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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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als See betrachteten. Die historischen Grundlagen, deren man sich zu diesen
letzten Annahmen bediente, sind arg verwischt. Es lag nahe, bei der Voreinge¬
nommenheit für die Erdinsellehre im kaspischen Meere einen nördlichen Meer¬
busen nach Art der im Süden bekannt gewordenen zu suchen und ein Seiten¬
stück zu Nearchs ruhmvoller Fahrt zu leisten. Der südliche Theil des Meeres
war zugleich mit dem Oxus, auf dem damals noch die Waaren östlicher Länder
bis in dasselbe geführt wurden, von Patrokles, einem hohen Beamten des syri¬
schen Königshauses, untersucht worden. Die Verfolgung der Küsten nach Norden
war nicht gelungen, wodurch der Eindruck der Offenheit nach jener Seite hin
verstärkt worden fein mag. Haben spätere Compilatoren daraus die Nachricht
gefälscht, Patrokles sei als Admiral des Antiochus um ganz Ostasien herumge¬
segelt, so bescheidet sich Strabo bei der Angabe, man sei nicht einig über die
Thatsächliche der Umsegelung, Patrokles habe nur die Möglichkeit derselben
verbürgt, nimmt diese aber auf das Zeugniß des von ihm wie von Eratosthenes
hochgeschätzten Mannes als ausgemachte Sache an. Für die Verzeichnung der
Küsten Europas folgte Eratosthenes nach dem Zeugnisse des Polybius und
Strabo dem Pytheas, aber nur bis nach Britannien. Es läßt sich erkennen,
daß er nach dessen Fahrtangaben die westlichen Vorgebirge Spaniens beschrieb
und das äußerste derselben weit in den Ocean hinausschob, das Einschneiden
des Biskayischen Golfes, der bei den spätern Geographen die gleichfalls flache
Rundung dieser Westküsten kaum beeinträchtigte, richtig heraushob und nament¬
lich die Halbinsel der Bretagne so weit nach Westen zurückbog, daß sie fast die
geographische Länge des westlichen Spaniens wieder erreichte. Er beschrieb den
Canal und stellte die Straße von Calais als eine nicht allzu breite Meerenge
mit constanter Strömung dar. Den Grundriß Britanniens entwarf er als ein
großes stumpfwinkliges Dreieck, welches seine größte, 20000 Stadien (500 M.)
lange Seite von Südwest nach Nordost gestreckt dem nordwestlichen Ocean ent¬
gegenhielt, mit den andern Seiten dem Keltenlande, d. h. nach unsern Begriffen
Frankreich und der deutschen Nordseeküste gegenüber lag und sich mit dem
stumpfen Winkel bei jener Meerenge dem Festlande am meisten näherte. Die
äußerste der britannischen Inseln, Thule, versetzte er auf 66° n. Br. und in die
Länge des Pontus Euxinus, über seine Zeichnung der Festlandküsten vom Rheine
an ist aber nichts überliefert. Er verließ hier die Führung des Pytheas, wie
Polybius andeutet, und es ist wohl möglich und nicht ohne alle Spuren, daß
Pytheas hier nicht nur von großen Meerbusen und Inseln, sondern von einer
Küstenentwicklung berichtet habe, welche die Weiterfahrt nach Osten hemmte und
mit der Erdinseltheorie schlecht in Einklang zu bringen war. Nach Strabos
Ansichten blieb auch hier ein Stück unbefahrener Küste übrig, das der erwähn¬
ten unbekannten Küstenstrecke Libyens an Geringfügigkeit entsprach. Den allge-


als See betrachteten. Die historischen Grundlagen, deren man sich zu diesen
letzten Annahmen bediente, sind arg verwischt. Es lag nahe, bei der Voreinge¬
nommenheit für die Erdinsellehre im kaspischen Meere einen nördlichen Meer¬
busen nach Art der im Süden bekannt gewordenen zu suchen und ein Seiten¬
stück zu Nearchs ruhmvoller Fahrt zu leisten. Der südliche Theil des Meeres
war zugleich mit dem Oxus, auf dem damals noch die Waaren östlicher Länder
bis in dasselbe geführt wurden, von Patrokles, einem hohen Beamten des syri¬
schen Königshauses, untersucht worden. Die Verfolgung der Küsten nach Norden
war nicht gelungen, wodurch der Eindruck der Offenheit nach jener Seite hin
verstärkt worden fein mag. Haben spätere Compilatoren daraus die Nachricht
gefälscht, Patrokles sei als Admiral des Antiochus um ganz Ostasien herumge¬
segelt, so bescheidet sich Strabo bei der Angabe, man sei nicht einig über die
Thatsächliche der Umsegelung, Patrokles habe nur die Möglichkeit derselben
verbürgt, nimmt diese aber auf das Zeugniß des von ihm wie von Eratosthenes
hochgeschätzten Mannes als ausgemachte Sache an. Für die Verzeichnung der
Küsten Europas folgte Eratosthenes nach dem Zeugnisse des Polybius und
Strabo dem Pytheas, aber nur bis nach Britannien. Es läßt sich erkennen,
daß er nach dessen Fahrtangaben die westlichen Vorgebirge Spaniens beschrieb
und das äußerste derselben weit in den Ocean hinausschob, das Einschneiden
des Biskayischen Golfes, der bei den spätern Geographen die gleichfalls flache
Rundung dieser Westküsten kaum beeinträchtigte, richtig heraushob und nament¬
lich die Halbinsel der Bretagne so weit nach Westen zurückbog, daß sie fast die
geographische Länge des westlichen Spaniens wieder erreichte. Er beschrieb den
Canal und stellte die Straße von Calais als eine nicht allzu breite Meerenge
mit constanter Strömung dar. Den Grundriß Britanniens entwarf er als ein
großes stumpfwinkliges Dreieck, welches seine größte, 20000 Stadien (500 M.)
lange Seite von Südwest nach Nordost gestreckt dem nordwestlichen Ocean ent¬
gegenhielt, mit den andern Seiten dem Keltenlande, d. h. nach unsern Begriffen
Frankreich und der deutschen Nordseeküste gegenüber lag und sich mit dem
stumpfen Winkel bei jener Meerenge dem Festlande am meisten näherte. Die
äußerste der britannischen Inseln, Thule, versetzte er auf 66° n. Br. und in die
Länge des Pontus Euxinus, über seine Zeichnung der Festlandküsten vom Rheine
an ist aber nichts überliefert. Er verließ hier die Führung des Pytheas, wie
Polybius andeutet, und es ist wohl möglich und nicht ohne alle Spuren, daß
Pytheas hier nicht nur von großen Meerbusen und Inseln, sondern von einer
Küstenentwicklung berichtet habe, welche die Weiterfahrt nach Osten hemmte und
mit der Erdinseltheorie schlecht in Einklang zu bringen war. Nach Strabos
Ansichten blieb auch hier ein Stück unbefahrener Küste übrig, das der erwähn¬
ten unbekannten Küstenstrecke Libyens an Geringfügigkeit entsprach. Den allge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/455>, abgerufen am 28.12.2024.