Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Antwort des Ministers die Debatte zu eröffnen, und als dieser von der födera¬
len Majorität abgelehnt wurde, den zweiten durch Herbst: da die weitere Aus¬
führung des § 19 (über die Pflege der Landessprachen) des Staatsgrundgesetzes
Sache der Gesetzgebung sei, somit die Sprachenverordnung die Competenz des
Ministeriums überschreite, so solle ein Ausschuß von 24 die Stremayrsche Ant¬
wort prüfen und darüber Bericht erstatten (10. Mai). Aber auch dieser fiel
wie der gleichzeitig eingebrachte Antrag Wurmbrands, die Regierung möge in
Ausführung des § 19 einen Gesetzentwurf einbringen, durch den unter Fest¬
haltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der landesüb¬
lichen Sprache in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt werde. So
verhinderte die Rechte jede Erörterung der leidigen Verordnung, steigerte aber
dadurch die ohnehin vorhandene Spannung bis zur offnen Feindschaft,

Die Erregung wurde noch dadurch vergrößert, daß manche Anzeichen her¬
vortraten, welche eine Gefährdung der Verfassung anzudeuten schienen. An dem¬
selben 10. Mai nämlich, an dem jene beiden Anträge der Linken eingebracht
worden, wurden durch die Stimmen der Rechten die Wahlen dreier "verfassungs¬
treuen" oberösterreichischen Großgrundbesitzer mit der Motivierung cassiert, daß
nicht nach dem Wortlaute der Wahlordnung ein "Gut", sondern nur ein "Haus"
in Linz ihr Eigenthum sei, obwohl sie sonst alle thatsächlich wichtigen Bedin¬
gungen, vor allem einen jährlichen (directen) Steuerbetrag von über 100 si.
nachzuweisen vermochten. Dies und die leidige Sprachenverordnung gaben die
Veranlassung zu sehr erregter Debatte im Herrenhause bei Gelegenheit der Be¬
rathung des Finanzvoranschlags für 1880 (24. Mai). Während die böhmischen
Herren Graf Thun und Fürst Schwarzenberg, sowie der Pole Fürst Sapieha
für die Regierung im allgemeinen oder auch direct für die Rechtmäßigkeit der
Sprachenverordnung eintraten, wies Hafner auf die systematische Tschechisierung
der Prager Universität seit 1851 hin, Fürst Schönburg und Graf Auersperg
constatierten die überall hervortretende nationale Erregung, welche durch das Vor¬
gehen der Regierung nur gefördert werde, und mit vollster Entschiedenheit be¬
tonte Schmerling: "Wir betreten seit 18 Jahren jetzt zum drittenmale die Bahn
staatsrechtlicher Experimente. Einheitsstaat und Förderativstaat lassen sich nicht
versöhnen. Der Einheitsstaat ist nicht im Jahre 1861, er ist vor 100 Jahren
bereits erfunden worden. Die Sprachberechtigung, das Recht, den Unterricht
in der Muttersprache zu erhalten, hat auch seine Grenzen. Wir haben die deut¬
sche Sprache nicht zur Reichssprache erklärt, die Welt hat es gethan. Wir
haben in Oesterreich leider nur noch eine Institution, die das Gesammtreich re¬
präsentiert, das ist unsere tapfere Armee. Sollen wir auch aus dieser noch die
gemeinsame deutsche Sprache verbannen? Soviel ist gewiß, daß unsere Verfas¬
sung ernstlich bedroht ist. Wir aber sind die wahren Conservativen, indem wir


Grenzboten IV. 1880. 57

Antwort des Ministers die Debatte zu eröffnen, und als dieser von der födera¬
len Majorität abgelehnt wurde, den zweiten durch Herbst: da die weitere Aus¬
führung des § 19 (über die Pflege der Landessprachen) des Staatsgrundgesetzes
Sache der Gesetzgebung sei, somit die Sprachenverordnung die Competenz des
Ministeriums überschreite, so solle ein Ausschuß von 24 die Stremayrsche Ant¬
wort prüfen und darüber Bericht erstatten (10. Mai). Aber auch dieser fiel
wie der gleichzeitig eingebrachte Antrag Wurmbrands, die Regierung möge in
Ausführung des § 19 einen Gesetzentwurf einbringen, durch den unter Fest¬
haltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der landesüb¬
lichen Sprache in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt werde. So
verhinderte die Rechte jede Erörterung der leidigen Verordnung, steigerte aber
dadurch die ohnehin vorhandene Spannung bis zur offnen Feindschaft,

Die Erregung wurde noch dadurch vergrößert, daß manche Anzeichen her¬
vortraten, welche eine Gefährdung der Verfassung anzudeuten schienen. An dem¬
selben 10. Mai nämlich, an dem jene beiden Anträge der Linken eingebracht
worden, wurden durch die Stimmen der Rechten die Wahlen dreier „verfassungs¬
treuen" oberösterreichischen Großgrundbesitzer mit der Motivierung cassiert, daß
nicht nach dem Wortlaute der Wahlordnung ein „Gut", sondern nur ein „Haus"
in Linz ihr Eigenthum sei, obwohl sie sonst alle thatsächlich wichtigen Bedin¬
gungen, vor allem einen jährlichen (directen) Steuerbetrag von über 100 si.
nachzuweisen vermochten. Dies und die leidige Sprachenverordnung gaben die
Veranlassung zu sehr erregter Debatte im Herrenhause bei Gelegenheit der Be¬
rathung des Finanzvoranschlags für 1880 (24. Mai). Während die böhmischen
Herren Graf Thun und Fürst Schwarzenberg, sowie der Pole Fürst Sapieha
für die Regierung im allgemeinen oder auch direct für die Rechtmäßigkeit der
Sprachenverordnung eintraten, wies Hafner auf die systematische Tschechisierung
der Prager Universität seit 1851 hin, Fürst Schönburg und Graf Auersperg
constatierten die überall hervortretende nationale Erregung, welche durch das Vor¬
gehen der Regierung nur gefördert werde, und mit vollster Entschiedenheit be¬
tonte Schmerling: „Wir betreten seit 18 Jahren jetzt zum drittenmale die Bahn
staatsrechtlicher Experimente. Einheitsstaat und Förderativstaat lassen sich nicht
versöhnen. Der Einheitsstaat ist nicht im Jahre 1861, er ist vor 100 Jahren
bereits erfunden worden. Die Sprachberechtigung, das Recht, den Unterricht
in der Muttersprache zu erhalten, hat auch seine Grenzen. Wir haben die deut¬
sche Sprache nicht zur Reichssprache erklärt, die Welt hat es gethan. Wir
haben in Oesterreich leider nur noch eine Institution, die das Gesammtreich re¬
präsentiert, das ist unsere tapfere Armee. Sollen wir auch aus dieser noch die
gemeinsame deutsche Sprache verbannen? Soviel ist gewiß, daß unsere Verfas¬
sung ernstlich bedroht ist. Wir aber sind die wahren Conservativen, indem wir


Grenzboten IV. 1880. 57
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148088"/>
          <p xml:id="ID_1173" prev="#ID_1172"> Antwort des Ministers die Debatte zu eröffnen, und als dieser von der födera¬<lb/>
len Majorität abgelehnt wurde, den zweiten durch Herbst: da die weitere Aus¬<lb/>
führung des § 19 (über die Pflege der Landessprachen) des Staatsgrundgesetzes<lb/>
Sache der Gesetzgebung sei, somit die Sprachenverordnung die Competenz des<lb/>
Ministeriums überschreite, so solle ein Ausschuß von 24 die Stremayrsche Ant¬<lb/>
wort prüfen und darüber Bericht erstatten (10. Mai). Aber auch dieser fiel<lb/>
wie der gleichzeitig eingebrachte Antrag Wurmbrands, die Regierung möge in<lb/>
Ausführung des § 19 einen Gesetzentwurf einbringen, durch den unter Fest¬<lb/>
haltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der landesüb¬<lb/>
lichen Sprache in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt werde. So<lb/>
verhinderte die Rechte jede Erörterung der leidigen Verordnung, steigerte aber<lb/>
dadurch die ohnehin vorhandene Spannung bis zur offnen Feindschaft,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1174" next="#ID_1175"> Die Erregung wurde noch dadurch vergrößert, daß manche Anzeichen her¬<lb/>
vortraten, welche eine Gefährdung der Verfassung anzudeuten schienen. An dem¬<lb/>
selben 10. Mai nämlich, an dem jene beiden Anträge der Linken eingebracht<lb/>
worden, wurden durch die Stimmen der Rechten die Wahlen dreier &#x201E;verfassungs¬<lb/>
treuen" oberösterreichischen Großgrundbesitzer mit der Motivierung cassiert, daß<lb/>
nicht nach dem Wortlaute der Wahlordnung ein &#x201E;Gut", sondern nur ein &#x201E;Haus"<lb/>
in Linz ihr Eigenthum sei, obwohl sie sonst alle thatsächlich wichtigen Bedin¬<lb/>
gungen, vor allem einen jährlichen (directen) Steuerbetrag von über 100 si.<lb/>
nachzuweisen vermochten. Dies und die leidige Sprachenverordnung gaben die<lb/>
Veranlassung zu sehr erregter Debatte im Herrenhause bei Gelegenheit der Be¬<lb/>
rathung des Finanzvoranschlags für 1880 (24. Mai). Während die böhmischen<lb/>
Herren Graf Thun und Fürst Schwarzenberg, sowie der Pole Fürst Sapieha<lb/>
für die Regierung im allgemeinen oder auch direct für die Rechtmäßigkeit der<lb/>
Sprachenverordnung eintraten, wies Hafner auf die systematische Tschechisierung<lb/>
der Prager Universität seit 1851 hin, Fürst Schönburg und Graf Auersperg<lb/>
constatierten die überall hervortretende nationale Erregung, welche durch das Vor¬<lb/>
gehen der Regierung nur gefördert werde, und mit vollster Entschiedenheit be¬<lb/>
tonte Schmerling: &#x201E;Wir betreten seit 18 Jahren jetzt zum drittenmale die Bahn<lb/>
staatsrechtlicher Experimente. Einheitsstaat und Förderativstaat lassen sich nicht<lb/>
versöhnen. Der Einheitsstaat ist nicht im Jahre 1861, er ist vor 100 Jahren<lb/>
bereits erfunden worden. Die Sprachberechtigung, das Recht, den Unterricht<lb/>
in der Muttersprache zu erhalten, hat auch seine Grenzen. Wir haben die deut¬<lb/>
sche Sprache nicht zur Reichssprache erklärt, die Welt hat es gethan. Wir<lb/>
haben in Oesterreich leider nur noch eine Institution, die das Gesammtreich re¬<lb/>
präsentiert, das ist unsere tapfere Armee. Sollen wir auch aus dieser noch die<lb/>
gemeinsame deutsche Sprache verbannen? Soviel ist gewiß, daß unsere Verfas¬<lb/>
sung ernstlich bedroht ist. Wir aber sind die wahren Conservativen, indem wir</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1880. 57</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0441] Antwort des Ministers die Debatte zu eröffnen, und als dieser von der födera¬ len Majorität abgelehnt wurde, den zweiten durch Herbst: da die weitere Aus¬ führung des § 19 (über die Pflege der Landessprachen) des Staatsgrundgesetzes Sache der Gesetzgebung sei, somit die Sprachenverordnung die Competenz des Ministeriums überschreite, so solle ein Ausschuß von 24 die Stremayrsche Ant¬ wort prüfen und darüber Bericht erstatten (10. Mai). Aber auch dieser fiel wie der gleichzeitig eingebrachte Antrag Wurmbrands, die Regierung möge in Ausführung des § 19 einen Gesetzentwurf einbringen, durch den unter Fest¬ haltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der landesüb¬ lichen Sprache in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt werde. So verhinderte die Rechte jede Erörterung der leidigen Verordnung, steigerte aber dadurch die ohnehin vorhandene Spannung bis zur offnen Feindschaft, Die Erregung wurde noch dadurch vergrößert, daß manche Anzeichen her¬ vortraten, welche eine Gefährdung der Verfassung anzudeuten schienen. An dem¬ selben 10. Mai nämlich, an dem jene beiden Anträge der Linken eingebracht worden, wurden durch die Stimmen der Rechten die Wahlen dreier „verfassungs¬ treuen" oberösterreichischen Großgrundbesitzer mit der Motivierung cassiert, daß nicht nach dem Wortlaute der Wahlordnung ein „Gut", sondern nur ein „Haus" in Linz ihr Eigenthum sei, obwohl sie sonst alle thatsächlich wichtigen Bedin¬ gungen, vor allem einen jährlichen (directen) Steuerbetrag von über 100 si. nachzuweisen vermochten. Dies und die leidige Sprachenverordnung gaben die Veranlassung zu sehr erregter Debatte im Herrenhause bei Gelegenheit der Be¬ rathung des Finanzvoranschlags für 1880 (24. Mai). Während die böhmischen Herren Graf Thun und Fürst Schwarzenberg, sowie der Pole Fürst Sapieha für die Regierung im allgemeinen oder auch direct für die Rechtmäßigkeit der Sprachenverordnung eintraten, wies Hafner auf die systematische Tschechisierung der Prager Universität seit 1851 hin, Fürst Schönburg und Graf Auersperg constatierten die überall hervortretende nationale Erregung, welche durch das Vor¬ gehen der Regierung nur gefördert werde, und mit vollster Entschiedenheit be¬ tonte Schmerling: „Wir betreten seit 18 Jahren jetzt zum drittenmale die Bahn staatsrechtlicher Experimente. Einheitsstaat und Förderativstaat lassen sich nicht versöhnen. Der Einheitsstaat ist nicht im Jahre 1861, er ist vor 100 Jahren bereits erfunden worden. Die Sprachberechtigung, das Recht, den Unterricht in der Muttersprache zu erhalten, hat auch seine Grenzen. Wir haben die deut¬ sche Sprache nicht zur Reichssprache erklärt, die Welt hat es gethan. Wir haben in Oesterreich leider nur noch eine Institution, die das Gesammtreich re¬ präsentiert, das ist unsere tapfere Armee. Sollen wir auch aus dieser noch die gemeinsame deutsche Sprache verbannen? Soviel ist gewiß, daß unsere Verfas¬ sung ernstlich bedroht ist. Wir aber sind die wahren Conservativen, indem wir Grenzboten IV. 1880. 57

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/441
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/441>, abgerufen am 29.12.2024.