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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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wenn er nur reich würde. Aber davon sehe ich nirgends etwas, sondern ich
sehe nur, daß der Jude nicht Beamter werden kann, und nun ist mir das doch
eine starke Schlußfolge, daß, weil jemand nicht Beamter werden kann, er ein
Wucherer werden müsse. Einer der Abgeordneten der pommerschen Ritterschaft
(von Goldberg) ist so weit gegangen, zu behaupten, daß die Juden von jeder
edlern Beschäftigung mit Ausnahme des Handels ausgeschlossen seien. Das
einzige aber, wovon sie ausgeschlossen sind, ist der Hafen der Bureaukratie, und
ich appelliere an den geehrten Redner selbst, ob er in seiner Behauptung nicht
zu weit geht, indem darin liegt, daß nur das Beamtenthum und der Handel
edle Beschäftigungen sein sollen.... Mehrere Redner haben wieder, wie fast
in allen Fragen, auf das nachahmungswerthe Beispiel von England und Frank¬
reich verwiesen. Diese Frage hat dort weniger Wichtigkeit, weil die Juden nicht
so zahlreich sind wie hier. Ich möchte aber den Herren, die so gern ihre Ideale
jenseits der Vogesen suchen, eins zur Richtschnur empfehlen, was den Engländer
und Franzosen auszeichnet. Das ist das stolze Gefühl der Nationalehre, welches
sich nicht so leicht und so häufig dazu hergiebt, nachahmungswerthe und be¬
wunderte Vorbilder im Auslande zu suchen, wie es hier bei uns geschieht."

Am 21. März 1849 sprach Bismarck in der zweiten Kammer gegen die
von einem Theile des Hauses verlangte Aufhebung des über Berlin verhängten
Belagerungszustcmdes in einer Weise, die große Aufregung hervorrief. Er sagte
dabei u. a.: "Eine Beeinträchtigung der Freiheit unsrer Berathungen kann ich
in dem Belagerungszustande nicht finden, es sei denn, daß man die Freiheit
einzelner Fractionen darunter verstehe, ihre Ansichten durch tumultuarische
Demonstrationen auf der Straße zu unterstützen. Von Seiten der Diener des
Belagerungszustandes oder der Obrigkeit überhaupt fürchte ich dergleichen nicht.
Sollten aber die Constabler sich so weit vergessen, uns hier einzunageln, oder
sollten die königlichen Truppen sich nicht entblöden, andersdenkende auf der
Straße zu insultieren, so werde ich den Beleidigten nicht zurufen: ,Richten Sie
doch Ihre Abstimmungen so ein, daß sie den Soldaten gefallen/ sondern ich
werde zu den ersten gehören, die ihre Stimme für die Freiheit unserer Be¬
rathungen erheben. Die ungezügelte Preßfreiheit und das Versammlungsrecht
ohne Controle sind anticivierte Bruchstücke eines zukünftigen Rechtszustandes,
Bruchstücke, welche, um ihnen die Ergänzung durch Repressivgesetze fehlt, jede
Regierung zu einem fortwährenden Kriegsfuße gegen den Aufruhr nöthigen --
Der besitzende Theil des Berliner Volkes, der am meisten und schnellsten unter
Störungen von Verkehr und Credit leidet, ist in dieser Kammer, wie ich be¬
haupte, gar nicht repräsentiert. Das haben die Wahlen zur ersten Kammer
unwiderleglich bewiesen. Es ist überhaupt sehr mißlich, sich (wie von Seiten
der Demokraten im Hause vielfältig geschehe") so schlechthin auf den Willen oder


wenn er nur reich würde. Aber davon sehe ich nirgends etwas, sondern ich
sehe nur, daß der Jude nicht Beamter werden kann, und nun ist mir das doch
eine starke Schlußfolge, daß, weil jemand nicht Beamter werden kann, er ein
Wucherer werden müsse. Einer der Abgeordneten der pommerschen Ritterschaft
(von Goldberg) ist so weit gegangen, zu behaupten, daß die Juden von jeder
edlern Beschäftigung mit Ausnahme des Handels ausgeschlossen seien. Das
einzige aber, wovon sie ausgeschlossen sind, ist der Hafen der Bureaukratie, und
ich appelliere an den geehrten Redner selbst, ob er in seiner Behauptung nicht
zu weit geht, indem darin liegt, daß nur das Beamtenthum und der Handel
edle Beschäftigungen sein sollen.... Mehrere Redner haben wieder, wie fast
in allen Fragen, auf das nachahmungswerthe Beispiel von England und Frank¬
reich verwiesen. Diese Frage hat dort weniger Wichtigkeit, weil die Juden nicht
so zahlreich sind wie hier. Ich möchte aber den Herren, die so gern ihre Ideale
jenseits der Vogesen suchen, eins zur Richtschnur empfehlen, was den Engländer
und Franzosen auszeichnet. Das ist das stolze Gefühl der Nationalehre, welches
sich nicht so leicht und so häufig dazu hergiebt, nachahmungswerthe und be¬
wunderte Vorbilder im Auslande zu suchen, wie es hier bei uns geschieht."

Am 21. März 1849 sprach Bismarck in der zweiten Kammer gegen die
von einem Theile des Hauses verlangte Aufhebung des über Berlin verhängten
Belagerungszustcmdes in einer Weise, die große Aufregung hervorrief. Er sagte
dabei u. a.: „Eine Beeinträchtigung der Freiheit unsrer Berathungen kann ich
in dem Belagerungszustande nicht finden, es sei denn, daß man die Freiheit
einzelner Fractionen darunter verstehe, ihre Ansichten durch tumultuarische
Demonstrationen auf der Straße zu unterstützen. Von Seiten der Diener des
Belagerungszustandes oder der Obrigkeit überhaupt fürchte ich dergleichen nicht.
Sollten aber die Constabler sich so weit vergessen, uns hier einzunageln, oder
sollten die königlichen Truppen sich nicht entblöden, andersdenkende auf der
Straße zu insultieren, so werde ich den Beleidigten nicht zurufen: ,Richten Sie
doch Ihre Abstimmungen so ein, daß sie den Soldaten gefallen/ sondern ich
werde zu den ersten gehören, die ihre Stimme für die Freiheit unserer Be¬
rathungen erheben. Die ungezügelte Preßfreiheit und das Versammlungsrecht
ohne Controle sind anticivierte Bruchstücke eines zukünftigen Rechtszustandes,
Bruchstücke, welche, um ihnen die Ergänzung durch Repressivgesetze fehlt, jede
Regierung zu einem fortwährenden Kriegsfuße gegen den Aufruhr nöthigen —
Der besitzende Theil des Berliner Volkes, der am meisten und schnellsten unter
Störungen von Verkehr und Credit leidet, ist in dieser Kammer, wie ich be¬
haupte, gar nicht repräsentiert. Das haben die Wahlen zur ersten Kammer
unwiderleglich bewiesen. Es ist überhaupt sehr mißlich, sich (wie von Seiten
der Demokraten im Hause vielfältig geschehe») so schlechthin auf den Willen oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/399>, abgerufen am 29.12.2024.