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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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und jedes Urtheil in der Sprache des Angeklagten gefällt, ebenso im Civilproceß
jederzeit in der Sprache der Parteien mit ihnen verhandelt, falls nicht die
böhmische (tschechische) Partei mit der deutschen Protokollaufnahme sich einver¬
standen erkläre.

Unzweifelhaft ist es darnach, wenn diese Angaben vollständig sind, daß in
diesen Bezirken bisher in Strafsachen das Tschechische nur bei Vernehmungen
und Urtheilsverkündigungen, nicht bei den Reden des Staatsanwalts in An¬
wendung gekommen, daß also in diesem Punkte der Erlaß von 1852 nicht ge¬
nau befolgt worden ist, offenbar mit Rücksicht aus die des Tschechischen über¬
wiegend gar nicht mächtigen Geschwornen und Beamten. Und gerade hier
schreibt die Sprachenverordnung vom 19. April noch mehr vor als der Erlaß
von 1852, indem sie auch für die Vertheidigung den Gebrauch beider Landes-
sprachen anordnet und die Wahl zwischen ihnen nicht etwa abhängig macht von
der faktischen Sprachkenntniß des Angeklagten, wie die frühern Verordnungen
und die bisherige Praxis, sondern von seinem Belieben, gleichviel, ob er wirk¬
lich nur einer Landessprache mächtig ist oder beider. Ein zweiter Differenz-
Punkt zwischen der neuen Verordnung und den frühern Verhältnissen scheint
uns darin zu liegen, daß die neue Verordnung für die Aufnahme mündlicher
Erklärungen stets die Sprache, in der sie abgegeben werden, vorschreibt, bisher
aber nur von der den Parteien "geläufigen" Sprache die Rede, es also sehr gut
denkbar war, daß ein des Deutschen mächtiger Tscheche auch ein deutsches Pro¬
tokoll aufnehmen ließ, und umgekehrt.

Einzelne Neuerungen führt also die Aprilverordnung unzweifelhaft in die
Praxis der böhmischen Gerichte ein, in den meisten Punkten entspricht sie aber
doch dem frühern Brauch und den frühern Vorschriften. Ueber diese hinaus
geht sie, abgesehen von den Weisungen für die Gerichtssprache, durch die An¬
ordnung in Z 10, welche die Sprache der Eintragung in die Grundbücher,
Handelsregister u. tgi. von der der bezüglichen Eingabe abhängig macht, auch
hier also die volle Gleichberechtigung beider Landesidiome anerkennt.

Worin liegt nun der Grund zu der tiefen Beunruhigung, welche die Ver¬
ordnung unter den Deutschen Böhmens wie aller Kronlande hervorgerufen hat?
Uns dünkt: in der grundsätzlichen Gleichberechtigung beider Sprachen, die
in jedem Paragraphen betont wird, wie in keiner der frühern Vorschriften.
Es klingt ja sehr unparteiisch, wenn es heißt, daß jeder Deutsche auch in einem
rein tschechischen, jeder Tscheche auch in einem rein deutschen Bezirke in seiner
Muttersprache Recht suchen und empfangen könne; thatsächlich ergiebt sich aber
aus dieser Gleichstellung von Sprachen ganz verschiedener Bedeutung eine sehr
erhebliche Begünstigung des tschechischen Elements. Da die gebildeten Böhmen
tschechischer Abkunft alle Deutsch verstehen, schon weil in allen Mittelschulen, auch


und jedes Urtheil in der Sprache des Angeklagten gefällt, ebenso im Civilproceß
jederzeit in der Sprache der Parteien mit ihnen verhandelt, falls nicht die
böhmische (tschechische) Partei mit der deutschen Protokollaufnahme sich einver¬
standen erkläre.

Unzweifelhaft ist es darnach, wenn diese Angaben vollständig sind, daß in
diesen Bezirken bisher in Strafsachen das Tschechische nur bei Vernehmungen
und Urtheilsverkündigungen, nicht bei den Reden des Staatsanwalts in An¬
wendung gekommen, daß also in diesem Punkte der Erlaß von 1852 nicht ge¬
nau befolgt worden ist, offenbar mit Rücksicht aus die des Tschechischen über¬
wiegend gar nicht mächtigen Geschwornen und Beamten. Und gerade hier
schreibt die Sprachenverordnung vom 19. April noch mehr vor als der Erlaß
von 1852, indem sie auch für die Vertheidigung den Gebrauch beider Landes-
sprachen anordnet und die Wahl zwischen ihnen nicht etwa abhängig macht von
der faktischen Sprachkenntniß des Angeklagten, wie die frühern Verordnungen
und die bisherige Praxis, sondern von seinem Belieben, gleichviel, ob er wirk¬
lich nur einer Landessprache mächtig ist oder beider. Ein zweiter Differenz-
Punkt zwischen der neuen Verordnung und den frühern Verhältnissen scheint
uns darin zu liegen, daß die neue Verordnung für die Aufnahme mündlicher
Erklärungen stets die Sprache, in der sie abgegeben werden, vorschreibt, bisher
aber nur von der den Parteien „geläufigen" Sprache die Rede, es also sehr gut
denkbar war, daß ein des Deutschen mächtiger Tscheche auch ein deutsches Pro¬
tokoll aufnehmen ließ, und umgekehrt.

Einzelne Neuerungen führt also die Aprilverordnung unzweifelhaft in die
Praxis der böhmischen Gerichte ein, in den meisten Punkten entspricht sie aber
doch dem frühern Brauch und den frühern Vorschriften. Ueber diese hinaus
geht sie, abgesehen von den Weisungen für die Gerichtssprache, durch die An¬
ordnung in Z 10, welche die Sprache der Eintragung in die Grundbücher,
Handelsregister u. tgi. von der der bezüglichen Eingabe abhängig macht, auch
hier also die volle Gleichberechtigung beider Landesidiome anerkennt.

Worin liegt nun der Grund zu der tiefen Beunruhigung, welche die Ver¬
ordnung unter den Deutschen Böhmens wie aller Kronlande hervorgerufen hat?
Uns dünkt: in der grundsätzlichen Gleichberechtigung beider Sprachen, die
in jedem Paragraphen betont wird, wie in keiner der frühern Vorschriften.
Es klingt ja sehr unparteiisch, wenn es heißt, daß jeder Deutsche auch in einem
rein tschechischen, jeder Tscheche auch in einem rein deutschen Bezirke in seiner
Muttersprache Recht suchen und empfangen könne; thatsächlich ergiebt sich aber
aus dieser Gleichstellung von Sprachen ganz verschiedener Bedeutung eine sehr
erhebliche Begünstigung des tschechischen Elements. Da die gebildeten Böhmen
tschechischer Abkunft alle Deutsch verstehen, schon weil in allen Mittelschulen, auch


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[0439] und jedes Urtheil in der Sprache des Angeklagten gefällt, ebenso im Civilproceß jederzeit in der Sprache der Parteien mit ihnen verhandelt, falls nicht die böhmische (tschechische) Partei mit der deutschen Protokollaufnahme sich einver¬ standen erkläre. Unzweifelhaft ist es darnach, wenn diese Angaben vollständig sind, daß in diesen Bezirken bisher in Strafsachen das Tschechische nur bei Vernehmungen und Urtheilsverkündigungen, nicht bei den Reden des Staatsanwalts in An¬ wendung gekommen, daß also in diesem Punkte der Erlaß von 1852 nicht ge¬ nau befolgt worden ist, offenbar mit Rücksicht aus die des Tschechischen über¬ wiegend gar nicht mächtigen Geschwornen und Beamten. Und gerade hier schreibt die Sprachenverordnung vom 19. April noch mehr vor als der Erlaß von 1852, indem sie auch für die Vertheidigung den Gebrauch beider Landes- sprachen anordnet und die Wahl zwischen ihnen nicht etwa abhängig macht von der faktischen Sprachkenntniß des Angeklagten, wie die frühern Verordnungen und die bisherige Praxis, sondern von seinem Belieben, gleichviel, ob er wirk¬ lich nur einer Landessprache mächtig ist oder beider. Ein zweiter Differenz- Punkt zwischen der neuen Verordnung und den frühern Verhältnissen scheint uns darin zu liegen, daß die neue Verordnung für die Aufnahme mündlicher Erklärungen stets die Sprache, in der sie abgegeben werden, vorschreibt, bisher aber nur von der den Parteien „geläufigen" Sprache die Rede, es also sehr gut denkbar war, daß ein des Deutschen mächtiger Tscheche auch ein deutsches Pro¬ tokoll aufnehmen ließ, und umgekehrt. Einzelne Neuerungen führt also die Aprilverordnung unzweifelhaft in die Praxis der böhmischen Gerichte ein, in den meisten Punkten entspricht sie aber doch dem frühern Brauch und den frühern Vorschriften. Ueber diese hinaus geht sie, abgesehen von den Weisungen für die Gerichtssprache, durch die An¬ ordnung in Z 10, welche die Sprache der Eintragung in die Grundbücher, Handelsregister u. tgi. von der der bezüglichen Eingabe abhängig macht, auch hier also die volle Gleichberechtigung beider Landesidiome anerkennt. Worin liegt nun der Grund zu der tiefen Beunruhigung, welche die Ver¬ ordnung unter den Deutschen Böhmens wie aller Kronlande hervorgerufen hat? Uns dünkt: in der grundsätzlichen Gleichberechtigung beider Sprachen, die in jedem Paragraphen betont wird, wie in keiner der frühern Vorschriften. Es klingt ja sehr unparteiisch, wenn es heißt, daß jeder Deutsche auch in einem rein tschechischen, jeder Tscheche auch in einem rein deutschen Bezirke in seiner Muttersprache Recht suchen und empfangen könne; thatsächlich ergiebt sich aber aus dieser Gleichstellung von Sprachen ganz verschiedener Bedeutung eine sehr erhebliche Begünstigung des tschechischen Elements. Da die gebildeten Böhmen tschechischer Abkunft alle Deutsch verstehen, schon weil in allen Mittelschulen, auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/439>, abgerufen am 29.12.2024.