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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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dem strengsten Stilisten weder in seiner architektonischen Gliederung, noch in
seiner überaus reichen und schwungvollen Ornamentierung einen Anlaß zur Un¬
zufriedenheit geben. Es ist das vollkommenste unter vieren, die einander so
ähnlich sind, daß man geneigt ist, an eine gemeinsame Entstehungszeit zu denken.
Das eine derselben, im Grünen Gewölbe zu Dresden befindlich, trägt anßer dem
Monogramm ^ (Wenzel) die Jahreszahl 1557. Es ist also die Zeit, in welcher
der 1508 geborene Meister auf der vollen Höhe seines Könnens stand, und
dem entspricht auch die Erfindung und Ausführung der vier Kästchen. Unter
dem Deckel eines jeden derselben zieht sich ein dorischer Triglyphenfries hin,
welcher in den Metopen abwechselnd einen Stierschädel und einen Schild oder
eine Schaale zeigt -- ein häufiges Motiv der italienischen Renaissance, welches
Jamnitzer so lieb gewonnen hatte, daß er nicht müde wurde, es zu wiederholen.
Für uns bildet es mithin ein charakteristisches Erkennungszeichen seiner Werke,
welches auch dem großen silbervergoldeten und mit Email verzierten Pokale im
königlichen Schlosse zu Berlin nicht fehlt, wo man den Fries unterhalb der
obersten Ausladung des Bechers sieht. Er findet sich endlich auf einer im
Berliner Kupferstichcabinet befindlichen Radierung Jamnitzers, welcher einen
Entwurf zu dem nicht mit einer Jahreszahl bezeichneten, größern der beiden
Dresdner Schmuckkästchen bildet und mit dem vollen Namen Jamnitzers und
dem Datum 1551 versehen ist.'") Wir haben also in dieser Radierung ein
zweites Zeugniß für unsere Vermuthung, daß alle vier Schmuckkästchen gleich¬
zeitig, in der Zeit etwa von 1550--1560, entstanden sind.

Die Constatierung dieses Datums ist für uns doppelt werthvoll, einmal,
weil die Geschichte des deutscheu Kunstgewerbes im 16. Jahrhundert nur erst
in sehr losen Umrissen vor uns steht, jedes neu gewonnene Datum für uns
also von größter Wichtigkeit ist, dann aber, weil dadurch als sicher angenommen
werden kann, daß Wentzel Jamnitzer das in der bairischen Schatzkammer be¬
findliche Schmuckkästchen nicht im Auftrage des erst 1579 zur Regierung ge¬
langten Herzogs Wilhelm V. gearbeitet haben kann, sondern daß dieser durch
einen Gelegenheitskanf dazu gekommen ist. Jamnitzer starb am 15. December
1585. Er müßte also, da er 1508 geboren wurde, ein Siebziger gewesen sein,
wenn er das in Rede stehende Kästchen für Herzog Wilhelm gearbeitet hätte.
Dagegen sprechen auch innere Gründe. Die ganze Composition ist so jugendlich
frisch, die Arabesken in den emaillierten Füllungen, die mit den in Silber ge¬
triebenen Darstellungen der Herkuleskämpfe abwechseln, so schwungvoll und die
übrige Ornamentation so fein und graziös, daß die schwerfällige Hand eines



*) Vgl, R> Vergau, Wenzel Jcimihers Entwürfe zu Prachtgefäßen in Silber und
Gold, Berlin, Paul Bette,

dem strengsten Stilisten weder in seiner architektonischen Gliederung, noch in
seiner überaus reichen und schwungvollen Ornamentierung einen Anlaß zur Un¬
zufriedenheit geben. Es ist das vollkommenste unter vieren, die einander so
ähnlich sind, daß man geneigt ist, an eine gemeinsame Entstehungszeit zu denken.
Das eine derselben, im Grünen Gewölbe zu Dresden befindlich, trägt anßer dem
Monogramm ^ (Wenzel) die Jahreszahl 1557. Es ist also die Zeit, in welcher
der 1508 geborene Meister auf der vollen Höhe seines Könnens stand, und
dem entspricht auch die Erfindung und Ausführung der vier Kästchen. Unter
dem Deckel eines jeden derselben zieht sich ein dorischer Triglyphenfries hin,
welcher in den Metopen abwechselnd einen Stierschädel und einen Schild oder
eine Schaale zeigt — ein häufiges Motiv der italienischen Renaissance, welches
Jamnitzer so lieb gewonnen hatte, daß er nicht müde wurde, es zu wiederholen.
Für uns bildet es mithin ein charakteristisches Erkennungszeichen seiner Werke,
welches auch dem großen silbervergoldeten und mit Email verzierten Pokale im
königlichen Schlosse zu Berlin nicht fehlt, wo man den Fries unterhalb der
obersten Ausladung des Bechers sieht. Er findet sich endlich auf einer im
Berliner Kupferstichcabinet befindlichen Radierung Jamnitzers, welcher einen
Entwurf zu dem nicht mit einer Jahreszahl bezeichneten, größern der beiden
Dresdner Schmuckkästchen bildet und mit dem vollen Namen Jamnitzers und
dem Datum 1551 versehen ist.'") Wir haben also in dieser Radierung ein
zweites Zeugniß für unsere Vermuthung, daß alle vier Schmuckkästchen gleich¬
zeitig, in der Zeit etwa von 1550—1560, entstanden sind.

Die Constatierung dieses Datums ist für uns doppelt werthvoll, einmal,
weil die Geschichte des deutscheu Kunstgewerbes im 16. Jahrhundert nur erst
in sehr losen Umrissen vor uns steht, jedes neu gewonnene Datum für uns
also von größter Wichtigkeit ist, dann aber, weil dadurch als sicher angenommen
werden kann, daß Wentzel Jamnitzer das in der bairischen Schatzkammer be¬
findliche Schmuckkästchen nicht im Auftrage des erst 1579 zur Regierung ge¬
langten Herzogs Wilhelm V. gearbeitet haben kann, sondern daß dieser durch
einen Gelegenheitskanf dazu gekommen ist. Jamnitzer starb am 15. December
1585. Er müßte also, da er 1508 geboren wurde, ein Siebziger gewesen sein,
wenn er das in Rede stehende Kästchen für Herzog Wilhelm gearbeitet hätte.
Dagegen sprechen auch innere Gründe. Die ganze Composition ist so jugendlich
frisch, die Arabesken in den emaillierten Füllungen, die mit den in Silber ge¬
triebenen Darstellungen der Herkuleskämpfe abwechseln, so schwungvoll und die
übrige Ornamentation so fein und graziös, daß die schwerfällige Hand eines



*) Vgl, R> Vergau, Wenzel Jcimihers Entwürfe zu Prachtgefäßen in Silber und
Gold, Berlin, Paul Bette,
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[0514] dem strengsten Stilisten weder in seiner architektonischen Gliederung, noch in seiner überaus reichen und schwungvollen Ornamentierung einen Anlaß zur Un¬ zufriedenheit geben. Es ist das vollkommenste unter vieren, die einander so ähnlich sind, daß man geneigt ist, an eine gemeinsame Entstehungszeit zu denken. Das eine derselben, im Grünen Gewölbe zu Dresden befindlich, trägt anßer dem Monogramm ^ (Wenzel) die Jahreszahl 1557. Es ist also die Zeit, in welcher der 1508 geborene Meister auf der vollen Höhe seines Könnens stand, und dem entspricht auch die Erfindung und Ausführung der vier Kästchen. Unter dem Deckel eines jeden derselben zieht sich ein dorischer Triglyphenfries hin, welcher in den Metopen abwechselnd einen Stierschädel und einen Schild oder eine Schaale zeigt — ein häufiges Motiv der italienischen Renaissance, welches Jamnitzer so lieb gewonnen hatte, daß er nicht müde wurde, es zu wiederholen. Für uns bildet es mithin ein charakteristisches Erkennungszeichen seiner Werke, welches auch dem großen silbervergoldeten und mit Email verzierten Pokale im königlichen Schlosse zu Berlin nicht fehlt, wo man den Fries unterhalb der obersten Ausladung des Bechers sieht. Er findet sich endlich auf einer im Berliner Kupferstichcabinet befindlichen Radierung Jamnitzers, welcher einen Entwurf zu dem nicht mit einer Jahreszahl bezeichneten, größern der beiden Dresdner Schmuckkästchen bildet und mit dem vollen Namen Jamnitzers und dem Datum 1551 versehen ist.'") Wir haben also in dieser Radierung ein zweites Zeugniß für unsere Vermuthung, daß alle vier Schmuckkästchen gleich¬ zeitig, in der Zeit etwa von 1550—1560, entstanden sind. Die Constatierung dieses Datums ist für uns doppelt werthvoll, einmal, weil die Geschichte des deutscheu Kunstgewerbes im 16. Jahrhundert nur erst in sehr losen Umrissen vor uns steht, jedes neu gewonnene Datum für uns also von größter Wichtigkeit ist, dann aber, weil dadurch als sicher angenommen werden kann, daß Wentzel Jamnitzer das in der bairischen Schatzkammer be¬ findliche Schmuckkästchen nicht im Auftrage des erst 1579 zur Regierung ge¬ langten Herzogs Wilhelm V. gearbeitet haben kann, sondern daß dieser durch einen Gelegenheitskanf dazu gekommen ist. Jamnitzer starb am 15. December 1585. Er müßte also, da er 1508 geboren wurde, ein Siebziger gewesen sein, wenn er das in Rede stehende Kästchen für Herzog Wilhelm gearbeitet hätte. Dagegen sprechen auch innere Gründe. Die ganze Composition ist so jugendlich frisch, die Arabesken in den emaillierten Füllungen, die mit den in Silber ge¬ triebenen Darstellungen der Herkuleskämpfe abwechseln, so schwungvoll und die übrige Ornamentation so fein und graziös, daß die schwerfällige Hand eines *) Vgl, R> Vergau, Wenzel Jcimihers Entwürfe zu Prachtgefäßen in Silber und Gold, Berlin, Paul Bette,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/514>, abgerufen am 06.01.2025.