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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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und sich nicht nach den schlechweg süddeutschen, noch viel weniger aber nach
norddeutschen Gesichtspunkten beurtheilen lassen.

Jeder Redaetionsscheinel ist ja ein Papststuhl, von dem aus Verdammungs¬
urtheil und Bannstrahl jeden andersmeinenden trifft. Der überwiegend größere
Theil unserer Presse hat gar nicht die Fähigkeit, sich in ungewohnte, fremde
Verhältnisse hineinzufinden, eine von der eigenen abweichenden Meinung in ihren
Wurzeln zu verstehen, einer anderen als der eigenen Ueberzeugung die Berech¬
tigung der Existenz zuzuerkennen. Daher das schnell fertige Urtheil in allen
unseren öffentlichen Angelegenheiten, daher die überwiegende Neigung zur Ne¬
gation und zu zersetzenden Tadel, daher der Mangel an objectiver Beurtheilungs¬
fähigkeit, die frei von persönlicher Stimmung die Dinge lediglich nach dem be¬
urtheilt, was sie sind, und die auch die Gründe eines Zustandes sich klar zu
machen und zu verstehen sucht. Hierzu noch das Sensationsbedürfniß der Leser
und der Schreiber, und es wird verständlich, daß ein einziger, sensationeller und
im Brustton der Ueberzeugung geschriebener, in seinen Angriffen möglichst kühner
Artikel die gesammte Presse in Aufregung versetzen und ein Heer von Feinden
gegen den Gegenstand des Angriffes ans der Erde heraufbeschwören kann, wie
es in dieser Angelegenheit thatsächlich der Fall war.

Die Angriffe gegen Freiherr v. Manteuffel zeichnet, wie dies in der elsa߬
lothringischen Regierungspresse auch hervorgehoben worden ist, als gemeinsamer
Zug eine gewisse Generalität des Tadels und ein Mangel an faktischen Momenten
aus. Fast nirgends ist unseres Wissens ein fest formulirte, auf klaren Thatsachen
beruhende Anklage aufgestellt werden, und wo es ja einmal geschah, da waren
es gewöhnlich Punkte, die mehr das Gefühl und dessen Verletzung betrafen,
als die reale Politik. Hierher rechnen wir den Umstand, daß Herr v. Man¬
teuffel seinen Sohn und seinen Adjutanten bei dem Leichenbegängniß eines
katholischen Geistlichen habe folgen lassen, daß er aber bei dem des im ganzen
Reichslande und in ganz Süddeutschland hoch angesehenen und verehrten alten
Deutschthümlers, Patrioten und Dichters Gustav Musk (geht. im August 1880)
sich gänzlich fern gehalten und dadurch die zahlreichen Freunde des Dahin¬
geschiedenen verletzt habe. Ueberhaupt scheint es, als wären die meisten Klagen,
soweit sie eine thatsächliche Unterlage haben, auf eine solche mehr gemüthliche als
politische Empfindlichkeit des deutschen Nationalgefühls, das in gewissen Kreisen
der Reichslande und Süddeutschlands eine etwas chauvinistische Färbung ange¬
nommen hat, zurückzuführen. Dazu kam, daß einestheils die deutsch gebliebenen
reichsländischen Einwohner und die dort ansässigen Süddeutschen sich durch das
ihnen ungewohnte Auftreten der norddeutschen, mit Land und Leuten unbekannten
Beamten, welche nicht immer das richtige Benehmen einschlugen und vielfach
verletzten, ohne es zu wollen, abgestoßen fühlten und dann auf Kosten der


und sich nicht nach den schlechweg süddeutschen, noch viel weniger aber nach
norddeutschen Gesichtspunkten beurtheilen lassen.

Jeder Redaetionsscheinel ist ja ein Papststuhl, von dem aus Verdammungs¬
urtheil und Bannstrahl jeden andersmeinenden trifft. Der überwiegend größere
Theil unserer Presse hat gar nicht die Fähigkeit, sich in ungewohnte, fremde
Verhältnisse hineinzufinden, eine von der eigenen abweichenden Meinung in ihren
Wurzeln zu verstehen, einer anderen als der eigenen Ueberzeugung die Berech¬
tigung der Existenz zuzuerkennen. Daher das schnell fertige Urtheil in allen
unseren öffentlichen Angelegenheiten, daher die überwiegende Neigung zur Ne¬
gation und zu zersetzenden Tadel, daher der Mangel an objectiver Beurtheilungs¬
fähigkeit, die frei von persönlicher Stimmung die Dinge lediglich nach dem be¬
urtheilt, was sie sind, und die auch die Gründe eines Zustandes sich klar zu
machen und zu verstehen sucht. Hierzu noch das Sensationsbedürfniß der Leser
und der Schreiber, und es wird verständlich, daß ein einziger, sensationeller und
im Brustton der Ueberzeugung geschriebener, in seinen Angriffen möglichst kühner
Artikel die gesammte Presse in Aufregung versetzen und ein Heer von Feinden
gegen den Gegenstand des Angriffes ans der Erde heraufbeschwören kann, wie
es in dieser Angelegenheit thatsächlich der Fall war.

Die Angriffe gegen Freiherr v. Manteuffel zeichnet, wie dies in der elsa߬
lothringischen Regierungspresse auch hervorgehoben worden ist, als gemeinsamer
Zug eine gewisse Generalität des Tadels und ein Mangel an faktischen Momenten
aus. Fast nirgends ist unseres Wissens ein fest formulirte, auf klaren Thatsachen
beruhende Anklage aufgestellt werden, und wo es ja einmal geschah, da waren
es gewöhnlich Punkte, die mehr das Gefühl und dessen Verletzung betrafen,
als die reale Politik. Hierher rechnen wir den Umstand, daß Herr v. Man¬
teuffel seinen Sohn und seinen Adjutanten bei dem Leichenbegängniß eines
katholischen Geistlichen habe folgen lassen, daß er aber bei dem des im ganzen
Reichslande und in ganz Süddeutschland hoch angesehenen und verehrten alten
Deutschthümlers, Patrioten und Dichters Gustav Musk (geht. im August 1880)
sich gänzlich fern gehalten und dadurch die zahlreichen Freunde des Dahin¬
geschiedenen verletzt habe. Ueberhaupt scheint es, als wären die meisten Klagen,
soweit sie eine thatsächliche Unterlage haben, auf eine solche mehr gemüthliche als
politische Empfindlichkeit des deutschen Nationalgefühls, das in gewissen Kreisen
der Reichslande und Süddeutschlands eine etwas chauvinistische Färbung ange¬
nommen hat, zurückzuführen. Dazu kam, daß einestheils die deutsch gebliebenen
reichsländischen Einwohner und die dort ansässigen Süddeutschen sich durch das
ihnen ungewohnte Auftreten der norddeutschen, mit Land und Leuten unbekannten
Beamten, welche nicht immer das richtige Benehmen einschlugen und vielfach
verletzten, ohne es zu wollen, abgestoßen fühlten und dann auf Kosten der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/44>, abgerufen am 28.12.2024.