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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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wendigerweise der Entstehung der weltlichen Bühne Vorschub leisten. Die antike
Bühne hatte der Einführung des Thespiskarrens und der närrischen Muse
Raum geboten. Sie hatte dein Volke das weinende und das lachende Ge¬
sicht gezeigt. Die antike Weltanschauung stand dem Natürlichen so nahe, daß
die heitere Muse ohne die ernste zu beeinträchtigen mit ihr auf demselben Podium
wandeln konnte. Der Mysterienbühne wohnte eine gleiche Duldsamkeit nicht inne.
Das Theater als solches galt für profan. Den Hütern des Christenthums und
seiner alle Natur-Anschauung und -Entwicklung uuterbindenden hierarchischen
Gestaltung lag es vor allen Dingen daran, die weltliche Bühne von ihrem
eigentlichen Berufe fern zu halten. Ein Bischof war es, der im Anfang des
16. Jahrhunderts die Pantomime, die voinsäig. alsit' a-res erfand. Wenn das
Volk ein Theater für alle Tage haben sollte, so durfte es wenigstens kein be¬
deutungsvolles sein. Das Kind kam stumm zur Welt. Cvlumbine girrte und
pironettirte, Pantalon und Harlekin machten ihre Späße, die Schaulust, viel¬
leicht sogar die Lachlust sanden ihre Befriedigung, der Verstand aber erhielt
keine Anregung.

Erst die Reformation stellte das Theater wieder auf die Beine und löste
den Pantomimen die Zunge. In dieser Hinsicht hat sogar der deutsche Hans-
wurst eine reformatorische Bedeutung. Der deutsche Harlekin machte sich zum
Interpreten der kritisch gesinnten öffentlichen Meinung. Auch Pantalon mußte
sich auf einige gute Einfälle besinnen, und Columbine ihrer Kehle lyrische Laute
entlocken, denn ein Wort giebt das andere, auch in der Kunst; genug die viel¬
geschmähte Jmprovisationscomödie wurde ein wahrer Bronnen natürlicher An¬
schauung. Der Baun der höfischen und pfäffischen Verknöcherung wurde ge¬
brochen und der Wiedergeburt einer wirklichen Bühnenkuust, eiuer Renaissance
der antiken Musen, in Deutschland durch sie der Boden geebnet, Haus Wurst
stand Pathe an der Wiege von Lessing, Goethe und Schiller; er öffnete Shccke-
fpenre, Calderon, Moreto die Thore. Er war ein wahrer Blutsverwandter
Molieres, er war der rechte Musaget zu einer Zeit, als das Volk noch kaum
das Stammeln der Kunst sich zu verstehen getraute.

Diese Renaissance -- so hoch wir uns auch über unsere mittelalterlichen
Vorfahren erhaben dünken mögen -- ist noch lange nicht zu Ende. Die antike
Bühne, welche zwei Jahrtausende lang die Geister beherrschte, fand in den
Mysterien ihr Grab. Die moderne Bühne steht noch in der Kindheit, insofern
nämlich als die Bühne auch in Zukunft dem Cultus höchster Ideale und aller
zum Gemeingut gewordenen Ueberzeugungen dienstbar gemacht werden soll.

Unsere Klassiker hatten dazu bereits ein unerschütterliches Fundament ge¬
legt. Schon durch sie ist die Bühne wieder ein Altar geworden, an welchem
der Tugend und Tüchtigkeit, dem Muthe, der Duldung und der Ausdauer, der


wendigerweise der Entstehung der weltlichen Bühne Vorschub leisten. Die antike
Bühne hatte der Einführung des Thespiskarrens und der närrischen Muse
Raum geboten. Sie hatte dein Volke das weinende und das lachende Ge¬
sicht gezeigt. Die antike Weltanschauung stand dem Natürlichen so nahe, daß
die heitere Muse ohne die ernste zu beeinträchtigen mit ihr auf demselben Podium
wandeln konnte. Der Mysterienbühne wohnte eine gleiche Duldsamkeit nicht inne.
Das Theater als solches galt für profan. Den Hütern des Christenthums und
seiner alle Natur-Anschauung und -Entwicklung uuterbindenden hierarchischen
Gestaltung lag es vor allen Dingen daran, die weltliche Bühne von ihrem
eigentlichen Berufe fern zu halten. Ein Bischof war es, der im Anfang des
16. Jahrhunderts die Pantomime, die voinsäig. alsit' a-res erfand. Wenn das
Volk ein Theater für alle Tage haben sollte, so durfte es wenigstens kein be¬
deutungsvolles sein. Das Kind kam stumm zur Welt. Cvlumbine girrte und
pironettirte, Pantalon und Harlekin machten ihre Späße, die Schaulust, viel¬
leicht sogar die Lachlust sanden ihre Befriedigung, der Verstand aber erhielt
keine Anregung.

Erst die Reformation stellte das Theater wieder auf die Beine und löste
den Pantomimen die Zunge. In dieser Hinsicht hat sogar der deutsche Hans-
wurst eine reformatorische Bedeutung. Der deutsche Harlekin machte sich zum
Interpreten der kritisch gesinnten öffentlichen Meinung. Auch Pantalon mußte
sich auf einige gute Einfälle besinnen, und Columbine ihrer Kehle lyrische Laute
entlocken, denn ein Wort giebt das andere, auch in der Kunst; genug die viel¬
geschmähte Jmprovisationscomödie wurde ein wahrer Bronnen natürlicher An¬
schauung. Der Baun der höfischen und pfäffischen Verknöcherung wurde ge¬
brochen und der Wiedergeburt einer wirklichen Bühnenkuust, eiuer Renaissance
der antiken Musen, in Deutschland durch sie der Boden geebnet, Haus Wurst
stand Pathe an der Wiege von Lessing, Goethe und Schiller; er öffnete Shccke-
fpenre, Calderon, Moreto die Thore. Er war ein wahrer Blutsverwandter
Molieres, er war der rechte Musaget zu einer Zeit, als das Volk noch kaum
das Stammeln der Kunst sich zu verstehen getraute.

Diese Renaissance — so hoch wir uns auch über unsere mittelalterlichen
Vorfahren erhaben dünken mögen — ist noch lange nicht zu Ende. Die antike
Bühne, welche zwei Jahrtausende lang die Geister beherrschte, fand in den
Mysterien ihr Grab. Die moderne Bühne steht noch in der Kindheit, insofern
nämlich als die Bühne auch in Zukunft dem Cultus höchster Ideale und aller
zum Gemeingut gewordenen Ueberzeugungen dienstbar gemacht werden soll.

Unsere Klassiker hatten dazu bereits ein unerschütterliches Fundament ge¬
legt. Schon durch sie ist die Bühne wieder ein Altar geworden, an welchem
der Tugend und Tüchtigkeit, dem Muthe, der Duldung und der Ausdauer, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/36>, abgerufen am 28.12.2024.