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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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ausweicht, verdient alle Anerkennung. Delbrück giebt drei getrennte Abhandlungen.
In der ersten bespricht er den Krieg von 1814, die zweite hat die Friedens-
verhandlungen zum Gegenstande, die dritte führt die Geschichte des Krieges von
1815 bis zum Sturze Napoleons und zum zweiten Pariser Frieden. Jedem
der drei Abschnitte läßt der Verfasser den Briefwechsel Gneisenaus folgen. Bei¬
gegeben sind dem Buche eine Reihe von Ackerstücken und Excurse, die weitere
Ausführungen enthalten oder dazu dienen, den Standpunkt, den der Verfasser
einzelnen Fragen gegenüber einnimmt, näher zu begründen. Aber eine Biogra¬
phie ist damit das Werk auch nicht geworden. Allzusehr tritt Gneisenans Person
hinter den Ereignissen zurück. So manches treffende Wort des Generals, so
mancher bezeichnende Charakterzug, von dem wir bei anderen Schriftstellern
lesen, ist übergangen. Viele Briefe, die für die Beurtheilung Gneisenaus von
höchstem Werthe sind, lesen wir wohl in der Sammlung, besprochen werden sie
aber wider Erwarten nirgends. Dennoch muß anerkannt werden, daß der dar¬
stellende Theil des Buches frisch und übersichtlich geschrieben ist und auf sorg¬
fältiger und selbständiger Forschung beruht. Alles, was nöthig ist um den
Gneisenauschen Briefwechsel zu verstehen, finden wir in befriedigender Weise
behandelt. Der Natur der Sache nach sind die diplomatischen Verhandlungen
und die politische Lage nur so weit als es nothwendig war besprochen, während
die militärischen Operationen, vor allem die Operationen der schlesischen Armee,
an deren Spitze Fürst Blücher mit seinem Generalstabschef Gneisenau stand,
besondere Beachtung gefunden haben. Um Gneisenans Antheil an den Erfolgen
jener Armee ermessen zu können, dürfte es gerathen sein, vor allem Gneisenaus
Stellung zu Blücher zu charakterisieren.

Der Chef des Generalstabes hatte ursprünglich keine andere Ausgabe gehabt,
als einerseits die in jedem Augenblicke vorhandene Lage der Dinge nach Daten,
Zahlen und Nachrichten dem Commandierenden zu unterbreiten, andererseits
dessen darauf erfolgende Befehle im Detail auszuarbeiten und den Truppen zu¬
kommen zu lassen. Gneisenau hatte sich für diese Stellung jede Befähigung
abgesprochen und für sich selbst eine ganz andere Aufgabe ausgebildet der Art,
daß er den Vortrag über die strategische Situation übernahm und damit stets
den Vorschlag über die Heeresleitung verknüpfte. Blücher hat, wie wir wissen,
Gneisenaus Rath immer befolgt, und Gneisenau betrachtet sich in den Briefen
an seine Vertrauten immer als den Verantwortlicher bei Blüchers Beschlüssen.
Man hat oft gesagt, beide Männer hätten sich in ihren Anlagen und ihrem
Charakter ergänzt. Mit Recht weist aber Delbrück darauf hin, daß dieser
Satz falsch wäre, wenn man daraus schließen wollte, daß Gneisenau irgendwelche
dem Feldherrn nothwendige Gaben gefehlt hätten, die Blücher besaß: weder
Kühnheit noch Beharrlichkeit im Unglück. Finden wir doch, daß nach Unfällen


ausweicht, verdient alle Anerkennung. Delbrück giebt drei getrennte Abhandlungen.
In der ersten bespricht er den Krieg von 1814, die zweite hat die Friedens-
verhandlungen zum Gegenstande, die dritte führt die Geschichte des Krieges von
1815 bis zum Sturze Napoleons und zum zweiten Pariser Frieden. Jedem
der drei Abschnitte läßt der Verfasser den Briefwechsel Gneisenaus folgen. Bei¬
gegeben sind dem Buche eine Reihe von Ackerstücken und Excurse, die weitere
Ausführungen enthalten oder dazu dienen, den Standpunkt, den der Verfasser
einzelnen Fragen gegenüber einnimmt, näher zu begründen. Aber eine Biogra¬
phie ist damit das Werk auch nicht geworden. Allzusehr tritt Gneisenans Person
hinter den Ereignissen zurück. So manches treffende Wort des Generals, so
mancher bezeichnende Charakterzug, von dem wir bei anderen Schriftstellern
lesen, ist übergangen. Viele Briefe, die für die Beurtheilung Gneisenaus von
höchstem Werthe sind, lesen wir wohl in der Sammlung, besprochen werden sie
aber wider Erwarten nirgends. Dennoch muß anerkannt werden, daß der dar¬
stellende Theil des Buches frisch und übersichtlich geschrieben ist und auf sorg¬
fältiger und selbständiger Forschung beruht. Alles, was nöthig ist um den
Gneisenauschen Briefwechsel zu verstehen, finden wir in befriedigender Weise
behandelt. Der Natur der Sache nach sind die diplomatischen Verhandlungen
und die politische Lage nur so weit als es nothwendig war besprochen, während
die militärischen Operationen, vor allem die Operationen der schlesischen Armee,
an deren Spitze Fürst Blücher mit seinem Generalstabschef Gneisenau stand,
besondere Beachtung gefunden haben. Um Gneisenans Antheil an den Erfolgen
jener Armee ermessen zu können, dürfte es gerathen sein, vor allem Gneisenaus
Stellung zu Blücher zu charakterisieren.

Der Chef des Generalstabes hatte ursprünglich keine andere Ausgabe gehabt,
als einerseits die in jedem Augenblicke vorhandene Lage der Dinge nach Daten,
Zahlen und Nachrichten dem Commandierenden zu unterbreiten, andererseits
dessen darauf erfolgende Befehle im Detail auszuarbeiten und den Truppen zu¬
kommen zu lassen. Gneisenau hatte sich für diese Stellung jede Befähigung
abgesprochen und für sich selbst eine ganz andere Aufgabe ausgebildet der Art,
daß er den Vortrag über die strategische Situation übernahm und damit stets
den Vorschlag über die Heeresleitung verknüpfte. Blücher hat, wie wir wissen,
Gneisenaus Rath immer befolgt, und Gneisenau betrachtet sich in den Briefen
an seine Vertrauten immer als den Verantwortlicher bei Blüchers Beschlüssen.
Man hat oft gesagt, beide Männer hätten sich in ihren Anlagen und ihrem
Charakter ergänzt. Mit Recht weist aber Delbrück darauf hin, daß dieser
Satz falsch wäre, wenn man daraus schließen wollte, daß Gneisenau irgendwelche
dem Feldherrn nothwendige Gaben gefehlt hätten, die Blücher besaß: weder
Kühnheit noch Beharrlichkeit im Unglück. Finden wir doch, daß nach Unfällen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/50>, abgerufen am 28.12.2024.