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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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daran, ein Stück zu geben oder auch nur zu lesen, das nicht in Wien oder
Berlin zuvor "Favre" gemacht hat, und wie dieses "Furore" gemacht wird,
ist bekannt genug. Als charakteristisches Beispiel steht der jetzt endlich uach
30 jähriger Bühueuschriftstellerei zu Ehren kommende Autor der "Agnes von
Meran" da. Als Laube nach Wien kam, fand er Nissels Werke vor, fand
einige aeceptiert, ausgeschrieben und vertheilt. Aber "unserem" Laube, dem es nie
auf ein paar Leichen angekommen ist, mißfiel Herrn Nissels Nase; die Nissel-
schen Stücke blieben unausgeführt in Wien und deshalb in ganz Deutschland.

Es ist also ersichtlich, daß, um den Zustand der deutschen Bühne in Be¬
zug auf ihre Versumpftheit zu prüfe", es schou genügt, den Zustand der beiden
maßgebenden Bühnencentren Wien und Berlin ins Auge zu fassen. Daß unter
den 250 namhaften Provinzialbtthnen zahlreiche Institute unter jüdischer Leitung
stehen, ist gewiß. Wir könnten Dutzende von Directoren aufzählen, deren
Namen den unverkennbaren jüdischen Klang besitzen. Nicht minder zu beachten
sind aber die zahllosen Cohns, Reichenheims, Rosenfelds, Karfnnkelsteins und
Eppenberger, welche wir als Custoden, Vorstände und Mäcene der städtischen
Theater durch ganz Deutschland verbreitet finden. Es gehört überdies sehr
wenig Galle dazu, um eine Leberpastete zu verderben, und ein einziges Cohn-
chen genügt, um ein ganzes Kollegium, zumal in kleineren Städten, von jeder
Selbständigkeit und Initiative abzudrängen. Ein Stück, und sei es noch so gut,
an welchem Cohnchen "Rischus" riecht oder welches ihm zu erhebend auf das
deutsche Ehr-, Selbst- und Rechtsgefühl erscheint -- wir schweigen vom Pa¬
triotismus, deun Cohnchen trieft davon --, wird von ihm nimmer vor die
Rampe gelassen werden, und müßte er dies durch baares Geld verhindern. So
kommt es, daß Stücke, welche das zum Theil höchst verdammenswürdige Treiben
der Börse, deren corrnmpierender Einfluß nicht deutlich genug gebrandmarkt
und auf der Bühne dargelegt werden kann, auch nur im geringste!: streifen,
nirgends im regulären Laufe der Repertoire-Entwicklung vor das Publikum ge¬
langen. Es wäre in der That auch zu viel, vou Cohnchen eine solche Conivenz
zu erwarten; aber eben deshalb sollte man nicht den Bock zum Gärtner machen,
vorausgesetzt nämlich, daß man die Bühne als einen Garten der Kunst be¬
trachtet, in welchem kein Unkraut gezogen werden darf.

Es ist ein billiger Trost, daß das wahrhaft Gute uicht auf die Dauer zu
unterdrücken sei. Auch die Bühne lebt vom Tage und vom lebendigen Inter¬
esse an brennenden Fragen, welche von dieser höheren Zinne herab parteilos
in künstlerischer Verklärung dem Publikum sich offenbaren sollen. Nach wie
vor ist es die Hauptaufgabe der dramatischen Kunst, der Heuchelei die Maske
abzureißen, die Lüge vom Throne zu stoßen, die Gemüther zu läutern, den Sinn
zu stätigen, den Pulsschlag zu regulieren, dein Zeitalter den Spiegel vorzuhal-


daran, ein Stück zu geben oder auch nur zu lesen, das nicht in Wien oder
Berlin zuvor „Favre" gemacht hat, und wie dieses „Furore" gemacht wird,
ist bekannt genug. Als charakteristisches Beispiel steht der jetzt endlich uach
30 jähriger Bühueuschriftstellerei zu Ehren kommende Autor der „Agnes von
Meran" da. Als Laube nach Wien kam, fand er Nissels Werke vor, fand
einige aeceptiert, ausgeschrieben und vertheilt. Aber „unserem" Laube, dem es nie
auf ein paar Leichen angekommen ist, mißfiel Herrn Nissels Nase; die Nissel-
schen Stücke blieben unausgeführt in Wien und deshalb in ganz Deutschland.

Es ist also ersichtlich, daß, um den Zustand der deutschen Bühne in Be¬
zug auf ihre Versumpftheit zu prüfe», es schou genügt, den Zustand der beiden
maßgebenden Bühnencentren Wien und Berlin ins Auge zu fassen. Daß unter
den 250 namhaften Provinzialbtthnen zahlreiche Institute unter jüdischer Leitung
stehen, ist gewiß. Wir könnten Dutzende von Directoren aufzählen, deren
Namen den unverkennbaren jüdischen Klang besitzen. Nicht minder zu beachten
sind aber die zahllosen Cohns, Reichenheims, Rosenfelds, Karfnnkelsteins und
Eppenberger, welche wir als Custoden, Vorstände und Mäcene der städtischen
Theater durch ganz Deutschland verbreitet finden. Es gehört überdies sehr
wenig Galle dazu, um eine Leberpastete zu verderben, und ein einziges Cohn-
chen genügt, um ein ganzes Kollegium, zumal in kleineren Städten, von jeder
Selbständigkeit und Initiative abzudrängen. Ein Stück, und sei es noch so gut,
an welchem Cohnchen „Rischus" riecht oder welches ihm zu erhebend auf das
deutsche Ehr-, Selbst- und Rechtsgefühl erscheint — wir schweigen vom Pa¬
triotismus, deun Cohnchen trieft davon —, wird von ihm nimmer vor die
Rampe gelassen werden, und müßte er dies durch baares Geld verhindern. So
kommt es, daß Stücke, welche das zum Theil höchst verdammenswürdige Treiben
der Börse, deren corrnmpierender Einfluß nicht deutlich genug gebrandmarkt
und auf der Bühne dargelegt werden kann, auch nur im geringste!: streifen,
nirgends im regulären Laufe der Repertoire-Entwicklung vor das Publikum ge¬
langen. Es wäre in der That auch zu viel, vou Cohnchen eine solche Conivenz
zu erwarten; aber eben deshalb sollte man nicht den Bock zum Gärtner machen,
vorausgesetzt nämlich, daß man die Bühne als einen Garten der Kunst be¬
trachtet, in welchem kein Unkraut gezogen werden darf.

Es ist ein billiger Trost, daß das wahrhaft Gute uicht auf die Dauer zu
unterdrücken sei. Auch die Bühne lebt vom Tage und vom lebendigen Inter¬
esse an brennenden Fragen, welche von dieser höheren Zinne herab parteilos
in künstlerischer Verklärung dem Publikum sich offenbaren sollen. Nach wie
vor ist es die Hauptaufgabe der dramatischen Kunst, der Heuchelei die Maske
abzureißen, die Lüge vom Throne zu stoßen, die Gemüther zu läutern, den Sinn
zu stätigen, den Pulsschlag zu regulieren, dein Zeitalter den Spiegel vorzuhal-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/77>, abgerufen am 28.12.2024.