Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.sogar auf die Ahnungen und Gefühle des Volkes zu berufen. Wer von Ihnen, Tags darauf sprach Bismarck gegen den Antrag der Demokraten im Hause, sogar auf die Ahnungen und Gefühle des Volkes zu berufen. Wer von Ihnen, Tags darauf sprach Bismarck gegen den Antrag der Demokraten im Hause, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148047"/> <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070"> sogar auf die Ahnungen und Gefühle des Volkes zu berufen. Wer von Ihnen,<lb/> meine Herren, kennt die Ahnungen und Gefühle des Volkes so genau, wer kann<lb/> denn irgend einen glaublichen Nachweis dafür beibringen, daß das, was er da¬<lb/> für ausgiebt, wirklich der Gesammtwille des preußischen Volkes sei? Der einzige<lb/> Beweis ist die Behauptung, es sei so, der ich die meinige, es sei nicht so, mit<lb/> demselben Rechte entgegensetze. Geben wir uns doch nicht Illusionen hin, als<lb/> ob unsere Majoritäten oder Minoritäten in entsprechenden Bruchtheilen den<lb/> Willen des Volkes ausdrückten. Wir sind gewählt von der Majorität der Wahl¬<lb/> männer und diese wiederum von der Mehrheit der UrWähler. Wir alle reprä¬<lb/> sentieren also nur die Mehrheit einer Mehrheit, vielleicht etwas über ein Viertel<lb/> der auf der Wahl wirklich erschienenen UrWühler, und da kommen einzelne<lb/> Fractionen der Versammlung und wollen uns ihre Ansichten und ihren Willen<lb/> als die Allsichten und den Willen des großen preußischen Volkes unterschieben.<lb/> Es ist kein Ausdruck im letzten Jahre mehr gemißbraucht worden als das Wort<lb/> Volk. Jeder hat das darunter verstanden, was gerade in seinen Kram paßte,<lb/> gewöhnlich einen beliebigen Haufen von Individuen, die es ihm gelungen war<lb/> für seine Ansicht zu gewinnen. Das wahre preußische Volk hat in der letzten<lb/> Zeit viel Geduld gezeigt und große Leichtgläubigkeit gegen diejenigen, die sich<lb/> seine Freunde nennen. Aber in der Abstimmung über die Adresse, die uns vor¬<lb/> liegt, wird das Volk Material genug erhalten, sich darüber aufzuklären, wer<lb/> zwischen ihm und seinem Frieden, wer zwischen ihm und seinem Rechte steht."</p><lb/> <p xml:id="ID_1072" next="#ID_1073"> Tags darauf sprach Bismarck gegen den Antrag der Demokraten im Hause,<lb/> von der Regierung eine Amnestie zu fordern; die Gründe, die ihn dabei lei¬<lb/> teten, waren folgende: „Die Begnadigung oder die Amnestie .... ist ein Recht<lb/> der Krone, dessen Wesen gerade in freier und freiwilliger Ausübung besteht,<lb/> wenn es überhaupt ein Recht bleiben soll. Forderte die Majorität dieser Ver¬<lb/> sammlung in diesem Augenblicke die Amnestie von der Krone, so würde es<lb/> wenig mehr als die Erfüllung einer vorläufigen Bedingung sein, wenn die Krone<lb/> darauf einginge .... Ferner wird durch die wiederholten Amnestien das Rechts¬<lb/> bewußtsein im Volke auf das tiefste erschüttert. In welchen: Grade das selbst<lb/> bei den gebildeten Ständen bereits der Fall sei, haben die Reden zweier Abge¬<lb/> ordneten vor mir (der Schullehrer Mätze und Schramm) hinreichend bewiesen,<lb/> indem der eine die Vorgänge nach dem 18. März v. I. so ins Auge faßte, als<lb/> sei die Obrigkeit von dem, was er Volk nennt, amnestiert worden, während es<lb/> mir scheint, daß der König die Rebellen amnestiert habe. (Aufregung auf der<lb/> Linken. Ruf: Rebellen?) Ja, meine Herren, Rebellen. Es wird dadurch im<lb/> Volke die Meinung verbreitet, als ob das ganze Staatsrecht auf der Barrikade<lb/> beruhe, als ob ein jeder, dem ein Gesetz mißfällt, das Recht habe, dieses Gesetz<lb/> als nicht vorhanden zu betrachten, als ob ein jeder, dem es gelingt, eine hin-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
sogar auf die Ahnungen und Gefühle des Volkes zu berufen. Wer von Ihnen,
meine Herren, kennt die Ahnungen und Gefühle des Volkes so genau, wer kann
denn irgend einen glaublichen Nachweis dafür beibringen, daß das, was er da¬
für ausgiebt, wirklich der Gesammtwille des preußischen Volkes sei? Der einzige
Beweis ist die Behauptung, es sei so, der ich die meinige, es sei nicht so, mit
demselben Rechte entgegensetze. Geben wir uns doch nicht Illusionen hin, als
ob unsere Majoritäten oder Minoritäten in entsprechenden Bruchtheilen den
Willen des Volkes ausdrückten. Wir sind gewählt von der Majorität der Wahl¬
männer und diese wiederum von der Mehrheit der UrWähler. Wir alle reprä¬
sentieren also nur die Mehrheit einer Mehrheit, vielleicht etwas über ein Viertel
der auf der Wahl wirklich erschienenen UrWühler, und da kommen einzelne
Fractionen der Versammlung und wollen uns ihre Ansichten und ihren Willen
als die Allsichten und den Willen des großen preußischen Volkes unterschieben.
Es ist kein Ausdruck im letzten Jahre mehr gemißbraucht worden als das Wort
Volk. Jeder hat das darunter verstanden, was gerade in seinen Kram paßte,
gewöhnlich einen beliebigen Haufen von Individuen, die es ihm gelungen war
für seine Ansicht zu gewinnen. Das wahre preußische Volk hat in der letzten
Zeit viel Geduld gezeigt und große Leichtgläubigkeit gegen diejenigen, die sich
seine Freunde nennen. Aber in der Abstimmung über die Adresse, die uns vor¬
liegt, wird das Volk Material genug erhalten, sich darüber aufzuklären, wer
zwischen ihm und seinem Frieden, wer zwischen ihm und seinem Rechte steht."
Tags darauf sprach Bismarck gegen den Antrag der Demokraten im Hause,
von der Regierung eine Amnestie zu fordern; die Gründe, die ihn dabei lei¬
teten, waren folgende: „Die Begnadigung oder die Amnestie .... ist ein Recht
der Krone, dessen Wesen gerade in freier und freiwilliger Ausübung besteht,
wenn es überhaupt ein Recht bleiben soll. Forderte die Majorität dieser Ver¬
sammlung in diesem Augenblicke die Amnestie von der Krone, so würde es
wenig mehr als die Erfüllung einer vorläufigen Bedingung sein, wenn die Krone
darauf einginge .... Ferner wird durch die wiederholten Amnestien das Rechts¬
bewußtsein im Volke auf das tiefste erschüttert. In welchen: Grade das selbst
bei den gebildeten Ständen bereits der Fall sei, haben die Reden zweier Abge¬
ordneten vor mir (der Schullehrer Mätze und Schramm) hinreichend bewiesen,
indem der eine die Vorgänge nach dem 18. März v. I. so ins Auge faßte, als
sei die Obrigkeit von dem, was er Volk nennt, amnestiert worden, während es
mir scheint, daß der König die Rebellen amnestiert habe. (Aufregung auf der
Linken. Ruf: Rebellen?) Ja, meine Herren, Rebellen. Es wird dadurch im
Volke die Meinung verbreitet, als ob das ganze Staatsrecht auf der Barrikade
beruhe, als ob ein jeder, dem ein Gesetz mißfällt, das Recht habe, dieses Gesetz
als nicht vorhanden zu betrachten, als ob ein jeder, dem es gelingt, eine hin-
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