Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

im Vereinigten Landtage sich zum Worte meldete. Es war am 17, Mai 1847.
Sein liberaler College von Sareten (Tarputschen) hatte behauptet, die Erhebung
des preußischen Volkes im Jahre 1813 sei uicht die Folge des Hasses gewesen,
den jeder gegen den französischen Eroberer empfunden habe -- "ein edles, ge¬
bildetes Volk wie das preußische," meinte er, "kennt keinen Nationalhaß" --
sondern die Wirkung der Gesetzgebung von 1807, welche die bis dahin isolierte
Regierung innig mit dem Volke verbunden habe. Auf diese ungeschichtliche
Phrase mußte er u. a. vou Bismarck die Erwiederung hören: "Es heißt meines
Erachtens der Nationalehre einen schlechten Dienst erweisen, wenn man annimmt,
daß die Mißhandlung und Erniedrigung, welche die Preußen durch einen fremden
Gewalthaber erlitten, uicht hinreichend gewesen seien, ihr Blut in Wallung zu
bringen und durch den Haß gegen die Fremdlinge alle andern Gefühle über¬
täubt werden zu lassen." Großer Lärm. Mehrere Abgeordnete bitten ums
Wort. Die Herren Krause und Gier stellen sich auf die Seite Sauckens.
Ersterer behauptet, die durch das Gesetz von 1807 dem Volke eingepflanzte
Freiheitsidee sei 1813 zur That geworden, beide meinen, Herr von Bismarck
könne über jene Verhältnisse nicht urtheilen, weil er sie nicht erlebt habe. Darauf
dieser: "Ich kann allerdings nicht in Abrede stellen, daß ich zu jeuer Zeit nicht
gelebt habe, und es that mir stets aufrichtig leid, daß es mir nicht vergönnt
gewesen, an dieser Bewegung theilzunehmen, ein Bedauern, das vermindert wird
durch die Aufklärung, die ich soeben empfangen habe. Ich habe immer geglaubt,
daß die Knechtschaft, gegen die damals gekämpft wurde, im Auslande gelegen
habe, soeben bin ich aber belehrt worden, daß sie im Inlande gelegen hat, und
ich bin nicht sehr dankbar sür diese Aufklärung."

Um die Mitte des Juni 1847 berieth die Curie der drei Stände den Ent¬
wurf zu einer Verordnung in Betreff der Juden. Dabei hatte der Abgeordnete
Camphausen am 14. auszuführen versucht, daß der christliche Staat keine prak¬
tische Bedeutung habe, vielmehr nur eine Erfindung der neuen Staatsphilosophie
sei. Darauf erklärte Bismarck am nächsten Tage in einer großen Rede, von
der wir hier nur die Hauptzüge mittheilen können, folgendes:

"Ich muß öffentlich bekennen, daß ich einer Richtung angehöre, die der ge¬
ehrte Abgeordnete von Krefeld (Handelsgerichtspräsident von der Heydt) gestern
als finster und mittelalterlich bezeichnete, derjenigen Richtung, welche es noch¬
mals wagt, der freiern Entwicklung des Christenthums, wie sie der Abgeordnete
von Krefeld für die einzig wahre hält, entgegenzutreten. Ich kann ferner nicht
leugnen, daß ich jenem großen Haufen angehöre, welcher, wie der geehrte Ab¬
geordnete aus Posen (Oberbürgermeister Naumann) bemerkte, dem intelligenteren
Theile der Nation gegenübersteht und diesem, wenn mein Gedächtniß mich nicht
täuscht, in ziemlich geringschätzender Weise entgegengesetzt wurde, dem großen


im Vereinigten Landtage sich zum Worte meldete. Es war am 17, Mai 1847.
Sein liberaler College von Sareten (Tarputschen) hatte behauptet, die Erhebung
des preußischen Volkes im Jahre 1813 sei uicht die Folge des Hasses gewesen,
den jeder gegen den französischen Eroberer empfunden habe — „ein edles, ge¬
bildetes Volk wie das preußische," meinte er, „kennt keinen Nationalhaß" —
sondern die Wirkung der Gesetzgebung von 1807, welche die bis dahin isolierte
Regierung innig mit dem Volke verbunden habe. Auf diese ungeschichtliche
Phrase mußte er u. a. vou Bismarck die Erwiederung hören: „Es heißt meines
Erachtens der Nationalehre einen schlechten Dienst erweisen, wenn man annimmt,
daß die Mißhandlung und Erniedrigung, welche die Preußen durch einen fremden
Gewalthaber erlitten, uicht hinreichend gewesen seien, ihr Blut in Wallung zu
bringen und durch den Haß gegen die Fremdlinge alle andern Gefühle über¬
täubt werden zu lassen." Großer Lärm. Mehrere Abgeordnete bitten ums
Wort. Die Herren Krause und Gier stellen sich auf die Seite Sauckens.
Ersterer behauptet, die durch das Gesetz von 1807 dem Volke eingepflanzte
Freiheitsidee sei 1813 zur That geworden, beide meinen, Herr von Bismarck
könne über jene Verhältnisse nicht urtheilen, weil er sie nicht erlebt habe. Darauf
dieser: „Ich kann allerdings nicht in Abrede stellen, daß ich zu jeuer Zeit nicht
gelebt habe, und es that mir stets aufrichtig leid, daß es mir nicht vergönnt
gewesen, an dieser Bewegung theilzunehmen, ein Bedauern, das vermindert wird
durch die Aufklärung, die ich soeben empfangen habe. Ich habe immer geglaubt,
daß die Knechtschaft, gegen die damals gekämpft wurde, im Auslande gelegen
habe, soeben bin ich aber belehrt worden, daß sie im Inlande gelegen hat, und
ich bin nicht sehr dankbar sür diese Aufklärung."

Um die Mitte des Juni 1847 berieth die Curie der drei Stände den Ent¬
wurf zu einer Verordnung in Betreff der Juden. Dabei hatte der Abgeordnete
Camphausen am 14. auszuführen versucht, daß der christliche Staat keine prak¬
tische Bedeutung habe, vielmehr nur eine Erfindung der neuen Staatsphilosophie
sei. Darauf erklärte Bismarck am nächsten Tage in einer großen Rede, von
der wir hier nur die Hauptzüge mittheilen können, folgendes:

„Ich muß öffentlich bekennen, daß ich einer Richtung angehöre, die der ge¬
ehrte Abgeordnete von Krefeld (Handelsgerichtspräsident von der Heydt) gestern
als finster und mittelalterlich bezeichnete, derjenigen Richtung, welche es noch¬
mals wagt, der freiern Entwicklung des Christenthums, wie sie der Abgeordnete
von Krefeld für die einzig wahre hält, entgegenzutreten. Ich kann ferner nicht
leugnen, daß ich jenem großen Haufen angehöre, welcher, wie der geehrte Ab¬
geordnete aus Posen (Oberbürgermeister Naumann) bemerkte, dem intelligenteren
Theile der Nation gegenübersteht und diesem, wenn mein Gedächtniß mich nicht
täuscht, in ziemlich geringschätzender Weise entgegengesetzt wurde, dem großen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148043"/>
          <p xml:id="ID_1064" prev="#ID_1063"> im Vereinigten Landtage sich zum Worte meldete. Es war am 17, Mai 1847.<lb/>
Sein liberaler College von Sareten (Tarputschen) hatte behauptet, die Erhebung<lb/>
des preußischen Volkes im Jahre 1813 sei uicht die Folge des Hasses gewesen,<lb/>
den jeder gegen den französischen Eroberer empfunden habe &#x2014; &#x201E;ein edles, ge¬<lb/>
bildetes Volk wie das preußische," meinte er, &#x201E;kennt keinen Nationalhaß" &#x2014;<lb/>
sondern die Wirkung der Gesetzgebung von 1807, welche die bis dahin isolierte<lb/>
Regierung innig mit dem Volke verbunden habe. Auf diese ungeschichtliche<lb/>
Phrase mußte er u. a. vou Bismarck die Erwiederung hören: &#x201E;Es heißt meines<lb/>
Erachtens der Nationalehre einen schlechten Dienst erweisen, wenn man annimmt,<lb/>
daß die Mißhandlung und Erniedrigung, welche die Preußen durch einen fremden<lb/>
Gewalthaber erlitten, uicht hinreichend gewesen seien, ihr Blut in Wallung zu<lb/>
bringen und durch den Haß gegen die Fremdlinge alle andern Gefühle über¬<lb/>
täubt werden zu lassen." Großer Lärm. Mehrere Abgeordnete bitten ums<lb/>
Wort. Die Herren Krause und Gier stellen sich auf die Seite Sauckens.<lb/>
Ersterer behauptet, die durch das Gesetz von 1807 dem Volke eingepflanzte<lb/>
Freiheitsidee sei 1813 zur That geworden, beide meinen, Herr von Bismarck<lb/>
könne über jene Verhältnisse nicht urtheilen, weil er sie nicht erlebt habe. Darauf<lb/>
dieser: &#x201E;Ich kann allerdings nicht in Abrede stellen, daß ich zu jeuer Zeit nicht<lb/>
gelebt habe, und es that mir stets aufrichtig leid, daß es mir nicht vergönnt<lb/>
gewesen, an dieser Bewegung theilzunehmen, ein Bedauern, das vermindert wird<lb/>
durch die Aufklärung, die ich soeben empfangen habe. Ich habe immer geglaubt,<lb/>
daß die Knechtschaft, gegen die damals gekämpft wurde, im Auslande gelegen<lb/>
habe, soeben bin ich aber belehrt worden, daß sie im Inlande gelegen hat, und<lb/>
ich bin nicht sehr dankbar sür diese Aufklärung."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065"> Um die Mitte des Juni 1847 berieth die Curie der drei Stände den Ent¬<lb/>
wurf zu einer Verordnung in Betreff der Juden. Dabei hatte der Abgeordnete<lb/>
Camphausen am 14. auszuführen versucht, daß der christliche Staat keine prak¬<lb/>
tische Bedeutung habe, vielmehr nur eine Erfindung der neuen Staatsphilosophie<lb/>
sei. Darauf erklärte Bismarck am nächsten Tage in einer großen Rede, von<lb/>
der wir hier nur die Hauptzüge mittheilen können, folgendes:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066" next="#ID_1067"> &#x201E;Ich muß öffentlich bekennen, daß ich einer Richtung angehöre, die der ge¬<lb/>
ehrte Abgeordnete von Krefeld (Handelsgerichtspräsident von der Heydt) gestern<lb/>
als finster und mittelalterlich bezeichnete, derjenigen Richtung, welche es noch¬<lb/>
mals wagt, der freiern Entwicklung des Christenthums, wie sie der Abgeordnete<lb/>
von Krefeld für die einzig wahre hält, entgegenzutreten. Ich kann ferner nicht<lb/>
leugnen, daß ich jenem großen Haufen angehöre, welcher, wie der geehrte Ab¬<lb/>
geordnete aus Posen (Oberbürgermeister Naumann) bemerkte, dem intelligenteren<lb/>
Theile der Nation gegenübersteht und diesem, wenn mein Gedächtniß mich nicht<lb/>
täuscht, in ziemlich geringschätzender Weise entgegengesetzt wurde, dem großen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] im Vereinigten Landtage sich zum Worte meldete. Es war am 17, Mai 1847. Sein liberaler College von Sareten (Tarputschen) hatte behauptet, die Erhebung des preußischen Volkes im Jahre 1813 sei uicht die Folge des Hasses gewesen, den jeder gegen den französischen Eroberer empfunden habe — „ein edles, ge¬ bildetes Volk wie das preußische," meinte er, „kennt keinen Nationalhaß" — sondern die Wirkung der Gesetzgebung von 1807, welche die bis dahin isolierte Regierung innig mit dem Volke verbunden habe. Auf diese ungeschichtliche Phrase mußte er u. a. vou Bismarck die Erwiederung hören: „Es heißt meines Erachtens der Nationalehre einen schlechten Dienst erweisen, wenn man annimmt, daß die Mißhandlung und Erniedrigung, welche die Preußen durch einen fremden Gewalthaber erlitten, uicht hinreichend gewesen seien, ihr Blut in Wallung zu bringen und durch den Haß gegen die Fremdlinge alle andern Gefühle über¬ täubt werden zu lassen." Großer Lärm. Mehrere Abgeordnete bitten ums Wort. Die Herren Krause und Gier stellen sich auf die Seite Sauckens. Ersterer behauptet, die durch das Gesetz von 1807 dem Volke eingepflanzte Freiheitsidee sei 1813 zur That geworden, beide meinen, Herr von Bismarck könne über jene Verhältnisse nicht urtheilen, weil er sie nicht erlebt habe. Darauf dieser: „Ich kann allerdings nicht in Abrede stellen, daß ich zu jeuer Zeit nicht gelebt habe, und es that mir stets aufrichtig leid, daß es mir nicht vergönnt gewesen, an dieser Bewegung theilzunehmen, ein Bedauern, das vermindert wird durch die Aufklärung, die ich soeben empfangen habe. Ich habe immer geglaubt, daß die Knechtschaft, gegen die damals gekämpft wurde, im Auslande gelegen habe, soeben bin ich aber belehrt worden, daß sie im Inlande gelegen hat, und ich bin nicht sehr dankbar sür diese Aufklärung." Um die Mitte des Juni 1847 berieth die Curie der drei Stände den Ent¬ wurf zu einer Verordnung in Betreff der Juden. Dabei hatte der Abgeordnete Camphausen am 14. auszuführen versucht, daß der christliche Staat keine prak¬ tische Bedeutung habe, vielmehr nur eine Erfindung der neuen Staatsphilosophie sei. Darauf erklärte Bismarck am nächsten Tage in einer großen Rede, von der wir hier nur die Hauptzüge mittheilen können, folgendes: „Ich muß öffentlich bekennen, daß ich einer Richtung angehöre, die der ge¬ ehrte Abgeordnete von Krefeld (Handelsgerichtspräsident von der Heydt) gestern als finster und mittelalterlich bezeichnete, derjenigen Richtung, welche es noch¬ mals wagt, der freiern Entwicklung des Christenthums, wie sie der Abgeordnete von Krefeld für die einzig wahre hält, entgegenzutreten. Ich kann ferner nicht leugnen, daß ich jenem großen Haufen angehöre, welcher, wie der geehrte Ab¬ geordnete aus Posen (Oberbürgermeister Naumann) bemerkte, dem intelligenteren Theile der Nation gegenübersteht und diesem, wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht, in ziemlich geringschätzender Weise entgegengesetzt wurde, dem großen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/396>, abgerufen am 29.12.2024.