . Das
Unterhaus vertrat weder Personen, noch Flächen, noch wirthschaftliche Gruppen,
noch Vermögen, sondern ein barockes Durcheinander von zufälligen Interessen,
in denen der Grundbesitz überwog." Vor der Reformbill hatten die 144 Peers
der drei Königreiche 300, das Ministerium 16 Plätze im Unterhause zu ver-


Der Parlamentarismus in England.

alles. „Georgs III. Versuch, eine andere Stellung zu gewinnen, mißlang, weil
die unumschränkte Gewalt, nach der er strebte, ebenso verfassungswidrig wie
die Stellung des Cabinets war. Anstatt zu dem Geheimrath zurückzukehren,
dessen Befugnisse durch kein Gesetz aufgehoben sind, wollte er das Ccibinet zu
einem Werkzeuge des Despotismus machen." Die beiden folgenden Könige
dachten nicht daran, die Prärogative der Krone wiederherzustellen. Die Königin
Victoria aber nahm den Kampf wieder auf und hatte, als Bucher schrieb, schon
zwei Siege erfochtein sie hatte ihre Weigerung durchgesetzt, die Hofdamen mit
dem Ministerium zu wechseln, und sie hatte 1851 Lord Palmerston aus dem
Ministerium entfernt. Sie ist überhaupt einflußreicher gewesen, als mancher
glaubt. Wer den Deutschen die englische Verfassung und die den Liberalen be¬
gehrenswerthe Omnipotenz des Parlaments rühmen will, der sollte „Das Leben
des Prinzen-Gemahls" von Martin gelesen haben, und wer seit dem Erscheine!,
des dritten Bandes dieses Werks noch des Glaubens lebt, daß der englische
Souverän eine Puppe oder ein Petschaft in der Hand der Minister sei, der
macht sich einfach lächerlich.

Sobald das Parlament die Controle des Volks und der Krone abgeschüttelt,
entwickelte es seine Pvlypennatur sehr schnell. Es nahm die Befugniß in An¬
spruch, jedes Gesetz zu ändern, stellte sich also über das Gesetz, und das Man¬
datsverhältniß trat immer mehr zurück gegen das eigne Interesse. Die Lehre
von der Allgewalt des Parlaments kam ans, und dasselbe war jetzt um so
weniger geneigt, den Kreis der Berechtigten, der Wählbaren und der Wähler,
zu erweitern. Für die Grafschaften hatte eine Acte von 1430 das ungemeine
Wahlrecht auf die I^Löllvlclör mit wenigstens 40 Shilling Einkommen be¬
schränkt, deren Zahl sich — 1685 noch etwa 160,000 — vorzüglich durch die
Neigung der Großgrundbesitzer, sich abzurunden, fortwährend verringerte. „An
die Stelle der aufgekauften Eigenthümer traten Pächter, die kein Wahlrecht
hatten." In den Städten wiederholte sich im kleinen, was das Parlament im
großen that. „Die Gemeindevertretungen sperrten sich ab. Zt^wis I^vo über¬
wucherte das gemeine Recht. Die Gewalt concentrirte sich in Zünften und
andern Cliquen. Die Klassen der Wahlberechtigten sanken durch die Veränderung
der wirtschaftlichen Verhältnisse, und neu entstandene Klassen waren aus¬
geschlossen. Die Regel, daß der König jede Stadt durch Vertreter um Parla¬
ment thciliiehmen lassen konnte, war längst außer Uebung gekommen. . . Das
Unterhaus vertrat weder Personen, noch Flächen, noch wirthschaftliche Gruppen,
noch Vermögen, sondern ein barockes Durcheinander von zufälligen Interessen,
in denen der Grundbesitz überwog." Vor der Reformbill hatten die 144 Peers
der drei Königreiche 300, das Ministerium 16 Plätze im Unterhause zu ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149188"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Parlamentarismus in England.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_555" prev="#ID_554"> alles. &#x201E;Georgs III. Versuch, eine andere Stellung zu gewinnen, mißlang, weil<lb/>
die unumschränkte Gewalt, nach der er strebte, ebenso verfassungswidrig wie<lb/>
die Stellung des Cabinets war. Anstatt zu dem Geheimrath zurückzukehren,<lb/>
dessen Befugnisse durch kein Gesetz aufgehoben sind, wollte er das Ccibinet zu<lb/>
einem Werkzeuge des Despotismus machen." Die beiden folgenden Könige<lb/>
dachten nicht daran, die Prärogative der Krone wiederherzustellen. Die Königin<lb/>
Victoria aber nahm den Kampf wieder auf und hatte, als Bucher schrieb, schon<lb/>
zwei Siege erfochtein sie hatte ihre Weigerung durchgesetzt, die Hofdamen mit<lb/>
dem Ministerium zu wechseln, und sie hatte 1851 Lord Palmerston aus dem<lb/>
Ministerium entfernt. Sie ist überhaupt einflußreicher gewesen, als mancher<lb/>
glaubt. Wer den Deutschen die englische Verfassung und die den Liberalen be¬<lb/>
gehrenswerthe Omnipotenz des Parlaments rühmen will, der sollte &#x201E;Das Leben<lb/>
des Prinzen-Gemahls" von Martin gelesen haben, und wer seit dem Erscheine!,<lb/>
des dritten Bandes dieses Werks noch des Glaubens lebt, daß der englische<lb/>
Souverän eine Puppe oder ein Petschaft in der Hand der Minister sei, der<lb/>
macht sich einfach lächerlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_556" next="#ID_557"> Sobald das Parlament die Controle des Volks und der Krone abgeschüttelt,<lb/>
entwickelte es seine Pvlypennatur sehr schnell. Es nahm die Befugniß in An¬<lb/>
spruch, jedes Gesetz zu ändern, stellte sich also über das Gesetz, und das Man¬<lb/>
datsverhältniß trat immer mehr zurück gegen das eigne Interesse. Die Lehre<lb/>
von der Allgewalt des Parlaments kam ans, und dasselbe war jetzt um so<lb/>
weniger geneigt, den Kreis der Berechtigten, der Wählbaren und der Wähler,<lb/>
zu erweitern. Für die Grafschaften hatte eine Acte von 1430 das ungemeine<lb/>
Wahlrecht auf die I^Löllvlclör mit wenigstens 40 Shilling Einkommen be¬<lb/>
schränkt, deren Zahl sich &#x2014; 1685 noch etwa 160,000 &#x2014; vorzüglich durch die<lb/>
Neigung der Großgrundbesitzer, sich abzurunden, fortwährend verringerte. &#x201E;An<lb/>
die Stelle der aufgekauften Eigenthümer traten Pächter, die kein Wahlrecht<lb/>
hatten." In den Städten wiederholte sich im kleinen, was das Parlament im<lb/>
großen that. &#x201E;Die Gemeindevertretungen sperrten sich ab. Zt^wis I^vo über¬<lb/>
wucherte das gemeine Recht. Die Gewalt concentrirte sich in Zünften und<lb/>
andern Cliquen. Die Klassen der Wahlberechtigten sanken durch die Veränderung<lb/>
der wirtschaftlichen Verhältnisse, und neu entstandene Klassen waren aus¬<lb/>
geschlossen. Die Regel, daß der König jede Stadt durch Vertreter um Parla¬<lb/>
ment thciliiehmen lassen konnte, war längst außer Uebung gekommen. . . Das<lb/>
Unterhaus vertrat weder Personen, noch Flächen, noch wirthschaftliche Gruppen,<lb/>
noch Vermögen, sondern ein barockes Durcheinander von zufälligen Interessen,<lb/>
in denen der Grundbesitz überwog." Vor der Reformbill hatten die 144 Peers<lb/>
der drei Königreiche 300, das Ministerium 16 Plätze im Unterhause zu ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0204] Der Parlamentarismus in England. alles. „Georgs III. Versuch, eine andere Stellung zu gewinnen, mißlang, weil die unumschränkte Gewalt, nach der er strebte, ebenso verfassungswidrig wie die Stellung des Cabinets war. Anstatt zu dem Geheimrath zurückzukehren, dessen Befugnisse durch kein Gesetz aufgehoben sind, wollte er das Ccibinet zu einem Werkzeuge des Despotismus machen." Die beiden folgenden Könige dachten nicht daran, die Prärogative der Krone wiederherzustellen. Die Königin Victoria aber nahm den Kampf wieder auf und hatte, als Bucher schrieb, schon zwei Siege erfochtein sie hatte ihre Weigerung durchgesetzt, die Hofdamen mit dem Ministerium zu wechseln, und sie hatte 1851 Lord Palmerston aus dem Ministerium entfernt. Sie ist überhaupt einflußreicher gewesen, als mancher glaubt. Wer den Deutschen die englische Verfassung und die den Liberalen be¬ gehrenswerthe Omnipotenz des Parlaments rühmen will, der sollte „Das Leben des Prinzen-Gemahls" von Martin gelesen haben, und wer seit dem Erscheine!, des dritten Bandes dieses Werks noch des Glaubens lebt, daß der englische Souverän eine Puppe oder ein Petschaft in der Hand der Minister sei, der macht sich einfach lächerlich. Sobald das Parlament die Controle des Volks und der Krone abgeschüttelt, entwickelte es seine Pvlypennatur sehr schnell. Es nahm die Befugniß in An¬ spruch, jedes Gesetz zu ändern, stellte sich also über das Gesetz, und das Man¬ datsverhältniß trat immer mehr zurück gegen das eigne Interesse. Die Lehre von der Allgewalt des Parlaments kam ans, und dasselbe war jetzt um so weniger geneigt, den Kreis der Berechtigten, der Wählbaren und der Wähler, zu erweitern. Für die Grafschaften hatte eine Acte von 1430 das ungemeine Wahlrecht auf die I^Löllvlclör mit wenigstens 40 Shilling Einkommen be¬ schränkt, deren Zahl sich — 1685 noch etwa 160,000 — vorzüglich durch die Neigung der Großgrundbesitzer, sich abzurunden, fortwährend verringerte. „An die Stelle der aufgekauften Eigenthümer traten Pächter, die kein Wahlrecht hatten." In den Städten wiederholte sich im kleinen, was das Parlament im großen that. „Die Gemeindevertretungen sperrten sich ab. Zt^wis I^vo über¬ wucherte das gemeine Recht. Die Gewalt concentrirte sich in Zünften und andern Cliquen. Die Klassen der Wahlberechtigten sanken durch die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, und neu entstandene Klassen waren aus¬ geschlossen. Die Regel, daß der König jede Stadt durch Vertreter um Parla¬ ment thciliiehmen lassen konnte, war längst außer Uebung gekommen. . . Das Unterhaus vertrat weder Personen, noch Flächen, noch wirthschaftliche Gruppen, noch Vermögen, sondern ein barockes Durcheinander von zufälligen Interessen, in denen der Grundbesitz überwog." Vor der Reformbill hatten die 144 Peers der drei Königreiche 300, das Ministerium 16 Plätze im Unterhause zu ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/204
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/204>, abgerufen am 27.12.2024.