Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

in denen mit tschechischer Unterrichtssprache das Deutsche obligatorischer Lehr¬
gegenstand ist, die gebildeten Deutschböhmen aber nur selten Tschechisch, eben deshalb,
weil die Erlernung desselben ihnen keineswegs denselben Vortheil bietet wie den
Tschechen die Kenntniß des Deutschen, so wird ein Deutscher, der sein Recht in einem
"reintschechischen" Bezirke suchen muß, immer Beamte und Geschworne treffen, die
ihn verstehen, und es wird hier eine Verbesserung für ihn gegen früher schwerlich
herbeigeführt werden. Dasselbe wird jedoch im umgekehrten Falle durchaus nicht
zutreffen. Wird also die unbedingte Gleichberechtigung ausgesprochen, so wer¬
den die deutschen Behörden noch mehr als bisher gezwungen, tschechisch sprechende
Beamte anzustellen, die Kosten der Verwaltung werden sich erheblich vergrößern,
und eine thatsächliche Bevorzugung der gebornen Tschechen in amtlichen Stell¬
ungen ist die selbstverständliche Folge. Denn solche sind, weil sie in ihrem
eignen wohlverstandenen Interesse deutsch verstehen, auch in rein deutschen
Gegenden verwendbar und längst verwendet -- der ganz deutsche Bezirk von
Tetschen wimmelt z. B. von tschechischen Beamten --, die gebornen Deutschen
dagegen nur selten in rein tschechischen Strichen. Also wird ein unverhältniß-
mäßig großer Theil des böhmischen Beamtenstandes sich aus den Tschechen
ergänzen und die Deutschböhmen werden sich immer mehr unter tschechische Beamte
gestellt sehen. Dieser Proceß war längst im Gange, die Aprilverordnung wird
ihn beschleunigen.

Wenn sich hiergegen die Deutschen wehren, wer will es ihnen verargen?
Aber nicht bloß die directen Folgen der Verordnung haben sie mit Besorg-
niß erfüllt, vielleicht noch mehr die Ermuthigung, welche sie unleugbar den
tschechischen und überhaupt den slavischen Bestrebungen in der westlichen Reichs¬
hälfte hat zu Theil werden lassen. Es war ja doch von vornherein selbstver¬
ständlich, daß die Tschechen in den rein deutschen Landestheilen auch dann,
wenn sie recht gut deutsch verstanden, die Verordnung benutzen würden, um
weit über das faktische Bedürfniß hinaus durch tschechische Eingaben und Pro¬
tokollaufnahmen die deutschen Gerichtsbehörden zu behelligen, und niemand
konnte sich der Hoffnung hingeben, daß dergleichen Bestrebungen rasch wieder
verschwinden würden. Mit ihnen aber verbinden sich nach dem oben gesagten
Tendenzen, welche gegen die bestehende Reichseinheit und Verfassung gerichtet sind.

Die tiefe Beunruhigung, welche infolge solcher Erwägungen die Deutschen
Oesterreichs auch außerhalb Böhmens erfaßte, fand ihren ersten Ausdruck im
Abgeordnetenhause des Wiener Reichsraths. Am 1. Mai brachte die "ver¬
fassungstreue" Linke durch den Abgeordneten Wolfrum eine Jnterpellation wegen
der Spracheuverordnung ein, welche der Justizminister Stremayr mit der Er¬
klärung beantwortete, sie codifiere nur bestehendes Recht, schaffe nichts Neues.
Damit gab sich die Linke nicht 'zufrieden, sondern stellte den Antrag, über die


in denen mit tschechischer Unterrichtssprache das Deutsche obligatorischer Lehr¬
gegenstand ist, die gebildeten Deutschböhmen aber nur selten Tschechisch, eben deshalb,
weil die Erlernung desselben ihnen keineswegs denselben Vortheil bietet wie den
Tschechen die Kenntniß des Deutschen, so wird ein Deutscher, der sein Recht in einem
„reintschechischen" Bezirke suchen muß, immer Beamte und Geschworne treffen, die
ihn verstehen, und es wird hier eine Verbesserung für ihn gegen früher schwerlich
herbeigeführt werden. Dasselbe wird jedoch im umgekehrten Falle durchaus nicht
zutreffen. Wird also die unbedingte Gleichberechtigung ausgesprochen, so wer¬
den die deutschen Behörden noch mehr als bisher gezwungen, tschechisch sprechende
Beamte anzustellen, die Kosten der Verwaltung werden sich erheblich vergrößern,
und eine thatsächliche Bevorzugung der gebornen Tschechen in amtlichen Stell¬
ungen ist die selbstverständliche Folge. Denn solche sind, weil sie in ihrem
eignen wohlverstandenen Interesse deutsch verstehen, auch in rein deutschen
Gegenden verwendbar und längst verwendet — der ganz deutsche Bezirk von
Tetschen wimmelt z. B. von tschechischen Beamten —, die gebornen Deutschen
dagegen nur selten in rein tschechischen Strichen. Also wird ein unverhältniß-
mäßig großer Theil des böhmischen Beamtenstandes sich aus den Tschechen
ergänzen und die Deutschböhmen werden sich immer mehr unter tschechische Beamte
gestellt sehen. Dieser Proceß war längst im Gange, die Aprilverordnung wird
ihn beschleunigen.

Wenn sich hiergegen die Deutschen wehren, wer will es ihnen verargen?
Aber nicht bloß die directen Folgen der Verordnung haben sie mit Besorg-
niß erfüllt, vielleicht noch mehr die Ermuthigung, welche sie unleugbar den
tschechischen und überhaupt den slavischen Bestrebungen in der westlichen Reichs¬
hälfte hat zu Theil werden lassen. Es war ja doch von vornherein selbstver¬
ständlich, daß die Tschechen in den rein deutschen Landestheilen auch dann,
wenn sie recht gut deutsch verstanden, die Verordnung benutzen würden, um
weit über das faktische Bedürfniß hinaus durch tschechische Eingaben und Pro¬
tokollaufnahmen die deutschen Gerichtsbehörden zu behelligen, und niemand
konnte sich der Hoffnung hingeben, daß dergleichen Bestrebungen rasch wieder
verschwinden würden. Mit ihnen aber verbinden sich nach dem oben gesagten
Tendenzen, welche gegen die bestehende Reichseinheit und Verfassung gerichtet sind.

Die tiefe Beunruhigung, welche infolge solcher Erwägungen die Deutschen
Oesterreichs auch außerhalb Böhmens erfaßte, fand ihren ersten Ausdruck im
Abgeordnetenhause des Wiener Reichsraths. Am 1. Mai brachte die „ver¬
fassungstreue" Linke durch den Abgeordneten Wolfrum eine Jnterpellation wegen
der Spracheuverordnung ein, welche der Justizminister Stremayr mit der Er¬
klärung beantwortete, sie codifiere nur bestehendes Recht, schaffe nichts Neues.
Damit gab sich die Linke nicht 'zufrieden, sondern stellte den Antrag, über die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148087"/>
          <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> in denen mit tschechischer Unterrichtssprache das Deutsche obligatorischer Lehr¬<lb/>
gegenstand ist, die gebildeten Deutschböhmen aber nur selten Tschechisch, eben deshalb,<lb/>
weil die Erlernung desselben ihnen keineswegs denselben Vortheil bietet wie den<lb/>
Tschechen die Kenntniß des Deutschen, so wird ein Deutscher, der sein Recht in einem<lb/>
&#x201E;reintschechischen" Bezirke suchen muß, immer Beamte und Geschworne treffen, die<lb/>
ihn verstehen, und es wird hier eine Verbesserung für ihn gegen früher schwerlich<lb/>
herbeigeführt werden. Dasselbe wird jedoch im umgekehrten Falle durchaus nicht<lb/>
zutreffen. Wird also die unbedingte Gleichberechtigung ausgesprochen, so wer¬<lb/>
den die deutschen Behörden noch mehr als bisher gezwungen, tschechisch sprechende<lb/>
Beamte anzustellen, die Kosten der Verwaltung werden sich erheblich vergrößern,<lb/>
und eine thatsächliche Bevorzugung der gebornen Tschechen in amtlichen Stell¬<lb/>
ungen ist die selbstverständliche Folge. Denn solche sind, weil sie in ihrem<lb/>
eignen wohlverstandenen Interesse deutsch verstehen, auch in rein deutschen<lb/>
Gegenden verwendbar und längst verwendet &#x2014; der ganz deutsche Bezirk von<lb/>
Tetschen wimmelt z. B. von tschechischen Beamten &#x2014;, die gebornen Deutschen<lb/>
dagegen nur selten in rein tschechischen Strichen. Also wird ein unverhältniß-<lb/>
mäßig großer Theil des böhmischen Beamtenstandes sich aus den Tschechen<lb/>
ergänzen und die Deutschböhmen werden sich immer mehr unter tschechische Beamte<lb/>
gestellt sehen. Dieser Proceß war längst im Gange, die Aprilverordnung wird<lb/>
ihn beschleunigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171"> Wenn sich hiergegen die Deutschen wehren, wer will es ihnen verargen?<lb/>
Aber nicht bloß die directen Folgen der Verordnung haben sie mit Besorg-<lb/>
niß erfüllt, vielleicht noch mehr die Ermuthigung, welche sie unleugbar den<lb/>
tschechischen und überhaupt den slavischen Bestrebungen in der westlichen Reichs¬<lb/>
hälfte hat zu Theil werden lassen. Es war ja doch von vornherein selbstver¬<lb/>
ständlich, daß die Tschechen in den rein deutschen Landestheilen auch dann,<lb/>
wenn sie recht gut deutsch verstanden, die Verordnung benutzen würden, um<lb/>
weit über das faktische Bedürfniß hinaus durch tschechische Eingaben und Pro¬<lb/>
tokollaufnahmen die deutschen Gerichtsbehörden zu behelligen, und niemand<lb/>
konnte sich der Hoffnung hingeben, daß dergleichen Bestrebungen rasch wieder<lb/>
verschwinden würden. Mit ihnen aber verbinden sich nach dem oben gesagten<lb/>
Tendenzen, welche gegen die bestehende Reichseinheit und Verfassung gerichtet sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1172" next="#ID_1173"> Die tiefe Beunruhigung, welche infolge solcher Erwägungen die Deutschen<lb/>
Oesterreichs auch außerhalb Böhmens erfaßte, fand ihren ersten Ausdruck im<lb/>
Abgeordnetenhause des Wiener Reichsraths. Am 1. Mai brachte die &#x201E;ver¬<lb/>
fassungstreue" Linke durch den Abgeordneten Wolfrum eine Jnterpellation wegen<lb/>
der Spracheuverordnung ein, welche der Justizminister Stremayr mit der Er¬<lb/>
klärung beantwortete, sie codifiere nur bestehendes Recht, schaffe nichts Neues.<lb/>
Damit gab sich die Linke nicht 'zufrieden, sondern stellte den Antrag, über die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] in denen mit tschechischer Unterrichtssprache das Deutsche obligatorischer Lehr¬ gegenstand ist, die gebildeten Deutschböhmen aber nur selten Tschechisch, eben deshalb, weil die Erlernung desselben ihnen keineswegs denselben Vortheil bietet wie den Tschechen die Kenntniß des Deutschen, so wird ein Deutscher, der sein Recht in einem „reintschechischen" Bezirke suchen muß, immer Beamte und Geschworne treffen, die ihn verstehen, und es wird hier eine Verbesserung für ihn gegen früher schwerlich herbeigeführt werden. Dasselbe wird jedoch im umgekehrten Falle durchaus nicht zutreffen. Wird also die unbedingte Gleichberechtigung ausgesprochen, so wer¬ den die deutschen Behörden noch mehr als bisher gezwungen, tschechisch sprechende Beamte anzustellen, die Kosten der Verwaltung werden sich erheblich vergrößern, und eine thatsächliche Bevorzugung der gebornen Tschechen in amtlichen Stell¬ ungen ist die selbstverständliche Folge. Denn solche sind, weil sie in ihrem eignen wohlverstandenen Interesse deutsch verstehen, auch in rein deutschen Gegenden verwendbar und längst verwendet — der ganz deutsche Bezirk von Tetschen wimmelt z. B. von tschechischen Beamten —, die gebornen Deutschen dagegen nur selten in rein tschechischen Strichen. Also wird ein unverhältniß- mäßig großer Theil des böhmischen Beamtenstandes sich aus den Tschechen ergänzen und die Deutschböhmen werden sich immer mehr unter tschechische Beamte gestellt sehen. Dieser Proceß war längst im Gange, die Aprilverordnung wird ihn beschleunigen. Wenn sich hiergegen die Deutschen wehren, wer will es ihnen verargen? Aber nicht bloß die directen Folgen der Verordnung haben sie mit Besorg- niß erfüllt, vielleicht noch mehr die Ermuthigung, welche sie unleugbar den tschechischen und überhaupt den slavischen Bestrebungen in der westlichen Reichs¬ hälfte hat zu Theil werden lassen. Es war ja doch von vornherein selbstver¬ ständlich, daß die Tschechen in den rein deutschen Landestheilen auch dann, wenn sie recht gut deutsch verstanden, die Verordnung benutzen würden, um weit über das faktische Bedürfniß hinaus durch tschechische Eingaben und Pro¬ tokollaufnahmen die deutschen Gerichtsbehörden zu behelligen, und niemand konnte sich der Hoffnung hingeben, daß dergleichen Bestrebungen rasch wieder verschwinden würden. Mit ihnen aber verbinden sich nach dem oben gesagten Tendenzen, welche gegen die bestehende Reichseinheit und Verfassung gerichtet sind. Die tiefe Beunruhigung, welche infolge solcher Erwägungen die Deutschen Oesterreichs auch außerhalb Böhmens erfaßte, fand ihren ersten Ausdruck im Abgeordnetenhause des Wiener Reichsraths. Am 1. Mai brachte die „ver¬ fassungstreue" Linke durch den Abgeordneten Wolfrum eine Jnterpellation wegen der Spracheuverordnung ein, welche der Justizminister Stremayr mit der Er¬ klärung beantwortete, sie codifiere nur bestehendes Recht, schaffe nichts Neues. Damit gab sich die Linke nicht 'zufrieden, sondern stellte den Antrag, über die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/440>, abgerufen am 29.12.2024.