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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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seems das Repertoire auf classischen Boden beschränkt blieb. Darin liegt aber
eben das Gravierende, daß überall sonst die Bühne unter den giftigen Wuche-
rungen, die die Theater freiheit gezeitigt hat, auch in Bezug auf das Repertoire
schon völlig dem deutscheu Geiste entfremdet worden ist. Man erinnert sich mit
Abscheu, daß noch vor wenigen Jahren unter dem Druck der Concurrenz in
jeder Kneipe ein Tingeltangel entstand, man bedenkt aber nicht, wie unmittelbar
nahe dieses Tingeltangel dem jetzigen Theater steht und daß die Abscheulichkeiten,
Plattheiten und Obseönitäten beider die Folge einer und derselben Ursache sind,
der "Theaterfreiheit" und der mit dieser Freiheit Hand in Hand gehenden Ver-
judung unseres Theaters. Haben wir denn aber nicht, fragt man, die Hof- und
städtischen Theater, um als Culturstätteu des edleren Dramas zu dienen und
der wahren Kunst ein Asyl zu biete"? Wohlan -- sehen wir, wie es um diese
Kuustiustitute bestellt ist und ob sie dem Drange der allgemeinen Concurrenz,
der Herrschaft des Cäsar Mammon haben wiederstehen können, oder ob nicht
auch sie vielmehr der Invasion des Judenthums unterlegen sind und dein durch
die Tingeltangel und Deinimondebühne untergrabenen Geschmacke haben Rech¬
nung tragen müssen.

Es handelt sich um ein Culturinstitnt, welches allein an ausübenden
Künstlern gegen 10 000 Menschen in Deutschland-Oesterreich beschäftigt, darunter
gut 400t) Schauspieler und ebenso viele Säuger deutscher Zunge, lediglich an
etwa 250 deutschen Bühnen. Die deutsche Universität ist kaum ein so tiefeingrei-
fendcs Institut wie die Bühne, denn zum Lehrer wird schließlich jedes Buch
-- die Kunst aber kaun nur von wirkliche" Adepten geübt werde". Der Student
ist auf eigenen Fleiß angewiesen; er aeceptiert keineswegs das Wort, das ihm
vom Katheder herunter verabreicht wird; von: "getrost uach Hanse tragen" ist
keine Rede. In Bezug auf die Btthneukunst aber -- diese, von dem bloßen
Mimenthum ganz abgesehen, in Bezug auf das Was des Gebotenen wichtigste
aller Künste -- ist das Publikum auf sein ständiges Theater angewiesen. Und
in Bezug auf jenes Was geht es mit dem deutschen Theater fast genau so wie
mit der deutschen Presse. Es giebt sehr wenige sogenannte Provinzial- und
kleine Hofbühnen, welche ihr Repertoire uicht vou den Wiener und Berliner
Bühnen abhängig "lachte". Wie die Provinzialzeitungen entweder einfach die
ihnen durch die hauptstädtischen Blätter entgegengetragenen Meinungen accep-
tieren, gleich vollgiltiger Münze rin dem Gepräge der höchsten Autorität, oder die
betreffenden Parteicorrespondenzen nachdrucken, welche ihrerseits wieder genan
von denselben kleingeistigen Cliquen abhängen, die in der Hauptstadt die Politik
machen und die, wie es bei der Fortschrittspartei erlebt worden ist, ein ganzes
Volk tyrannisieren und gegen bessere Ueberzeugung oder besseres Gefühl ins
Schlepptau nehmen, so geht es auch mit der Bühne. Kein Theaterdireetor denkt


seems das Repertoire auf classischen Boden beschränkt blieb. Darin liegt aber
eben das Gravierende, daß überall sonst die Bühne unter den giftigen Wuche-
rungen, die die Theater freiheit gezeitigt hat, auch in Bezug auf das Repertoire
schon völlig dem deutscheu Geiste entfremdet worden ist. Man erinnert sich mit
Abscheu, daß noch vor wenigen Jahren unter dem Druck der Concurrenz in
jeder Kneipe ein Tingeltangel entstand, man bedenkt aber nicht, wie unmittelbar
nahe dieses Tingeltangel dem jetzigen Theater steht und daß die Abscheulichkeiten,
Plattheiten und Obseönitäten beider die Folge einer und derselben Ursache sind,
der „Theaterfreiheit" und der mit dieser Freiheit Hand in Hand gehenden Ver-
judung unseres Theaters. Haben wir denn aber nicht, fragt man, die Hof- und
städtischen Theater, um als Culturstätteu des edleren Dramas zu dienen und
der wahren Kunst ein Asyl zu biete»? Wohlan — sehen wir, wie es um diese
Kuustiustitute bestellt ist und ob sie dem Drange der allgemeinen Concurrenz,
der Herrschaft des Cäsar Mammon haben wiederstehen können, oder ob nicht
auch sie vielmehr der Invasion des Judenthums unterlegen sind und dein durch
die Tingeltangel und Deinimondebühne untergrabenen Geschmacke haben Rech¬
nung tragen müssen.

Es handelt sich um ein Culturinstitnt, welches allein an ausübenden
Künstlern gegen 10 000 Menschen in Deutschland-Oesterreich beschäftigt, darunter
gut 400t) Schauspieler und ebenso viele Säuger deutscher Zunge, lediglich an
etwa 250 deutschen Bühnen. Die deutsche Universität ist kaum ein so tiefeingrei-
fendcs Institut wie die Bühne, denn zum Lehrer wird schließlich jedes Buch
— die Kunst aber kaun nur von wirkliche» Adepten geübt werde». Der Student
ist auf eigenen Fleiß angewiesen; er aeceptiert keineswegs das Wort, das ihm
vom Katheder herunter verabreicht wird; von: „getrost uach Hanse tragen" ist
keine Rede. In Bezug auf die Btthneukunst aber — diese, von dem bloßen
Mimenthum ganz abgesehen, in Bezug auf das Was des Gebotenen wichtigste
aller Künste — ist das Publikum auf sein ständiges Theater angewiesen. Und
in Bezug auf jenes Was geht es mit dem deutschen Theater fast genau so wie
mit der deutschen Presse. Es giebt sehr wenige sogenannte Provinzial- und
kleine Hofbühnen, welche ihr Repertoire uicht vou den Wiener und Berliner
Bühnen abhängig »lachte». Wie die Provinzialzeitungen entweder einfach die
ihnen durch die hauptstädtischen Blätter entgegengetragenen Meinungen accep-
tieren, gleich vollgiltiger Münze rin dem Gepräge der höchsten Autorität, oder die
betreffenden Parteicorrespondenzen nachdrucken, welche ihrerseits wieder genan
von denselben kleingeistigen Cliquen abhängen, die in der Hauptstadt die Politik
machen und die, wie es bei der Fortschrittspartei erlebt worden ist, ein ganzes
Volk tyrannisieren und gegen bessere Ueberzeugung oder besseres Gefühl ins
Schlepptau nehmen, so geht es auch mit der Bühne. Kein Theaterdireetor denkt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/76>, abgerufen am 28.12.2024.