Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Scherge zu besorgen hatte. Ein Soldat, der einen Verbrecher schlug oder seine Bernauer wußte dies ohne Zweifel; auch mochte er sich wohl in der That Dieser beharrte aber trotz aller angewandten Mittel bei seiner Behauptung Scherge zu besorgen hatte. Ein Soldat, der einen Verbrecher schlug oder seine Bernauer wußte dies ohne Zweifel; auch mochte er sich wohl in der That Dieser beharrte aber trotz aller angewandten Mittel bei seiner Behauptung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147714"/> <p xml:id="ID_193" prev="#ID_192"> Scherge zu besorgen hatte. Ein Soldat, der einen Verbrecher schlug oder seine<lb/> Ketten freiwillig berührte oder ihm auch nur etwas von Hand zu Hand reichte,<lb/> galt für unehrlich oder, wie man es nannte, „schindermäßig" und durfte, bevor<lb/> er nicht wieder rehabilitiert war, seinen Dienst nicht versehen. In größeren<lb/> Armeen geriethen derartige Regeln allmählich in Vergessenheit, in kleineren<lb/> hielten sie sich länger und wurden gewöhnlich um so eifriger beobachtet, je<lb/> schlimmer es im übrigen mit der Disciplin aussah. Die Augsburger Stadt¬<lb/> gardisten nahmen es jedenfalls sehr genau damit. Die ganze Truppe befand<lb/> sich in Folge verschiedener Andeutungen, die Löser hatte fallen lassen, in etwas<lb/> rebellischer Stimmung gegen den vorgeblich schindermäßigen Unteroffizier.</p><lb/> <p xml:id="ID_194"> Bernauer wußte dies ohne Zweifel; auch mochte er sich wohl in der That<lb/> nicht ganz rein fühlen. Daher wagte er nicht, dem frechen Untergebenen zu<lb/> erwiedern, wie er es verdiente, sondern ging brummend ab und beklagte sich bei<lb/> seinen Vorgesetzten, den beiden Hauptleuten der Stadtgarde. Diese hielten es<lb/> jedoch, nachdem sie sich von der unter den Gardisten herrschenden Aufregung<lb/> überzeugt hatten, im Einverständnisse mit den Stadtpflegern für nothwendig, eine<lb/> Untersuchung über diese neue Angelegenheit einzuleiten, nicht um dem angegrif¬<lb/> fenen Unteroffizier zu schaden, sondern vielmehr um die Mannschaften zu be¬<lb/> unruhigen und den unverschämten Musketier einzuschüchtern.</p><lb/> <p xml:id="ID_195" next="#ID_196"> Dieser beharrte aber trotz aller angewandten Mittel bei seiner Behauptung<lb/> und führte zum Beweise derselben eine ganze Reihe höchst detaillirter Angaben<lb/> vor: Bernauer habe z, B. schon im Schießgraben bei der Ablieferung des Ge¬<lb/> fangenen dessen Handeisen aufgehoben und mit einem Hölzchen gemessen; er<lb/> habe ihm ferner zu Hoheuwarth, einem Oertchen auf der Straße nach Schongau,<lb/> sein Halseisen abgenommen, mit einem Lumpen umwickelt und darauf wieder<lb/> angelegt — der dortige Wirth und dessen Magd würden dies bezeugen können;<lb/> dann habe Bernauer unterwegs dem Sträflinge öfters Feuer und Tabak ge¬<lb/> reicht; in einem Orte hinter Insbruck habe er ihn sogar einmal mit seinem<lb/> Stocke wund geschlagen — daher der Ausdruck „Schinderstecken" — und vieles<lb/> mehr der Art. Der Unteroffizier stellte alles entschieden in Abrede, und es ist<lb/> nicht wenig charakteristisch, auf welche haarspaltendeu Unterschiede dabei in aller<lb/> Ernsthaftigkeit eingegangen wurde. Er gab zu, daß er im Schießgraben das<lb/> Handeisen mit einem Hölzchen gemessen, weil es zu enge gewesen und ein an¬<lb/> deres habe gemacht werden müssen, doch habe er das Eisen selbst nicht berührt,<lb/> dasselbe sei ruhig auf dem Tische liegen geblieben; zu Hoheuwarth habe der<lb/> Gefangene sich das Halseisen selber aufgeschlossen, abgenommen und wieder an¬<lb/> gelegt, eine Mhterin aber, nicht er, habe den Lumpen darum gewickelt und fest¬<lb/> genäht, er habe nnr dabei gestanden und Anordnungen gegeben; niemals habe<lb/> er dem Maleficanten Tabak und Feuer von Hand zu Hand gereicht, sondern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
Scherge zu besorgen hatte. Ein Soldat, der einen Verbrecher schlug oder seine
Ketten freiwillig berührte oder ihm auch nur etwas von Hand zu Hand reichte,
galt für unehrlich oder, wie man es nannte, „schindermäßig" und durfte, bevor
er nicht wieder rehabilitiert war, seinen Dienst nicht versehen. In größeren
Armeen geriethen derartige Regeln allmählich in Vergessenheit, in kleineren
hielten sie sich länger und wurden gewöhnlich um so eifriger beobachtet, je
schlimmer es im übrigen mit der Disciplin aussah. Die Augsburger Stadt¬
gardisten nahmen es jedenfalls sehr genau damit. Die ganze Truppe befand
sich in Folge verschiedener Andeutungen, die Löser hatte fallen lassen, in etwas
rebellischer Stimmung gegen den vorgeblich schindermäßigen Unteroffizier.
Bernauer wußte dies ohne Zweifel; auch mochte er sich wohl in der That
nicht ganz rein fühlen. Daher wagte er nicht, dem frechen Untergebenen zu
erwiedern, wie er es verdiente, sondern ging brummend ab und beklagte sich bei
seinen Vorgesetzten, den beiden Hauptleuten der Stadtgarde. Diese hielten es
jedoch, nachdem sie sich von der unter den Gardisten herrschenden Aufregung
überzeugt hatten, im Einverständnisse mit den Stadtpflegern für nothwendig, eine
Untersuchung über diese neue Angelegenheit einzuleiten, nicht um dem angegrif¬
fenen Unteroffizier zu schaden, sondern vielmehr um die Mannschaften zu be¬
unruhigen und den unverschämten Musketier einzuschüchtern.
Dieser beharrte aber trotz aller angewandten Mittel bei seiner Behauptung
und führte zum Beweise derselben eine ganze Reihe höchst detaillirter Angaben
vor: Bernauer habe z, B. schon im Schießgraben bei der Ablieferung des Ge¬
fangenen dessen Handeisen aufgehoben und mit einem Hölzchen gemessen; er
habe ihm ferner zu Hoheuwarth, einem Oertchen auf der Straße nach Schongau,
sein Halseisen abgenommen, mit einem Lumpen umwickelt und darauf wieder
angelegt — der dortige Wirth und dessen Magd würden dies bezeugen können;
dann habe Bernauer unterwegs dem Sträflinge öfters Feuer und Tabak ge¬
reicht; in einem Orte hinter Insbruck habe er ihn sogar einmal mit seinem
Stocke wund geschlagen — daher der Ausdruck „Schinderstecken" — und vieles
mehr der Art. Der Unteroffizier stellte alles entschieden in Abrede, und es ist
nicht wenig charakteristisch, auf welche haarspaltendeu Unterschiede dabei in aller
Ernsthaftigkeit eingegangen wurde. Er gab zu, daß er im Schießgraben das
Handeisen mit einem Hölzchen gemessen, weil es zu enge gewesen und ein an¬
deres habe gemacht werden müssen, doch habe er das Eisen selbst nicht berührt,
dasselbe sei ruhig auf dem Tische liegen geblieben; zu Hoheuwarth habe der
Gefangene sich das Halseisen selber aufgeschlossen, abgenommen und wieder an¬
gelegt, eine Mhterin aber, nicht er, habe den Lumpen darum gewickelt und fest¬
genäht, er habe nnr dabei gestanden und Anordnungen gegeben; niemals habe
er dem Maleficanten Tabak und Feuer von Hand zu Hand gereicht, sondern
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