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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Der Parlamentarismus in England.

das Vortrauen des Hauses oder, wie man der Höflichkeit halber sagt, des Landes.
Das Mißtrauensvotum wirkt, denn es besteht die stillschweigende Verabredung,
daß es wirken soll. Es heißt: Stehen Sie gefälligst von der Ministerbank
auf, bis Sie wieder an die Reihe kommen. Die Phrase ist doppelt glücklich.
Sie beseitigt die Verantwortlichkeit und bringt dem Volke die Vorstellung bei,
daß es Vertrauen -- und zwar ohne Gründe -- haben müsse, so lange das
Mißtrauen nicht ausgesprochen worden . . . Das Vertrauen verwandelte die
Verantwortlichkeit der höchsten Staatsbeamten vor dem jedermann bekannten
Gesetze in eine von der Laune und den Cliquenintcressen des Parlaments dic-
tirte Phrase . . . Wenn jetzt ein Minister aufsteht und von seiner Verantwort¬
lichkeit redet, so muß man die Herrschaft bewundern, die allerseits über die
Lnchmuskcln bewahrt wird."

"Nachdem die Controle des Parlaments durch das Volk und die durch
den Strafrichter beseitigt war, blieb noch eine dritte übrig, die dnrch die Krone.
Auch sie wurde zerstört durch die zweite Revolution von 1688 , , . Nach der
alten Verfassung konnte der König seine Minister wählen und entlassen, wie
er wollte, gleichviel, ob sie das Vertrauen des Parlaments hatten, und das
Parlament sollte sie für Rechtsverletzung strafen, gleichviel, ob sie das Ver¬
trauen des Königs genossen. Den Whigs gefiel es besser, nicht von dem
Könige ernannt und nicht vom Parlamente zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Das Mittel, durch welches sie den doppelten Zweck erreichten, war das
Cabinet."

Karl 1. berieth sich nicht mit dem Geheimräthe, der Versammlung aller
hohen Beamten, sondern mit einem kleinen Kreise von Vertrauten, die er in
sein Cabinet berief -- angeblich, weil das Geheimniß so besser gewahrt blieb,
in Wahrheit, weil er Dinge trieb, die das Licht scheuten. Unter Wilhelm III.
wurde dies Regel, obgleich es im Parlament nicht an Widerspruch fehlte.
Das Bestreben der hannoverschen Dynastie, sich nur mit ihren Anhängern zu
umgeben, und der hilflose Zustand der beiden ersten George befestigten die
Stellung des Cabinets und drückten den Geheimrath immer mehr zu einer
leeren Form herab. Aber das Cabinet steht ebenso außer dem gemeinen Rechte
wie der Unfug, der in der Lili ol riglrts für ungesetzlich erklärt wurde.

Das Veto der Krone, das ursprünglich Nichtbestätiguug eines gegen das
gemeine Recht verstoßenden Parlamentsbeschlnsses war, ist seit 1692 nicht mehr
ausgeübt worden.

Der König konnte jeden an seinen Hof berufen, der ihm gefiel, er konnte
zuweilen den Fall seiner Lieblinge auf kurze Zeit verzögern, mich ein Indivi¬
duum, das er nicht mochte, dauernd ausschließen. Das war aber so ziemlich


Der Parlamentarismus in England.

das Vortrauen des Hauses oder, wie man der Höflichkeit halber sagt, des Landes.
Das Mißtrauensvotum wirkt, denn es besteht die stillschweigende Verabredung,
daß es wirken soll. Es heißt: Stehen Sie gefälligst von der Ministerbank
auf, bis Sie wieder an die Reihe kommen. Die Phrase ist doppelt glücklich.
Sie beseitigt die Verantwortlichkeit und bringt dem Volke die Vorstellung bei,
daß es Vertrauen — und zwar ohne Gründe — haben müsse, so lange das
Mißtrauen nicht ausgesprochen worden . . . Das Vertrauen verwandelte die
Verantwortlichkeit der höchsten Staatsbeamten vor dem jedermann bekannten
Gesetze in eine von der Laune und den Cliquenintcressen des Parlaments dic-
tirte Phrase . . . Wenn jetzt ein Minister aufsteht und von seiner Verantwort¬
lichkeit redet, so muß man die Herrschaft bewundern, die allerseits über die
Lnchmuskcln bewahrt wird."

„Nachdem die Controle des Parlaments durch das Volk und die durch
den Strafrichter beseitigt war, blieb noch eine dritte übrig, die dnrch die Krone.
Auch sie wurde zerstört durch die zweite Revolution von 1688 , , . Nach der
alten Verfassung konnte der König seine Minister wählen und entlassen, wie
er wollte, gleichviel, ob sie das Vertrauen des Parlaments hatten, und das
Parlament sollte sie für Rechtsverletzung strafen, gleichviel, ob sie das Ver¬
trauen des Königs genossen. Den Whigs gefiel es besser, nicht von dem
Könige ernannt und nicht vom Parlamente zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Das Mittel, durch welches sie den doppelten Zweck erreichten, war das
Cabinet."

Karl 1. berieth sich nicht mit dem Geheimräthe, der Versammlung aller
hohen Beamten, sondern mit einem kleinen Kreise von Vertrauten, die er in
sein Cabinet berief — angeblich, weil das Geheimniß so besser gewahrt blieb,
in Wahrheit, weil er Dinge trieb, die das Licht scheuten. Unter Wilhelm III.
wurde dies Regel, obgleich es im Parlament nicht an Widerspruch fehlte.
Das Bestreben der hannoverschen Dynastie, sich nur mit ihren Anhängern zu
umgeben, und der hilflose Zustand der beiden ersten George befestigten die
Stellung des Cabinets und drückten den Geheimrath immer mehr zu einer
leeren Form herab. Aber das Cabinet steht ebenso außer dem gemeinen Rechte
wie der Unfug, der in der Lili ol riglrts für ungesetzlich erklärt wurde.

Das Veto der Krone, das ursprünglich Nichtbestätiguug eines gegen das
gemeine Recht verstoßenden Parlamentsbeschlnsses war, ist seit 1692 nicht mehr
ausgeübt worden.

Der König konnte jeden an seinen Hof berufen, der ihm gefiel, er konnte
zuweilen den Fall seiner Lieblinge auf kurze Zeit verzögern, mich ein Indivi¬
duum, das er nicht mochte, dauernd ausschließen. Das war aber so ziemlich


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[0203] Der Parlamentarismus in England. das Vortrauen des Hauses oder, wie man der Höflichkeit halber sagt, des Landes. Das Mißtrauensvotum wirkt, denn es besteht die stillschweigende Verabredung, daß es wirken soll. Es heißt: Stehen Sie gefälligst von der Ministerbank auf, bis Sie wieder an die Reihe kommen. Die Phrase ist doppelt glücklich. Sie beseitigt die Verantwortlichkeit und bringt dem Volke die Vorstellung bei, daß es Vertrauen — und zwar ohne Gründe — haben müsse, so lange das Mißtrauen nicht ausgesprochen worden . . . Das Vertrauen verwandelte die Verantwortlichkeit der höchsten Staatsbeamten vor dem jedermann bekannten Gesetze in eine von der Laune und den Cliquenintcressen des Parlaments dic- tirte Phrase . . . Wenn jetzt ein Minister aufsteht und von seiner Verantwort¬ lichkeit redet, so muß man die Herrschaft bewundern, die allerseits über die Lnchmuskcln bewahrt wird." „Nachdem die Controle des Parlaments durch das Volk und die durch den Strafrichter beseitigt war, blieb noch eine dritte übrig, die dnrch die Krone. Auch sie wurde zerstört durch die zweite Revolution von 1688 , , . Nach der alten Verfassung konnte der König seine Minister wählen und entlassen, wie er wollte, gleichviel, ob sie das Vertrauen des Parlaments hatten, und das Parlament sollte sie für Rechtsverletzung strafen, gleichviel, ob sie das Ver¬ trauen des Königs genossen. Den Whigs gefiel es besser, nicht von dem Könige ernannt und nicht vom Parlamente zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das Mittel, durch welches sie den doppelten Zweck erreichten, war das Cabinet." Karl 1. berieth sich nicht mit dem Geheimräthe, der Versammlung aller hohen Beamten, sondern mit einem kleinen Kreise von Vertrauten, die er in sein Cabinet berief — angeblich, weil das Geheimniß so besser gewahrt blieb, in Wahrheit, weil er Dinge trieb, die das Licht scheuten. Unter Wilhelm III. wurde dies Regel, obgleich es im Parlament nicht an Widerspruch fehlte. Das Bestreben der hannoverschen Dynastie, sich nur mit ihren Anhängern zu umgeben, und der hilflose Zustand der beiden ersten George befestigten die Stellung des Cabinets und drückten den Geheimrath immer mehr zu einer leeren Form herab. Aber das Cabinet steht ebenso außer dem gemeinen Rechte wie der Unfug, der in der Lili ol riglrts für ungesetzlich erklärt wurde. Das Veto der Krone, das ursprünglich Nichtbestätiguug eines gegen das gemeine Recht verstoßenden Parlamentsbeschlnsses war, ist seit 1692 nicht mehr ausgeübt worden. Der König konnte jeden an seinen Hof berufen, der ihm gefiel, er konnte zuweilen den Fall seiner Lieblinge auf kurze Zeit verzögern, mich ein Indivi¬ duum, das er nicht mochte, dauernd ausschließen. Das war aber so ziemlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/203>, abgerufen am 27.12.2024.