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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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eine besondere dunkle Zelle. Der Aufenthalt dort war nicht angenehm. Die
Arrestanten hatten sehr bald genug davon und bestürmten den Rath um ihre
Freilassung. Bernauer suchte überdies noch durch Vermittlung seiner Frau die
Fürsprache des Klosters Kaisheim zu erwirken, indem er sich anheischig machte,
sich jedes Jahr von seiner Gage 20 Gulden abziehen zu lassen, bis jene 100
Gulden abbezahlt seien. In der That ließ man sich im Kloster auf dieses Ver¬
sprechen hin erweichen und schickte demgemäß ein entsprechendes Fürschreiben
für ihn nach Augsburg. Damit aber war die Hauptschwierigkeit des Falles
aus dem Wege geräumt, und der Rath schritt nun am 5. April zur Verkündi-
gung des Urtheils, indem er zugleich beide Delinquenten auf freien Fuß setzte.
Bernauer wurde auf drei Monate zum Gemeinen degradiert, mit der Ver¬
schärfung, daß er während dieser Zeit täglich vor dem Rathhause Schildwache
zu stehen habe. Löser wurde einfach ohne Abschied aus der Stadtgarde ent¬
lassen, eine Strafe, die er wegen seiner vielen Erpressungsversuche mit Fug und
Recht verdient hatte. Der Bürgermeister Amman aber erhielt Befehl die Schin¬
deraffaire, d. i. die Streitsache zwischen den beiden Soldaten noch einmal recht
gründlich zu untersuchen, oder richtiger gesagt, sie durch geschicktes Verschleppen
allmählich in Vergessenheit zu bringen.

Wenn der Rath freilich glaubte, damit die Angelegenheit begraben zu haben,
so täuschte er sich. Die Gardisten erwiesen sich widerspenstiger als man er¬
wartet hatte. Ohne Zweifel hatte der cassierte Musketier sein Möglichstes ge¬
than, die Aufregung zu schüren. Nach einigen Wochen meldeten die Hauptleute,
die Sache müsse durchaus vermittelst eines förmlichen Kriegsgerichtes zum Aus¬
trage gebracht werden; ehe auf die eine oder andere Weise eine formell unan¬
tastbare Entscheidung gefällt sei, könne Bernauer zu nichts mehr gebraucht werden;
die Soldaten weigerten sich, mit ihm zusammen Dienst zu thun, und es stehe
zu befürchten, daß die Augsburger Stadtgarde deßhalb bei dem ganzen Kreis-
contingent in Verruf käme. So wurde denn ein reguläres Kriegsgericht in¬
stalliert. Damit trat die Angelegenheit in ein neues Stadium und erhielt ins¬
besondere auch für den cassierten Musketier ein bedenklicheres Gesicht. Denn
wenn in dergleichen Füllen der Kläger den Beweis für die Wahrheit seiner
Anschuldigungen uicht zu erbringen vermochte, so war ihm nach dem Kriegs¬
rechte eine exemplarische Strafe ziemlich sicher. Löser war dies nicht unbekannt.
Daß ihm seine Vorgesetzten nicht wohlwollten, darüber konnte er ebenfalls keine
Zweifel haben, und er war sich auch wohl bewußt, in seinen Beschuldigungen
es mit der Wahrheit nicht allzugenau genommen zu haben. Daher bekam er
Angst, als er erfuhr, was im Werke sei, und entfloh. Für Bernauer war das
schou halb gewonnenes Spiel, denn der Kläger stellte sich durch seiue Flucht ja
selbst das schlimmste Zeugniß aus.


eine besondere dunkle Zelle. Der Aufenthalt dort war nicht angenehm. Die
Arrestanten hatten sehr bald genug davon und bestürmten den Rath um ihre
Freilassung. Bernauer suchte überdies noch durch Vermittlung seiner Frau die
Fürsprache des Klosters Kaisheim zu erwirken, indem er sich anheischig machte,
sich jedes Jahr von seiner Gage 20 Gulden abziehen zu lassen, bis jene 100
Gulden abbezahlt seien. In der That ließ man sich im Kloster auf dieses Ver¬
sprechen hin erweichen und schickte demgemäß ein entsprechendes Fürschreiben
für ihn nach Augsburg. Damit aber war die Hauptschwierigkeit des Falles
aus dem Wege geräumt, und der Rath schritt nun am 5. April zur Verkündi-
gung des Urtheils, indem er zugleich beide Delinquenten auf freien Fuß setzte.
Bernauer wurde auf drei Monate zum Gemeinen degradiert, mit der Ver¬
schärfung, daß er während dieser Zeit täglich vor dem Rathhause Schildwache
zu stehen habe. Löser wurde einfach ohne Abschied aus der Stadtgarde ent¬
lassen, eine Strafe, die er wegen seiner vielen Erpressungsversuche mit Fug und
Recht verdient hatte. Der Bürgermeister Amman aber erhielt Befehl die Schin¬
deraffaire, d. i. die Streitsache zwischen den beiden Soldaten noch einmal recht
gründlich zu untersuchen, oder richtiger gesagt, sie durch geschicktes Verschleppen
allmählich in Vergessenheit zu bringen.

Wenn der Rath freilich glaubte, damit die Angelegenheit begraben zu haben,
so täuschte er sich. Die Gardisten erwiesen sich widerspenstiger als man er¬
wartet hatte. Ohne Zweifel hatte der cassierte Musketier sein Möglichstes ge¬
than, die Aufregung zu schüren. Nach einigen Wochen meldeten die Hauptleute,
die Sache müsse durchaus vermittelst eines förmlichen Kriegsgerichtes zum Aus¬
trage gebracht werden; ehe auf die eine oder andere Weise eine formell unan¬
tastbare Entscheidung gefällt sei, könne Bernauer zu nichts mehr gebraucht werden;
die Soldaten weigerten sich, mit ihm zusammen Dienst zu thun, und es stehe
zu befürchten, daß die Augsburger Stadtgarde deßhalb bei dem ganzen Kreis-
contingent in Verruf käme. So wurde denn ein reguläres Kriegsgericht in¬
stalliert. Damit trat die Angelegenheit in ein neues Stadium und erhielt ins¬
besondere auch für den cassierten Musketier ein bedenklicheres Gesicht. Denn
wenn in dergleichen Füllen der Kläger den Beweis für die Wahrheit seiner
Anschuldigungen uicht zu erbringen vermochte, so war ihm nach dem Kriegs¬
rechte eine exemplarische Strafe ziemlich sicher. Löser war dies nicht unbekannt.
Daß ihm seine Vorgesetzten nicht wohlwollten, darüber konnte er ebenfalls keine
Zweifel haben, und er war sich auch wohl bewußt, in seinen Beschuldigungen
es mit der Wahrheit nicht allzugenau genommen zu haben. Daher bekam er
Angst, als er erfuhr, was im Werke sei, und entfloh. Für Bernauer war das
schou halb gewonnenes Spiel, denn der Kläger stellte sich durch seiue Flucht ja
selbst das schlimmste Zeugniß aus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/69>, abgerufen am 08.01.2025.