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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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classische Alterthum ging in dieser Beziehung sogar noch weiter, das Schauspiel
-- weit entfernt von einer eifersüchtigen Priesterschaft verdammt zu werden --
diente vielmehr selbst dem Cultus der Götter, und so sicher wie ein Tempel
war in jeder größeren griechischen Stadt auch ein Theater zu finden. Das
Theater des Dionysos zu Athen, an den Felsen der Akropolis angelehnt, faßte
30000 Menschen. In Rom gab es Schauspielhäuser, in denen 40000, ja
80000 Zuschauer Platz hatten. Die Kunstrichter, Feldherren, Staatsbeamten,
die Consuln und Vestalinnen saßen in der Proedria auf Ehrenplätzen. Dithy¬
ramben und gottbegeisterte Gesänge wurden angestimmt, und ein besonderes
Logeion und Theologeion wurde errichtet für die höchsten Offenbarungen der
Weisheit oder des Fatums. Zwei Jahrtausende haben diese Bühneneinrich¬
tungen überdauert. Der Staat sorgte für die Schauspieler, die den Dichtern
unterstellt wurden, ja die Dichter selber sprachen ihre Verse vor dem Volke.
Es war jedem Staatsbürger Ehrensache, das Theater zu unterstütze" und ein
Ehrenamt der Aristokraten und später der Plutokraten, die Leitung und Ein¬
übung der Vorstellungen zu übernehmen; der Staat zahlte das Eintrittsgeld
für die Unbemittelten. So waren die antiken Theater wirkliche Kunsttempel
und dem Volke offen wie heutzutage die Kirche. Man spielte nicht um Ge¬
winn, sondern um des Cultus halber. Als dann das Volk der Hellenen, vom
Orient überwuchert, den Weg alles Fleisches ging, als die Aristophanische Laune,
die in jeden: Griechen pulsirte, die Zeiten des Zerfalls durch Witz und bittere
Kritik erhellen mußte, als die Ehren der Bühne zur Decoration cäsaristischen
Größenwahns wurden und Nero mit einem Gefolge von Claqueurs die Pro¬
vinzen durchzog, um selber als Gott vor den beglückten Völkern zu Paradiren,
da war es mit diesem Cultus vorbei. Ein neuer Cult beherrschte die Gemüther,
der im Verborgenen zu blühen begann und dem jeder, den die Inbrunst
anwandelte, in der Einsamkeit des Gebetes huldigen konnte, seinen unsichtbaren
Gott allein zum Zuhörer. Müde und matt verfielen die Musen in einen Jahr¬
hunderte währenden Schlaf. l'ansiQ et c-ircMsos! schrie die Menge. Thier¬
kämpfe, raffinirter Mord, zerfleischte Sclaven in den Tatzen reißender Bestien
waren die letzten Kunstgenüsse, welche den selbst zur Bestie gewordenen Römer
noch befriedigten, und als die Lehre des "Menschensohnes" zur Macht gelangte,
wurden diese Cirken geschlossen. Die Völkerwanderung fegte die letzten vsMx
rs8w8 hinweg. Jahrhunderte lang war das Theater nur noch ein Wort, kein
Begriff mehr.

Auch die christliche Bühne verleugnete den Beruf nicht, dem Vvlksgemüthe
zum Ausdruck zu dienen, wenn sie sich auch meist auf die pomphafte Darstel¬
lung der Leiden des Menschensohnes beschränkte, also die vielseitige Entwicklung
der antiken Bühne ausschloß. Diese Intoleranz und Unfähigkeit mußte noth-


classische Alterthum ging in dieser Beziehung sogar noch weiter, das Schauspiel
— weit entfernt von einer eifersüchtigen Priesterschaft verdammt zu werden —
diente vielmehr selbst dem Cultus der Götter, und so sicher wie ein Tempel
war in jeder größeren griechischen Stadt auch ein Theater zu finden. Das
Theater des Dionysos zu Athen, an den Felsen der Akropolis angelehnt, faßte
30000 Menschen. In Rom gab es Schauspielhäuser, in denen 40000, ja
80000 Zuschauer Platz hatten. Die Kunstrichter, Feldherren, Staatsbeamten,
die Consuln und Vestalinnen saßen in der Proedria auf Ehrenplätzen. Dithy¬
ramben und gottbegeisterte Gesänge wurden angestimmt, und ein besonderes
Logeion und Theologeion wurde errichtet für die höchsten Offenbarungen der
Weisheit oder des Fatums. Zwei Jahrtausende haben diese Bühneneinrich¬
tungen überdauert. Der Staat sorgte für die Schauspieler, die den Dichtern
unterstellt wurden, ja die Dichter selber sprachen ihre Verse vor dem Volke.
Es war jedem Staatsbürger Ehrensache, das Theater zu unterstütze» und ein
Ehrenamt der Aristokraten und später der Plutokraten, die Leitung und Ein¬
übung der Vorstellungen zu übernehmen; der Staat zahlte das Eintrittsgeld
für die Unbemittelten. So waren die antiken Theater wirkliche Kunsttempel
und dem Volke offen wie heutzutage die Kirche. Man spielte nicht um Ge¬
winn, sondern um des Cultus halber. Als dann das Volk der Hellenen, vom
Orient überwuchert, den Weg alles Fleisches ging, als die Aristophanische Laune,
die in jeden: Griechen pulsirte, die Zeiten des Zerfalls durch Witz und bittere
Kritik erhellen mußte, als die Ehren der Bühne zur Decoration cäsaristischen
Größenwahns wurden und Nero mit einem Gefolge von Claqueurs die Pro¬
vinzen durchzog, um selber als Gott vor den beglückten Völkern zu Paradiren,
da war es mit diesem Cultus vorbei. Ein neuer Cult beherrschte die Gemüther,
der im Verborgenen zu blühen begann und dem jeder, den die Inbrunst
anwandelte, in der Einsamkeit des Gebetes huldigen konnte, seinen unsichtbaren
Gott allein zum Zuhörer. Müde und matt verfielen die Musen in einen Jahr¬
hunderte währenden Schlaf. l'ansiQ et c-ircMsos! schrie die Menge. Thier¬
kämpfe, raffinirter Mord, zerfleischte Sclaven in den Tatzen reißender Bestien
waren die letzten Kunstgenüsse, welche den selbst zur Bestie gewordenen Römer
noch befriedigten, und als die Lehre des „Menschensohnes" zur Macht gelangte,
wurden diese Cirken geschlossen. Die Völkerwanderung fegte die letzten vsMx
rs8w8 hinweg. Jahrhunderte lang war das Theater nur noch ein Wort, kein
Begriff mehr.

Auch die christliche Bühne verleugnete den Beruf nicht, dem Vvlksgemüthe
zum Ausdruck zu dienen, wenn sie sich auch meist auf die pomphafte Darstel¬
lung der Leiden des Menschensohnes beschränkte, also die vielseitige Entwicklung
der antiken Bühne ausschloß. Diese Intoleranz und Unfähigkeit mußte noth-


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[0035] classische Alterthum ging in dieser Beziehung sogar noch weiter, das Schauspiel — weit entfernt von einer eifersüchtigen Priesterschaft verdammt zu werden — diente vielmehr selbst dem Cultus der Götter, und so sicher wie ein Tempel war in jeder größeren griechischen Stadt auch ein Theater zu finden. Das Theater des Dionysos zu Athen, an den Felsen der Akropolis angelehnt, faßte 30000 Menschen. In Rom gab es Schauspielhäuser, in denen 40000, ja 80000 Zuschauer Platz hatten. Die Kunstrichter, Feldherren, Staatsbeamten, die Consuln und Vestalinnen saßen in der Proedria auf Ehrenplätzen. Dithy¬ ramben und gottbegeisterte Gesänge wurden angestimmt, und ein besonderes Logeion und Theologeion wurde errichtet für die höchsten Offenbarungen der Weisheit oder des Fatums. Zwei Jahrtausende haben diese Bühneneinrich¬ tungen überdauert. Der Staat sorgte für die Schauspieler, die den Dichtern unterstellt wurden, ja die Dichter selber sprachen ihre Verse vor dem Volke. Es war jedem Staatsbürger Ehrensache, das Theater zu unterstütze» und ein Ehrenamt der Aristokraten und später der Plutokraten, die Leitung und Ein¬ übung der Vorstellungen zu übernehmen; der Staat zahlte das Eintrittsgeld für die Unbemittelten. So waren die antiken Theater wirkliche Kunsttempel und dem Volke offen wie heutzutage die Kirche. Man spielte nicht um Ge¬ winn, sondern um des Cultus halber. Als dann das Volk der Hellenen, vom Orient überwuchert, den Weg alles Fleisches ging, als die Aristophanische Laune, die in jeden: Griechen pulsirte, die Zeiten des Zerfalls durch Witz und bittere Kritik erhellen mußte, als die Ehren der Bühne zur Decoration cäsaristischen Größenwahns wurden und Nero mit einem Gefolge von Claqueurs die Pro¬ vinzen durchzog, um selber als Gott vor den beglückten Völkern zu Paradiren, da war es mit diesem Cultus vorbei. Ein neuer Cult beherrschte die Gemüther, der im Verborgenen zu blühen begann und dem jeder, den die Inbrunst anwandelte, in der Einsamkeit des Gebetes huldigen konnte, seinen unsichtbaren Gott allein zum Zuhörer. Müde und matt verfielen die Musen in einen Jahr¬ hunderte währenden Schlaf. l'ansiQ et c-ircMsos! schrie die Menge. Thier¬ kämpfe, raffinirter Mord, zerfleischte Sclaven in den Tatzen reißender Bestien waren die letzten Kunstgenüsse, welche den selbst zur Bestie gewordenen Römer noch befriedigten, und als die Lehre des „Menschensohnes" zur Macht gelangte, wurden diese Cirken geschlossen. Die Völkerwanderung fegte die letzten vsMx rs8w8 hinweg. Jahrhunderte lang war das Theater nur noch ein Wort, kein Begriff mehr. Auch die christliche Bühne verleugnete den Beruf nicht, dem Vvlksgemüthe zum Ausdruck zu dienen, wenn sie sich auch meist auf die pomphafte Darstel¬ lung der Leiden des Menschensohnes beschränkte, also die vielseitige Entwicklung der antiken Bühne ausschloß. Diese Intoleranz und Unfähigkeit mußte noth-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/35>, abgerufen am 28.12.2024.