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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate.

erstaunte Frage des Fremdlings erzählt man ihm: "Vor drei Wochen fuhr
der Principe G. über None hinaus aufs Land; da standen hinter einer Mauer¬
ecke zwölf Kerle und schössen auf ihn; sie haben ihn am Arme verwundet, aber
nicht getödtet. Die Polizei hat die Thäter selbstverständlich nicht finden können,
aber es scheint, daß der Principe sie zu finden versteht. Nenn sind nun schon
erschossen; daß es die richtigen waren, weiß draußen in der Vorstadt jeder¬
mann; darum sagen wir, es fehlen noch drei, und die werden binnen kurzem
schon nachkommen." Ein anderes Mal beklagt sich ein Hausbesitzer über die
Lässigkeit seines Portiers, und man sagt ihm: "Nun, so jagen sie den Mann
fort!" Da erwiedert er achselzuckend: "Das geht nicht, er ist mir von einem
Mafioso empfohlen. Wenn ich ihn morgen fortjage, schießt man mir über¬
morgen seinen Nachfolger zusammen, und wenn ich mich darauf steife, ihn nicht
wieder anzunehmen, fällt wohl auch für mich eine Bleikugel ab."

Die Mafiosi, eine Art Räuberhauptleute in Glacehandschuhen, gehören
der sogenannten guten Gesellschaft an, der Malandrino ist nur ihr Werkzeug.
Das Werkzeug aber ist in Hülle und Fülle vorhanden. Im Jahre 1875 gab
es allein im Kreise Palermo 573 steckbrieflich verfolgter Latitcmten, woraus
man eiuen Schluß auf die zwanzigmal größere Menge der nicht verfolgten
Verbrecher ziehen kann. Dieser Subjecte bedient sich der palermitcmische Mittel¬
stand zur Erhöhung seiner persönlichen Geltung, feines persönlichen Einflusses.
In einem Lande, wo alle socialen Beziehungen auf Willkür beruhten, mußte der
städtische Mittelstand, so gut wie der ländliche Adel oder der Brigant das
Bedürfniß empfinden, seinen Ehrgeiz durch persönlichen Einfluß zu befriedigen,
und bei dem Mangel aller Rechtsbegriffe that er das mit den Mitteln des
Räubers. Allmählich entstand mit seinen Wurzeln tief ins Mittelalter hinein¬
reichend jenes geheime Faustrecht, das uuter der Oberfläche der Gesellschaft ver¬
borgen, mit einem merkwürdigen Reichthum von Mitteln gegen die Civilisation,
gegen den Rechtsstaat zu Felde zieht und dabei von der wohlsituirten Bevöl¬
kerung theils aus Furcht, theils aus Mangel einer Vorstellung von der Bedeu¬
tung des Rechts, theils aus socialer Nothwendigkeit unterstützt wird. Der Ma¬
fioso steht, wie gesagt, in einem Clientelverhältniß zu den Helfershelfern, den
Malandrini, und beschützt diese vor polizeilicher Verfolgung. Er gehört infolge
dessen zu einer großen Organisation, er lernt seine Gesinnungsgenossen in den
höhern Stünden kennen und hält zu thuen, wie sie zu ihm. Er fühlt sich, er
verbirgt sich nicht mehr, er will als Mafioso gekannt sein, denn dann fürchten
sich die Leute vor ihm, und er hat die Befriedigung persönlichen Einflusses. Er
besetzt Stellen, er empfiehlt Diener, Kutscher, Gärtner und Schwiegersöhne; wird
seine Empfehlung nicht beachtet, fo läßt er dem, der seine Herrschaft nicht aner¬
kennen will, erst eine Kugel über den Kopf weg schießen, und wenn das nicht


Die destructiven Elemente im Staate.

erstaunte Frage des Fremdlings erzählt man ihm: „Vor drei Wochen fuhr
der Principe G. über None hinaus aufs Land; da standen hinter einer Mauer¬
ecke zwölf Kerle und schössen auf ihn; sie haben ihn am Arme verwundet, aber
nicht getödtet. Die Polizei hat die Thäter selbstverständlich nicht finden können,
aber es scheint, daß der Principe sie zu finden versteht. Nenn sind nun schon
erschossen; daß es die richtigen waren, weiß draußen in der Vorstadt jeder¬
mann; darum sagen wir, es fehlen noch drei, und die werden binnen kurzem
schon nachkommen." Ein anderes Mal beklagt sich ein Hausbesitzer über die
Lässigkeit seines Portiers, und man sagt ihm: „Nun, so jagen sie den Mann
fort!" Da erwiedert er achselzuckend: „Das geht nicht, er ist mir von einem
Mafioso empfohlen. Wenn ich ihn morgen fortjage, schießt man mir über¬
morgen seinen Nachfolger zusammen, und wenn ich mich darauf steife, ihn nicht
wieder anzunehmen, fällt wohl auch für mich eine Bleikugel ab."

Die Mafiosi, eine Art Räuberhauptleute in Glacehandschuhen, gehören
der sogenannten guten Gesellschaft an, der Malandrino ist nur ihr Werkzeug.
Das Werkzeug aber ist in Hülle und Fülle vorhanden. Im Jahre 1875 gab
es allein im Kreise Palermo 573 steckbrieflich verfolgter Latitcmten, woraus
man eiuen Schluß auf die zwanzigmal größere Menge der nicht verfolgten
Verbrecher ziehen kann. Dieser Subjecte bedient sich der palermitcmische Mittel¬
stand zur Erhöhung seiner persönlichen Geltung, feines persönlichen Einflusses.
In einem Lande, wo alle socialen Beziehungen auf Willkür beruhten, mußte der
städtische Mittelstand, so gut wie der ländliche Adel oder der Brigant das
Bedürfniß empfinden, seinen Ehrgeiz durch persönlichen Einfluß zu befriedigen,
und bei dem Mangel aller Rechtsbegriffe that er das mit den Mitteln des
Räubers. Allmählich entstand mit seinen Wurzeln tief ins Mittelalter hinein¬
reichend jenes geheime Faustrecht, das uuter der Oberfläche der Gesellschaft ver¬
borgen, mit einem merkwürdigen Reichthum von Mitteln gegen die Civilisation,
gegen den Rechtsstaat zu Felde zieht und dabei von der wohlsituirten Bevöl¬
kerung theils aus Furcht, theils aus Mangel einer Vorstellung von der Bedeu¬
tung des Rechts, theils aus socialer Nothwendigkeit unterstützt wird. Der Ma¬
fioso steht, wie gesagt, in einem Clientelverhältniß zu den Helfershelfern, den
Malandrini, und beschützt diese vor polizeilicher Verfolgung. Er gehört infolge
dessen zu einer großen Organisation, er lernt seine Gesinnungsgenossen in den
höhern Stünden kennen und hält zu thuen, wie sie zu ihm. Er fühlt sich, er
verbirgt sich nicht mehr, er will als Mafioso gekannt sein, denn dann fürchten
sich die Leute vor ihm, und er hat die Befriedigung persönlichen Einflusses. Er
besetzt Stellen, er empfiehlt Diener, Kutscher, Gärtner und Schwiegersöhne; wird
seine Empfehlung nicht beachtet, fo läßt er dem, der seine Herrschaft nicht aner¬
kennen will, erst eine Kugel über den Kopf weg schießen, und wenn das nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/120>, abgerufen am 27.12.2024.