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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Greises niemals etwas ähnliches zu Wege gebracht haben könnte. Das bairische
Kästchen verdient unter den vier gleichartigen auch deswegen den Preis, weil
die vorkommenden Figuren - es sind vier Karyatidenhermen an den vier Ecken,
welche den Fries tragen, und zwei weibliche Figuren in Nischen an den beiden
Längsseiten -- mehr ornamental behandelt sind und deshalb nicht den Anspruch
auf die Bedeutung selbständiger plastischer Kunstwerke erheben. Denn die Durch¬
bildung des Figürlichem ist die schwache Seite dieses sonst so ausgezeichneten
Meisters. Schon die weibliche, als "Mutter Erde" gedeutete Figur, die auf einen
von Blumen bewachsenen Felsen gestellt als tragendes Glied des Merkelschen
Tafelaufsatzes dient, ist von einer gewissen Manieriertheit, namentlich in dem
Bewegungsmotiv der ausgebogenen Hüfte, nicht freizusprechen. Noch manie¬
rierter und dazu ganz flach und ausdruckslos ist die weibliche Figur, die auf
dem Deckel des kleinern der Dresdner Schmuckkästchen sitzt. Zu ihren Füßen
steht eine kleine Vase mit einem Korallenzweige, wieder eines der naturalistischen
Kunststücke Jamnitzers, um deretwillen seine Zeitgenossin ihn höchlich rühmten.

Ein nicht geringer Reiz dieser Juweleutastchen liegt in ihrer farbigen
Wirkung. Die bairische Cassette ist mit Rubinen, Smaragden und Brillanten,
die in Rosetten eingelassen und knopfartig in die die Füllungen umschließenden
Bartstreifen eingesetzt sind, aufs reichste geschmückt. So ergiebt sich zwischen
Roth, Grün, Weiß, Gold und Email ein Farbenspiel, dessen sich unsere modernen
Augen ganz entwöhnt haben.

Der Stil des Empire und mehr noch der Schinkelsche NeoHellenismus
haben die Farblosigkeit in unserm Kunstgewerbe und insbesondere in der Ju¬
welierarbeit gewissermaßen zum Princip erhoben, von dem man fast ein halbes
Jahrhundert nicht abgewichen ist. Die französischen Juweliere haben sich mit
ihren farblosen Fassungen von Edelsteinen den Geschmack der Damen so unter-
thänig gemacht, daß die Versuche, auch den weiblichen Schmuck nach den Mustern
der Renaissance zu regenerieren und mit der Farbe neues Leben in diesen Zweig
der Kunstindustrie einzuführen, vorläufig noch auf zähen Widerstand stoßen.
Aber man muß sich mit der alten Wahrheit trösten, daß kein Baum auf den
ersten Hieb fällt. Wie sich das farbige Leinentischzeug wider Erwarten schnell
die Gunst unserer Damen erworben hat, so wird auch für den farbigen Gold¬
schmuck seine Zeit kommen.

Dazu will unsere Publication der Prachtstücke der bairischen Schatzkammer
auch helfen. Sie bietet uns u. a. die große goldene Ordenskette, welche zu dem
1565 gestifteten Fideicommiß Albrechts V. gehörte und noch heute von dem
Könige von Baiern bei den Ordensfesten des Se. Georgs-Ritterordens getragen
wird. Man schreibt den Entwurf dieser aus Rubinen, Smaragden und Perlen
in reichster Goldfassung zusammengesetzten Kette, deren Anhänger namentlich von


Greises niemals etwas ähnliches zu Wege gebracht haben könnte. Das bairische
Kästchen verdient unter den vier gleichartigen auch deswegen den Preis, weil
die vorkommenden Figuren - es sind vier Karyatidenhermen an den vier Ecken,
welche den Fries tragen, und zwei weibliche Figuren in Nischen an den beiden
Längsseiten — mehr ornamental behandelt sind und deshalb nicht den Anspruch
auf die Bedeutung selbständiger plastischer Kunstwerke erheben. Denn die Durch¬
bildung des Figürlichem ist die schwache Seite dieses sonst so ausgezeichneten
Meisters. Schon die weibliche, als „Mutter Erde" gedeutete Figur, die auf einen
von Blumen bewachsenen Felsen gestellt als tragendes Glied des Merkelschen
Tafelaufsatzes dient, ist von einer gewissen Manieriertheit, namentlich in dem
Bewegungsmotiv der ausgebogenen Hüfte, nicht freizusprechen. Noch manie¬
rierter und dazu ganz flach und ausdruckslos ist die weibliche Figur, die auf
dem Deckel des kleinern der Dresdner Schmuckkästchen sitzt. Zu ihren Füßen
steht eine kleine Vase mit einem Korallenzweige, wieder eines der naturalistischen
Kunststücke Jamnitzers, um deretwillen seine Zeitgenossin ihn höchlich rühmten.

Ein nicht geringer Reiz dieser Juweleutastchen liegt in ihrer farbigen
Wirkung. Die bairische Cassette ist mit Rubinen, Smaragden und Brillanten,
die in Rosetten eingelassen und knopfartig in die die Füllungen umschließenden
Bartstreifen eingesetzt sind, aufs reichste geschmückt. So ergiebt sich zwischen
Roth, Grün, Weiß, Gold und Email ein Farbenspiel, dessen sich unsere modernen
Augen ganz entwöhnt haben.

Der Stil des Empire und mehr noch der Schinkelsche NeoHellenismus
haben die Farblosigkeit in unserm Kunstgewerbe und insbesondere in der Ju¬
welierarbeit gewissermaßen zum Princip erhoben, von dem man fast ein halbes
Jahrhundert nicht abgewichen ist. Die französischen Juweliere haben sich mit
ihren farblosen Fassungen von Edelsteinen den Geschmack der Damen so unter-
thänig gemacht, daß die Versuche, auch den weiblichen Schmuck nach den Mustern
der Renaissance zu regenerieren und mit der Farbe neues Leben in diesen Zweig
der Kunstindustrie einzuführen, vorläufig noch auf zähen Widerstand stoßen.
Aber man muß sich mit der alten Wahrheit trösten, daß kein Baum auf den
ersten Hieb fällt. Wie sich das farbige Leinentischzeug wider Erwarten schnell
die Gunst unserer Damen erworben hat, so wird auch für den farbigen Gold¬
schmuck seine Zeit kommen.

Dazu will unsere Publication der Prachtstücke der bairischen Schatzkammer
auch helfen. Sie bietet uns u. a. die große goldene Ordenskette, welche zu dem
1565 gestifteten Fideicommiß Albrechts V. gehörte und noch heute von dem
Könige von Baiern bei den Ordensfesten des Se. Georgs-Ritterordens getragen
wird. Man schreibt den Entwurf dieser aus Rubinen, Smaragden und Perlen
in reichster Goldfassung zusammengesetzten Kette, deren Anhänger namentlich von


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[0515] Greises niemals etwas ähnliches zu Wege gebracht haben könnte. Das bairische Kästchen verdient unter den vier gleichartigen auch deswegen den Preis, weil die vorkommenden Figuren - es sind vier Karyatidenhermen an den vier Ecken, welche den Fries tragen, und zwei weibliche Figuren in Nischen an den beiden Längsseiten — mehr ornamental behandelt sind und deshalb nicht den Anspruch auf die Bedeutung selbständiger plastischer Kunstwerke erheben. Denn die Durch¬ bildung des Figürlichem ist die schwache Seite dieses sonst so ausgezeichneten Meisters. Schon die weibliche, als „Mutter Erde" gedeutete Figur, die auf einen von Blumen bewachsenen Felsen gestellt als tragendes Glied des Merkelschen Tafelaufsatzes dient, ist von einer gewissen Manieriertheit, namentlich in dem Bewegungsmotiv der ausgebogenen Hüfte, nicht freizusprechen. Noch manie¬ rierter und dazu ganz flach und ausdruckslos ist die weibliche Figur, die auf dem Deckel des kleinern der Dresdner Schmuckkästchen sitzt. Zu ihren Füßen steht eine kleine Vase mit einem Korallenzweige, wieder eines der naturalistischen Kunststücke Jamnitzers, um deretwillen seine Zeitgenossin ihn höchlich rühmten. Ein nicht geringer Reiz dieser Juweleutastchen liegt in ihrer farbigen Wirkung. Die bairische Cassette ist mit Rubinen, Smaragden und Brillanten, die in Rosetten eingelassen und knopfartig in die die Füllungen umschließenden Bartstreifen eingesetzt sind, aufs reichste geschmückt. So ergiebt sich zwischen Roth, Grün, Weiß, Gold und Email ein Farbenspiel, dessen sich unsere modernen Augen ganz entwöhnt haben. Der Stil des Empire und mehr noch der Schinkelsche NeoHellenismus haben die Farblosigkeit in unserm Kunstgewerbe und insbesondere in der Ju¬ welierarbeit gewissermaßen zum Princip erhoben, von dem man fast ein halbes Jahrhundert nicht abgewichen ist. Die französischen Juweliere haben sich mit ihren farblosen Fassungen von Edelsteinen den Geschmack der Damen so unter- thänig gemacht, daß die Versuche, auch den weiblichen Schmuck nach den Mustern der Renaissance zu regenerieren und mit der Farbe neues Leben in diesen Zweig der Kunstindustrie einzuführen, vorläufig noch auf zähen Widerstand stoßen. Aber man muß sich mit der alten Wahrheit trösten, daß kein Baum auf den ersten Hieb fällt. Wie sich das farbige Leinentischzeug wider Erwarten schnell die Gunst unserer Damen erworben hat, so wird auch für den farbigen Gold¬ schmuck seine Zeit kommen. Dazu will unsere Publication der Prachtstücke der bairischen Schatzkammer auch helfen. Sie bietet uns u. a. die große goldene Ordenskette, welche zu dem 1565 gestifteten Fideicommiß Albrechts V. gehörte und noch heute von dem Könige von Baiern bei den Ordensfesten des Se. Georgs-Ritterordens getragen wird. Man schreibt den Entwurf dieser aus Rubinen, Smaragden und Perlen in reichster Goldfassung zusammengesetzten Kette, deren Anhänger namentlich von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/515>, abgerufen am 07.01.2025.