Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.sagt, mit der Muttermilch eingesogen, und es will mir nicht gelingen, sie weg- sagt, mit der Muttermilch eingesogen, und es will mir nicht gelingen, sie weg- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148045"/> <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067" next="#ID_1069"> sagt, mit der Muttermilch eingesogen, und es will mir nicht gelingen, sie weg-<lb/> zudisputieren. Wenn ich mir als Repräsentanten der geheiligten Majestät des<lb/> Königs einen Juden denke, dem ich gehorchen soll, so muß ich bekennen, daß<lb/> ich mich tief niedergedrückt und gebeugt fühlen würde, daß mich die Freudigkeit<lb/> und das aufrechte Ehrgefühl verlassen würden, mit welchen ich jetzt meine Pflich¬<lb/> ten gegen den Staat zu erfüllen bemüht bin. Ich theile diese Empfindung mit<lb/> der Masse der niedern Schichten des Volkes und schäme mich dieser Gesellschaft<lb/> nicht. Warum es den Juden nicht gelungen ist, in vielen Jahrhunderten sich<lb/> die Sympathie der Bevölkerung in höherem Grade zu verschaffen, das will ich<lb/> nicht genau untersuchen, ein geehrter Redner aus der Grafschaft Mark (v. Vincke)<lb/> hat die Gründe schärfer herausgestellt, als ich sie hier wiederholen möchte. Nur<lb/> eins ist mir nicht klar geworden, nämlich, wie der geehrte Redner diejenigen<lb/> Leute, die er, wenn ich richtig verstand, als zu schlecht für seinen Umgang be¬<lb/> zeichnete, zu seineu vorgesetzten Beamten, selbst zu Ministern haben möchte, wenn<lb/> er es nicht braucht. Er sprach die Ueberzeugung aus, daß die Juden, seien sie<lb/> auch jetzt, was sie wollten, sich ändern konnten und würden, und führte zum<lb/> Beweise dessen an, was sie früher gewesen seien. Darauf muß ich erwiedern,<lb/> daß wir es nicht mit den Makkabären der Vorzeit noch mit den Juden der<lb/> Zukunft zu thun haben, sondern mit den Juden der Gegenwart. Darüber, wie<lb/> sie jetzt sind, will in mir in Bausch und Bogen kein Urtheil erlauben. Ich ge¬<lb/> stehe zu, daß in Berlin und überhaupt in größern Städten die Judenschaft fast<lb/> durchaus aus achtungswerthen Leuten besteht, ich gebe zu, daß solche auch auf<lb/> dem Lande nicht bloß zu den Ausnahmen gehören, obgleich ich sagen muß, daß<lb/> der entgegengesetzte Fall vorkomme. Wir haben gestern von der Mildthätigkeit<lb/> der Juden zur Unterstützung ihrer Sache gehört. Nun Beispiel gegen Beispiel.<lb/> Ich will ein anderes geben, ein Beispiel, in welchem eine ganze Geschichte der<lb/> Verhältnisse zwischen Juden und Christen liegt. Ich kenne eine Gegend, wo<lb/> die jüdische Bevölkerung auf dem Lande zahlreich ist, wo es Bauern giebt, die<lb/> nichts ihr Eigenthum nennen auf ihren: ganzen Grundstücke; vom Bette bis zur<lb/> Ofengabel gehört alles Mobiliar dem Juden, das Vieh im Stalle gehört dem<lb/> Juden, und der Bauer zahlt für jedes einzelne seine tägliche Miethe; das<lb/> Getreide auf dem Felde und in der Scheuer gehört dem Juden, und der Jude<lb/> verkauft dem Bauer das Brod-, Saat- und Futterkorn metzenweise. Von<lb/> einem ähnlichen christlichen Wucher habe ich, wenigstens in meiner Praxis,<lb/> noch nie gehört. Man führt zur Entschuldigung dieser Fehler an, daß sie<lb/> aus den gedrückten Verhältnissen der Juden nothwendig hervorgehen müßten.<lb/> Wenn ich mir die Reden von gestern vergegenwärtige, so möchte ich glauben,<lb/> daß wir in den Zeiten der Judenhetzen lebten, daß sich jeder Jude täglich<lb/> alles das müsse gefallen lassen, was der ehrliche Shylock erdulden wollte,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
sagt, mit der Muttermilch eingesogen, und es will mir nicht gelingen, sie weg-
zudisputieren. Wenn ich mir als Repräsentanten der geheiligten Majestät des
Königs einen Juden denke, dem ich gehorchen soll, so muß ich bekennen, daß
ich mich tief niedergedrückt und gebeugt fühlen würde, daß mich die Freudigkeit
und das aufrechte Ehrgefühl verlassen würden, mit welchen ich jetzt meine Pflich¬
ten gegen den Staat zu erfüllen bemüht bin. Ich theile diese Empfindung mit
der Masse der niedern Schichten des Volkes und schäme mich dieser Gesellschaft
nicht. Warum es den Juden nicht gelungen ist, in vielen Jahrhunderten sich
die Sympathie der Bevölkerung in höherem Grade zu verschaffen, das will ich
nicht genau untersuchen, ein geehrter Redner aus der Grafschaft Mark (v. Vincke)
hat die Gründe schärfer herausgestellt, als ich sie hier wiederholen möchte. Nur
eins ist mir nicht klar geworden, nämlich, wie der geehrte Redner diejenigen
Leute, die er, wenn ich richtig verstand, als zu schlecht für seinen Umgang be¬
zeichnete, zu seineu vorgesetzten Beamten, selbst zu Ministern haben möchte, wenn
er es nicht braucht. Er sprach die Ueberzeugung aus, daß die Juden, seien sie
auch jetzt, was sie wollten, sich ändern konnten und würden, und führte zum
Beweise dessen an, was sie früher gewesen seien. Darauf muß ich erwiedern,
daß wir es nicht mit den Makkabären der Vorzeit noch mit den Juden der
Zukunft zu thun haben, sondern mit den Juden der Gegenwart. Darüber, wie
sie jetzt sind, will in mir in Bausch und Bogen kein Urtheil erlauben. Ich ge¬
stehe zu, daß in Berlin und überhaupt in größern Städten die Judenschaft fast
durchaus aus achtungswerthen Leuten besteht, ich gebe zu, daß solche auch auf
dem Lande nicht bloß zu den Ausnahmen gehören, obgleich ich sagen muß, daß
der entgegengesetzte Fall vorkomme. Wir haben gestern von der Mildthätigkeit
der Juden zur Unterstützung ihrer Sache gehört. Nun Beispiel gegen Beispiel.
Ich will ein anderes geben, ein Beispiel, in welchem eine ganze Geschichte der
Verhältnisse zwischen Juden und Christen liegt. Ich kenne eine Gegend, wo
die jüdische Bevölkerung auf dem Lande zahlreich ist, wo es Bauern giebt, die
nichts ihr Eigenthum nennen auf ihren: ganzen Grundstücke; vom Bette bis zur
Ofengabel gehört alles Mobiliar dem Juden, das Vieh im Stalle gehört dem
Juden, und der Bauer zahlt für jedes einzelne seine tägliche Miethe; das
Getreide auf dem Felde und in der Scheuer gehört dem Juden, und der Jude
verkauft dem Bauer das Brod-, Saat- und Futterkorn metzenweise. Von
einem ähnlichen christlichen Wucher habe ich, wenigstens in meiner Praxis,
noch nie gehört. Man führt zur Entschuldigung dieser Fehler an, daß sie
aus den gedrückten Verhältnissen der Juden nothwendig hervorgehen müßten.
Wenn ich mir die Reden von gestern vergegenwärtige, so möchte ich glauben,
daß wir in den Zeiten der Judenhetzen lebten, daß sich jeder Jude täglich
alles das müsse gefallen lassen, was der ehrliche Shylock erdulden wollte,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |