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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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jedesmals den Tabaksbeutel und Stein und Stahl auf den Tisch oder Boden
geworfen, worauf jener diese Dinge aufgehoben. Auch habe er ihn nie wund
gestoßen; er erinnere sich nur, ihn einmal in einem Orte hinter Insbruck mit
dem Gewehre, übrigens nur zum Scheine, bedroht zu haben, weil er sich nicht
selber habe schließen wollen. Bei dieser Gelegenheit sei vielleicht der Stock aus
dem Gewehre gefallen und könne möglicherweise wohl auch den Gefangenen
berührt haben, doch wisse er nichts davon, glaube es auch nicht; jedenfalls habe
Löser damals nichts derartiges behauptet.

Weitere Verhöre änderten nichts an der Sachlage, jeder blieb bei dem, was
er zuerst behauptete. Für Bernauer gestaltete sich so die Affaire sehr unange¬
nehm. Denn obgleich es sonnenklar war, daß Löser mit seinen Behauptungen
von Anfang an nichts als Gelderpressung im Sinne gehabt hatte, und obgleich
er wegen ähnlicher Versuche schon mehrfach bestraft worden war, ja sogar schon
Spießruthen deßwegen hatte laufen müssen, so ließ sich doch andererseits nicht
in Abrede stellen, daß es eigentlich fast gegen die Natur der Dinge gewesen
wäre, wenn der Führer der Escorte während des langen Transportes nicht ab
und zu dies oder jenes gethan hätte, was streng genommen in die Kategorie
des "Schindermäßigen" gerechnet werden konnte. Dabei wurde die Haltung der
Stadtgardisten von Woche zu Woche schwieriger. Schon liefen offene Beschwer¬
den ein, daß man in Augsburg mit einem schindermäßigen Soldaten zu dienen
gezwungen werde.

Unter diesen Umständen war das, was der Rath nun beschloß, vielleicht
das klügste, was er thun konnte. Er gab Auftrag, die alte Streitsache von
neuem vorzunehmen und nun mit allein Ernste zu verfolgen. Auf diese Weise
wurde eine Diversion gemacht, und man durfte sich wohl der Hoffnung hingeben,
zumal wenn man die beiden Gegner eine Zeit lang einsperrte, daß sich allmäh¬
lich die Aufregung unter den Gardisten wegen der Schinderaffaire legen würde.
Am 12. März verhörte also der Bürgermeister Amman die beiden Soldaten
noch einmal ein Langes und Breites bezüglich der Entweichung des zu den
Galeeren verurtheilten Verbrechers. Erst nahm er jeden einzeln vor, dann
confrontierte er sie, doch kam natürlich nichts neues zum Vorschein. Hierauf
befahl er, "damit," wie er in seinem Berichte an den Rath sagt, "doch etwas
geschiehet und ich nicht zu guterletzt beschuldigt werde, als ob ich diese Leute
nicht beißen wollte," beide in Arrest zu führen; "ob ich wohl," fügt er noch bei,
"sehr zweifle, daß ein Arrest und wenn er auch etliche Wochen oder Monate
dauern sollte, dieses I^Moira anstoßen wird."

Indeß, der Bürgermeister hatte Unrecht mit seinem Zweifel. Der Arrest
trug in der That sehr wesentlich dazu bei, das Problem" der Lösung näher zu
bringen. Die beiden Sünder wurden in die Eisen geschafft, und zwar jeder in


jedesmals den Tabaksbeutel und Stein und Stahl auf den Tisch oder Boden
geworfen, worauf jener diese Dinge aufgehoben. Auch habe er ihn nie wund
gestoßen; er erinnere sich nur, ihn einmal in einem Orte hinter Insbruck mit
dem Gewehre, übrigens nur zum Scheine, bedroht zu haben, weil er sich nicht
selber habe schließen wollen. Bei dieser Gelegenheit sei vielleicht der Stock aus
dem Gewehre gefallen und könne möglicherweise wohl auch den Gefangenen
berührt haben, doch wisse er nichts davon, glaube es auch nicht; jedenfalls habe
Löser damals nichts derartiges behauptet.

Weitere Verhöre änderten nichts an der Sachlage, jeder blieb bei dem, was
er zuerst behauptete. Für Bernauer gestaltete sich so die Affaire sehr unange¬
nehm. Denn obgleich es sonnenklar war, daß Löser mit seinen Behauptungen
von Anfang an nichts als Gelderpressung im Sinne gehabt hatte, und obgleich
er wegen ähnlicher Versuche schon mehrfach bestraft worden war, ja sogar schon
Spießruthen deßwegen hatte laufen müssen, so ließ sich doch andererseits nicht
in Abrede stellen, daß es eigentlich fast gegen die Natur der Dinge gewesen
wäre, wenn der Führer der Escorte während des langen Transportes nicht ab
und zu dies oder jenes gethan hätte, was streng genommen in die Kategorie
des „Schindermäßigen" gerechnet werden konnte. Dabei wurde die Haltung der
Stadtgardisten von Woche zu Woche schwieriger. Schon liefen offene Beschwer¬
den ein, daß man in Augsburg mit einem schindermäßigen Soldaten zu dienen
gezwungen werde.

Unter diesen Umständen war das, was der Rath nun beschloß, vielleicht
das klügste, was er thun konnte. Er gab Auftrag, die alte Streitsache von
neuem vorzunehmen und nun mit allein Ernste zu verfolgen. Auf diese Weise
wurde eine Diversion gemacht, und man durfte sich wohl der Hoffnung hingeben,
zumal wenn man die beiden Gegner eine Zeit lang einsperrte, daß sich allmäh¬
lich die Aufregung unter den Gardisten wegen der Schinderaffaire legen würde.
Am 12. März verhörte also der Bürgermeister Amman die beiden Soldaten
noch einmal ein Langes und Breites bezüglich der Entweichung des zu den
Galeeren verurtheilten Verbrechers. Erst nahm er jeden einzeln vor, dann
confrontierte er sie, doch kam natürlich nichts neues zum Vorschein. Hierauf
befahl er, „damit," wie er in seinem Berichte an den Rath sagt, „doch etwas
geschiehet und ich nicht zu guterletzt beschuldigt werde, als ob ich diese Leute
nicht beißen wollte," beide in Arrest zu führen; „ob ich wohl," fügt er noch bei,
„sehr zweifle, daß ein Arrest und wenn er auch etliche Wochen oder Monate
dauern sollte, dieses I^Moira anstoßen wird."

Indeß, der Bürgermeister hatte Unrecht mit seinem Zweifel. Der Arrest
trug in der That sehr wesentlich dazu bei, das Problem» der Lösung näher zu
bringen. Die beiden Sünder wurden in die Eisen geschafft, und zwar jeder in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/68>, abgerufen am 07.01.2025.