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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate.

Vieh weg; auf ihrem Wege finden sie überall Collegen, welche den Transport
der Thiere übernehmen, überall sind Malandrini vorhanden, überall sind sie be¬
reit mit ihren Gesinnungsgenossen gemeinsam zu handeln und zu schien. Sie
kennen nur einen Feind -- den Staat. Auf einer fernern Stufe giebt der
Malandrino seinen bürgerlichen Stand ganz auf und wird Brigante. Die se߬
haften Malandrini sind dann seine Helfershelfer. Die ganze Bevölkerung respec-
tirt ihn, zumal wenn er eine größere Grausamkeit begeht. Die Meierhöfe stehen
ihm offen, wo er anklopft, wird er reichlich bewirthet. Weiber, Kinder und
Greise spioniren für ihn. Er kann Taxen auflegen, und die nächsten Besitzer
wagen es nicht, sie ihm abzuschlagen. Die Hauptbedingung seines Glanzes ist
aber die, daß er jede Denunciation, jeden Eingriff in sein Gewerbe durch Furcht
hintertreibt. Dies ist für das ganze Spitzbubencorps das oberste Gebot der
Selbsterhaltung. Aus dem einzelnen Briganten wird allmählich ein Banden¬
führer. Es ist vorgekommen, daß eine mächtige Bande jahrelang durch eigene
Niederlagen geschmuggelter Waaren den Markt beherrschte; aber obgleich dies
allgemein bekannt war, ja selbst von einzelnen Douaniers gewußt wurde, fand
sich doch niemand, der gegen die Räuber vorzugehen gewagt hätte. Unter solchen
Zuständen wußten die Besitzenden nichts besseres zu thun, als sich der Macht
der Malandrini zu unterwerfen; sie waren noch am besten gesichert, wenn ihre
eignen Hausleute zu irgend einer Bande gehörten, dann kamen ihnen wenigstens
keine andern Eindringlinge nahe, und ihr Verhältniß gestaltete sich zu einer
Art Steuer, die zu ertragen war. Ja wenn sie erst einige Male die Briganten
vor der Denunciation beschützt oder ihnen andere Freundschaftsdienste geleistet
hatten, traten diese zu ihnen in eine Art von Clientelverhältniß. So wurden
auch die Besitzenden in das Netz der Räuberei mit hineingewebt, und es kam
zu dem merkwürdigen Ergebniß, daß die Malandrini nicht bloß stahlen, sondern
überall herrschten, daß die Gesetzlosigkeit zur Grundlage der gesammten socialen
Verhältnisse Siciliens wurde. Die Fremden sind fast die einzigen Leute, welche
außerhalb dieses Kreises stehen. Der Fremde braucht nämlich auf die Spitz¬
bubenorganisation keine Rücksicht zu nehmen; er schlägt um sich, verklagt die
Spitzbuben, macht Lärm bei Consul und Negierung, und das italienische Gou¬
vernement setzt ehrenhalber tausende von Carabinieri in Bewegung, wo es sonst
nur Dutzende verwenden würde. Das haben sich die Malcmdnni gemerkt, sie
begnügen sich daher mit der Anwendung ihrer Herrschaft auf die Eingebornen.
So kommt es, daß der Fremde das Bestehen weitverzweigter, gesetzloser Ver¬
hältnisse erst nach langem Aufenthalte in Sicilien und Neapel gewahrt. Da
hört er etwa gelegentlich bei Tisch den Familienvater sagen: "Draußen in
None ist wieder einer erschossen gefunden worden." Darauf bemerkt die Tochter
des Hauses ganz ruhig: "Das ist der neunte; jetzt fehlen noch drei." Auf die


Die destructiven Elemente im Staate.

Vieh weg; auf ihrem Wege finden sie überall Collegen, welche den Transport
der Thiere übernehmen, überall sind Malandrini vorhanden, überall sind sie be¬
reit mit ihren Gesinnungsgenossen gemeinsam zu handeln und zu schien. Sie
kennen nur einen Feind — den Staat. Auf einer fernern Stufe giebt der
Malandrino seinen bürgerlichen Stand ganz auf und wird Brigante. Die se߬
haften Malandrini sind dann seine Helfershelfer. Die ganze Bevölkerung respec-
tirt ihn, zumal wenn er eine größere Grausamkeit begeht. Die Meierhöfe stehen
ihm offen, wo er anklopft, wird er reichlich bewirthet. Weiber, Kinder und
Greise spioniren für ihn. Er kann Taxen auflegen, und die nächsten Besitzer
wagen es nicht, sie ihm abzuschlagen. Die Hauptbedingung seines Glanzes ist
aber die, daß er jede Denunciation, jeden Eingriff in sein Gewerbe durch Furcht
hintertreibt. Dies ist für das ganze Spitzbubencorps das oberste Gebot der
Selbsterhaltung. Aus dem einzelnen Briganten wird allmählich ein Banden¬
führer. Es ist vorgekommen, daß eine mächtige Bande jahrelang durch eigene
Niederlagen geschmuggelter Waaren den Markt beherrschte; aber obgleich dies
allgemein bekannt war, ja selbst von einzelnen Douaniers gewußt wurde, fand
sich doch niemand, der gegen die Räuber vorzugehen gewagt hätte. Unter solchen
Zuständen wußten die Besitzenden nichts besseres zu thun, als sich der Macht
der Malandrini zu unterwerfen; sie waren noch am besten gesichert, wenn ihre
eignen Hausleute zu irgend einer Bande gehörten, dann kamen ihnen wenigstens
keine andern Eindringlinge nahe, und ihr Verhältniß gestaltete sich zu einer
Art Steuer, die zu ertragen war. Ja wenn sie erst einige Male die Briganten
vor der Denunciation beschützt oder ihnen andere Freundschaftsdienste geleistet
hatten, traten diese zu ihnen in eine Art von Clientelverhältniß. So wurden
auch die Besitzenden in das Netz der Räuberei mit hineingewebt, und es kam
zu dem merkwürdigen Ergebniß, daß die Malandrini nicht bloß stahlen, sondern
überall herrschten, daß die Gesetzlosigkeit zur Grundlage der gesammten socialen
Verhältnisse Siciliens wurde. Die Fremden sind fast die einzigen Leute, welche
außerhalb dieses Kreises stehen. Der Fremde braucht nämlich auf die Spitz¬
bubenorganisation keine Rücksicht zu nehmen; er schlägt um sich, verklagt die
Spitzbuben, macht Lärm bei Consul und Negierung, und das italienische Gou¬
vernement setzt ehrenhalber tausende von Carabinieri in Bewegung, wo es sonst
nur Dutzende verwenden würde. Das haben sich die Malcmdnni gemerkt, sie
begnügen sich daher mit der Anwendung ihrer Herrschaft auf die Eingebornen.
So kommt es, daß der Fremde das Bestehen weitverzweigter, gesetzloser Ver¬
hältnisse erst nach langem Aufenthalte in Sicilien und Neapel gewahrt. Da
hört er etwa gelegentlich bei Tisch den Familienvater sagen: „Draußen in
None ist wieder einer erschossen gefunden worden." Darauf bemerkt die Tochter
des Hauses ganz ruhig: „Das ist der neunte; jetzt fehlen noch drei." Auf die


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[0119] Die destructiven Elemente im Staate. Vieh weg; auf ihrem Wege finden sie überall Collegen, welche den Transport der Thiere übernehmen, überall sind Malandrini vorhanden, überall sind sie be¬ reit mit ihren Gesinnungsgenossen gemeinsam zu handeln und zu schien. Sie kennen nur einen Feind — den Staat. Auf einer fernern Stufe giebt der Malandrino seinen bürgerlichen Stand ganz auf und wird Brigante. Die se߬ haften Malandrini sind dann seine Helfershelfer. Die ganze Bevölkerung respec- tirt ihn, zumal wenn er eine größere Grausamkeit begeht. Die Meierhöfe stehen ihm offen, wo er anklopft, wird er reichlich bewirthet. Weiber, Kinder und Greise spioniren für ihn. Er kann Taxen auflegen, und die nächsten Besitzer wagen es nicht, sie ihm abzuschlagen. Die Hauptbedingung seines Glanzes ist aber die, daß er jede Denunciation, jeden Eingriff in sein Gewerbe durch Furcht hintertreibt. Dies ist für das ganze Spitzbubencorps das oberste Gebot der Selbsterhaltung. Aus dem einzelnen Briganten wird allmählich ein Banden¬ führer. Es ist vorgekommen, daß eine mächtige Bande jahrelang durch eigene Niederlagen geschmuggelter Waaren den Markt beherrschte; aber obgleich dies allgemein bekannt war, ja selbst von einzelnen Douaniers gewußt wurde, fand sich doch niemand, der gegen die Räuber vorzugehen gewagt hätte. Unter solchen Zuständen wußten die Besitzenden nichts besseres zu thun, als sich der Macht der Malandrini zu unterwerfen; sie waren noch am besten gesichert, wenn ihre eignen Hausleute zu irgend einer Bande gehörten, dann kamen ihnen wenigstens keine andern Eindringlinge nahe, und ihr Verhältniß gestaltete sich zu einer Art Steuer, die zu ertragen war. Ja wenn sie erst einige Male die Briganten vor der Denunciation beschützt oder ihnen andere Freundschaftsdienste geleistet hatten, traten diese zu ihnen in eine Art von Clientelverhältniß. So wurden auch die Besitzenden in das Netz der Räuberei mit hineingewebt, und es kam zu dem merkwürdigen Ergebniß, daß die Malandrini nicht bloß stahlen, sondern überall herrschten, daß die Gesetzlosigkeit zur Grundlage der gesammten socialen Verhältnisse Siciliens wurde. Die Fremden sind fast die einzigen Leute, welche außerhalb dieses Kreises stehen. Der Fremde braucht nämlich auf die Spitz¬ bubenorganisation keine Rücksicht zu nehmen; er schlägt um sich, verklagt die Spitzbuben, macht Lärm bei Consul und Negierung, und das italienische Gou¬ vernement setzt ehrenhalber tausende von Carabinieri in Bewegung, wo es sonst nur Dutzende verwenden würde. Das haben sich die Malcmdnni gemerkt, sie begnügen sich daher mit der Anwendung ihrer Herrschaft auf die Eingebornen. So kommt es, daß der Fremde das Bestehen weitverzweigter, gesetzloser Ver¬ hältnisse erst nach langem Aufenthalte in Sicilien und Neapel gewahrt. Da hört er etwa gelegentlich bei Tisch den Familienvater sagen: „Draußen in None ist wieder einer erschossen gefunden worden." Darauf bemerkt die Tochter des Hauses ganz ruhig: „Das ist der neunte; jetzt fehlen noch drei." Auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/119>, abgerufen am 27.12.2024.