Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Haufen, welcher noch an Vorurtheilen klebt, die er mit der Muttermilch einge¬ Haufen, welcher noch an Vorurtheilen klebt, die er mit der Muttermilch einge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148044"/> <p xml:id="ID_1067" prev="#ID_1066" next="#ID_1068"> Haufen, welcher noch an Vorurtheilen klebt, die er mit der Muttermilch einge¬<lb/> sogen hat, dem Haufen, welchem ein Christenthum, das über dem Staate steht,<lb/> zu hoch ist----Ich bin der Meinung, daß der Begriff des christlichen Staates<lb/> so alt sei, wie das el-äöVMt heilige römische Reich, so alt wie sämmtliche<lb/> europäische Staaten, daß er gerade der Boden sei, in welchem diese Staaten<lb/> Wurzel geschlagen haben, und daß jeder Staat, wenn er seine Dauer gesichert<lb/> sehen, weim er die Berechtigung zur Existenz nur nachweise» will, sobald sie<lb/> bestritten wird, auf religiöser Grundlage sich befinden muß---- Als Gottes<lb/> Willen kann ich nur erkennen, was in den christlichen Evangelien offenbart<lb/> worden ist, und ich glaube in meinem Rechte zu sein, wenn ich einen solchen<lb/> Staat eiuen christlichen nenne, welcher sich die Aufgabe gestellt hat, die Lehre<lb/> des Christenthums zu verwirklichen. Daß dies unserm Staate nicht in allen<lb/> Beziehungen gelingt, das hat gestern der geehrte Abgeordnete aus der Grafschaft<lb/> Mark (von Vincke) in einer mehr scharfsinnigen als meinem religiösen Gefühle<lb/> wohlthuenden Parallele zwischen den Wahrheiten des Evangeliums und den<lb/> Paragraphen des Landrechts dargethan. Wenn indeß die Lösung auch nicht<lb/> immer gelingt, so glaube ich doch, die Realisierung der christlichen Lehre sei<lb/> der Zweck des Staates; daß wir aber mit Hilfe der Juden diesem Zwecke näher<lb/> kommen sollten, kann ich nicht glauben. Erkennt man die religiöse Grundlage<lb/> des Staates überhaupt an, so kann, meine ich, diese Grundlage bei uns nur<lb/> das Christenthum sein. Entziehen wir diese religiöse Grundlage dem Staate,<lb/> so behalten wir als Staat nichts als ein zufälliges Aggregat vou Rechten, eine<lb/> Art Bollwerk gegen den Krieg aller gegen alle, welchen die ältere Philosophie<lb/> aufgestellt hat. Seine Gesetzgebung wird sich dann nicht mehr aus dem Urquell<lb/> der ewigen Wahrheit regenerieren, sondern aus den vagen und wandelbaren<lb/> Begriffen von Humanität, wie sie sich gerade in den Köpfen derjenigen gestalten,<lb/> welche an der Spitze stehen. Wie man in solchen Staaten z. B. den Ideen<lb/> der Communisten über die Jmmoralität des Eigenthums, über den hohen sitt¬<lb/> lichen Werth des Diebstahls als eines Versuchs, die angebornen Rechte der<lb/> Menschen herzustellen, das Recht, sich geltend zu machen, bestreiten will, wenn<lb/> sie die Kraft dazu in sich fühlen, ist mir nicht klar; denn auch diese Ideen<lb/> werden von ihren Trägern für human gehalten, ja als die rechte Blüthe der<lb/> Humanität angesehen. Deshalb, meine Herren, schmälern wir dem Volke nicht<lb/> sein Christenthum, indem wir ihm zeigen, daß es für seine Gesetzgeber nicht er¬<lb/> forderlich sei____In den Landestheilen, wo das Edict von 1812 gilt, fehlen<lb/> den Juden, soviel ich mich erinnere, keine andern Rechte als dasjenige, obrig¬<lb/> keitliche Aemter zu bekleiden. Dieses nehmen sie nun in Anspruch, sie verlangen,<lb/> Landräthe, Generäle, Minister, ja unter Umständen auch Cultusminister zu<lb/> werden. Ich gestehe ein, daß ich voller Vorurtheile stecke; ich habe sie, wie ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0397]
Haufen, welcher noch an Vorurtheilen klebt, die er mit der Muttermilch einge¬
sogen hat, dem Haufen, welchem ein Christenthum, das über dem Staate steht,
zu hoch ist----Ich bin der Meinung, daß der Begriff des christlichen Staates
so alt sei, wie das el-äöVMt heilige römische Reich, so alt wie sämmtliche
europäische Staaten, daß er gerade der Boden sei, in welchem diese Staaten
Wurzel geschlagen haben, und daß jeder Staat, wenn er seine Dauer gesichert
sehen, weim er die Berechtigung zur Existenz nur nachweise» will, sobald sie
bestritten wird, auf religiöser Grundlage sich befinden muß---- Als Gottes
Willen kann ich nur erkennen, was in den christlichen Evangelien offenbart
worden ist, und ich glaube in meinem Rechte zu sein, wenn ich einen solchen
Staat eiuen christlichen nenne, welcher sich die Aufgabe gestellt hat, die Lehre
des Christenthums zu verwirklichen. Daß dies unserm Staate nicht in allen
Beziehungen gelingt, das hat gestern der geehrte Abgeordnete aus der Grafschaft
Mark (von Vincke) in einer mehr scharfsinnigen als meinem religiösen Gefühle
wohlthuenden Parallele zwischen den Wahrheiten des Evangeliums und den
Paragraphen des Landrechts dargethan. Wenn indeß die Lösung auch nicht
immer gelingt, so glaube ich doch, die Realisierung der christlichen Lehre sei
der Zweck des Staates; daß wir aber mit Hilfe der Juden diesem Zwecke näher
kommen sollten, kann ich nicht glauben. Erkennt man die religiöse Grundlage
des Staates überhaupt an, so kann, meine ich, diese Grundlage bei uns nur
das Christenthum sein. Entziehen wir diese religiöse Grundlage dem Staate,
so behalten wir als Staat nichts als ein zufälliges Aggregat vou Rechten, eine
Art Bollwerk gegen den Krieg aller gegen alle, welchen die ältere Philosophie
aufgestellt hat. Seine Gesetzgebung wird sich dann nicht mehr aus dem Urquell
der ewigen Wahrheit regenerieren, sondern aus den vagen und wandelbaren
Begriffen von Humanität, wie sie sich gerade in den Köpfen derjenigen gestalten,
welche an der Spitze stehen. Wie man in solchen Staaten z. B. den Ideen
der Communisten über die Jmmoralität des Eigenthums, über den hohen sitt¬
lichen Werth des Diebstahls als eines Versuchs, die angebornen Rechte der
Menschen herzustellen, das Recht, sich geltend zu machen, bestreiten will, wenn
sie die Kraft dazu in sich fühlen, ist mir nicht klar; denn auch diese Ideen
werden von ihren Trägern für human gehalten, ja als die rechte Blüthe der
Humanität angesehen. Deshalb, meine Herren, schmälern wir dem Volke nicht
sein Christenthum, indem wir ihm zeigen, daß es für seine Gesetzgeber nicht er¬
forderlich sei____In den Landestheilen, wo das Edict von 1812 gilt, fehlen
den Juden, soviel ich mich erinnere, keine andern Rechte als dasjenige, obrig¬
keitliche Aemter zu bekleiden. Dieses nehmen sie nun in Anspruch, sie verlangen,
Landräthe, Generäle, Minister, ja unter Umständen auch Cultusminister zu
werden. Ich gestehe ein, daß ich voller Vorurtheile stecke; ich habe sie, wie ge-
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