Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.hörten. Es ist dies eine höchst auffällige und eine solche Erscheinung, die keines¬ Es ist mir hier weniger zu thun um Feststellung der Pflichten jenes ab¬ hörten. Es ist dies eine höchst auffällige und eine solche Erscheinung, die keines¬ Es ist mir hier weniger zu thun um Feststellung der Pflichten jenes ab¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147955"/> <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840"> hörten. Es ist dies eine höchst auffällige und eine solche Erscheinung, die keines¬<lb/> wegs zur Ehre der Juden gereicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_842" next="#ID_843"> Es ist mir hier weniger zu thun um Feststellung der Pflichten jenes ab¬<lb/> gefallenen oder entfremdeten Theiles des jüdischen Volkes, als um das Anrecht,<lb/> welches dieser Zustand des ganzen Volkes auf das öffentliche Interesse hat. Da<lb/> aber das liberale reformierte Judenthum sich bemüht, dieses Interesse abzu¬<lb/> schwächen, so bin ich genöthigt, daran zu erinnern, wie wenig gerade dieses Juden-<lb/> thum für das jüdische Volk bisher geleistet hat und wie wenig ihm daher gebührt,<lb/> als Vertreter seiner östlichen Stammgenossen aufzutreten. So wenig es mir<lb/> angemessen erscheint, daß die jüdische Geldaristokratie Europas stets die Mittel<lb/> bereit hat, um neue und glänzende Synagogen in allen Welttheilen zu bauen,<lb/> während die große Masse des Volkes Israel an seiner synagogalen Geistlosig-<lb/> keit zu Grunde geht, daß das gebildete Judenthum Europas alle privaten und<lb/> staatlichen Mittel aufbietet um die Cultur zu fördern überall, nur nicht bei<lb/> seinen Stammgenossen, daß mit friedlichen oder gewaltsamen Mitteln dem jüdi¬<lb/> schen Volke die Wege geebnet werden zu materiellem Wohlergehen und bürger¬<lb/> licher Gleichstellung, aber wenig Sorge getragen wird für sein geistiges und<lb/> sittliches Wohlbefinden und für die Gleichstellung mit den Culturvölkern in Rück¬<lb/> sicht auf den Grad der innern menschlichen Ausbildung, ebenso wenig zweifle<lb/> ich daran, daß alle Anstrengungen zur Ausfüllung der Kluft zwischen dem jüdi¬<lb/> schen und den andern Völkern Europas vergebliche bleiben werden, so lange<lb/> man nicht mit der einschneidendsten Reform am Judenthume selbst wird begonnen<lb/> haben. Aller Liberalismus zu Gunsten des Judenthums ohne das ernste Stre¬<lb/> ben, zu allererst beim jüdischen Volke selbst mit dem Liberalismus zu beginnen,<lb/> trägt den Schein leeren Geschwätzes. Die Verfechter des Judenthums fordern<lb/> von aller Welt mit zelotischem Eifer liberale Einrichtungen für die Juden; nur<lb/> von den Juden haben sie keine zu fordern. Und doch giebt es nirgends einen<lb/> starreren Conservatismus als im orthodoxen Judenthume. Im Namen der Civi¬<lb/> lisation reißen sie überall die veralteten nationalen Schranken und Vorurtheile<lb/> nieder, welche der lange Kampf mit Israel gegen dasselbe aufgerichtet hat; nur<lb/> das am meisten der Civilisation feindliche, am meisten verrottete, beschränkte,<lb/> unliberale, finsterste Reich von allen Reichen Europas, die jüdische Theo-<lb/> kratie, bleibt unangetastet. Dieser Widerspruch ist zu grell, um nicht Mi߬<lb/> trauen zu wecken gegen den Liberalismus jener Jünger der Civilisation. Was<lb/> will es sagen, wenn hie und da diese armen Juden des Ostens von ihren reichen<lb/> Volksgenossen im Westen auch zu andern Zwecken einmal Geld erhalten als<lb/> zum Bau von Tempeln? Es sind Almosen für Bettler, von denen diese weiter<lb/> in bettelhafter Finsterniß leben mögen. Gäbe es in Wahrheit eine jüdische<lb/> Wissenschaft, eine jüdische moderne Cultur, oder wäre Aussicht, daß das jüdische</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0308]
hörten. Es ist dies eine höchst auffällige und eine solche Erscheinung, die keines¬
wegs zur Ehre der Juden gereicht.
Es ist mir hier weniger zu thun um Feststellung der Pflichten jenes ab¬
gefallenen oder entfremdeten Theiles des jüdischen Volkes, als um das Anrecht,
welches dieser Zustand des ganzen Volkes auf das öffentliche Interesse hat. Da
aber das liberale reformierte Judenthum sich bemüht, dieses Interesse abzu¬
schwächen, so bin ich genöthigt, daran zu erinnern, wie wenig gerade dieses Juden-
thum für das jüdische Volk bisher geleistet hat und wie wenig ihm daher gebührt,
als Vertreter seiner östlichen Stammgenossen aufzutreten. So wenig es mir
angemessen erscheint, daß die jüdische Geldaristokratie Europas stets die Mittel
bereit hat, um neue und glänzende Synagogen in allen Welttheilen zu bauen,
während die große Masse des Volkes Israel an seiner synagogalen Geistlosig-
keit zu Grunde geht, daß das gebildete Judenthum Europas alle privaten und
staatlichen Mittel aufbietet um die Cultur zu fördern überall, nur nicht bei
seinen Stammgenossen, daß mit friedlichen oder gewaltsamen Mitteln dem jüdi¬
schen Volke die Wege geebnet werden zu materiellem Wohlergehen und bürger¬
licher Gleichstellung, aber wenig Sorge getragen wird für sein geistiges und
sittliches Wohlbefinden und für die Gleichstellung mit den Culturvölkern in Rück¬
sicht auf den Grad der innern menschlichen Ausbildung, ebenso wenig zweifle
ich daran, daß alle Anstrengungen zur Ausfüllung der Kluft zwischen dem jüdi¬
schen und den andern Völkern Europas vergebliche bleiben werden, so lange
man nicht mit der einschneidendsten Reform am Judenthume selbst wird begonnen
haben. Aller Liberalismus zu Gunsten des Judenthums ohne das ernste Stre¬
ben, zu allererst beim jüdischen Volke selbst mit dem Liberalismus zu beginnen,
trägt den Schein leeren Geschwätzes. Die Verfechter des Judenthums fordern
von aller Welt mit zelotischem Eifer liberale Einrichtungen für die Juden; nur
von den Juden haben sie keine zu fordern. Und doch giebt es nirgends einen
starreren Conservatismus als im orthodoxen Judenthume. Im Namen der Civi¬
lisation reißen sie überall die veralteten nationalen Schranken und Vorurtheile
nieder, welche der lange Kampf mit Israel gegen dasselbe aufgerichtet hat; nur
das am meisten der Civilisation feindliche, am meisten verrottete, beschränkte,
unliberale, finsterste Reich von allen Reichen Europas, die jüdische Theo-
kratie, bleibt unangetastet. Dieser Widerspruch ist zu grell, um nicht Mi߬
trauen zu wecken gegen den Liberalismus jener Jünger der Civilisation. Was
will es sagen, wenn hie und da diese armen Juden des Ostens von ihren reichen
Volksgenossen im Westen auch zu andern Zwecken einmal Geld erhalten als
zum Bau von Tempeln? Es sind Almosen für Bettler, von denen diese weiter
in bettelhafter Finsterniß leben mögen. Gäbe es in Wahrheit eine jüdische
Wissenschaft, eine jüdische moderne Cultur, oder wäre Aussicht, daß das jüdische
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