Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Entfremdung des Judenthums von den andern Völkern beizumessen ist. Liegt Manche werden einwenden: es werde ja nur die religiöse Gleichstellung Entfremdung des Judenthums von den andern Völkern beizumessen ist. Liegt Manche werden einwenden: es werde ja nur die religiöse Gleichstellung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147953"/> <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836"> Entfremdung des Judenthums von den andern Völkern beizumessen ist. Liegt<lb/> denn das Beispiel nicht etwa täglich vor unsern Augen, daß der Jude, der<lb/> moderne Bildung erhält, alsbald entjudet, also daß das heutige Judenthum un¬<lb/> versöhnlich ist mit der heutigen Bildung? Und wäre dieses nicht vollgiltiger<lb/> Beweis für die große Schuld des Judenthums an die übrige Menschheit in den<lb/> Augen derer, welche eben im Namen der modernen Bildung jenes Geschrei gegen<lb/> die Christen vollführen? Verträgt es sich wohl ganz mit gesundem Denken, im<lb/> Namen der Bildung unbeschränkte Toleranz zu fordern für eine Macht, welche<lb/> die Bildung anfeindet? Darf man im Namen des neunzehnten Jahrhunderts<lb/> die Gleichberechtigung und Mündigsprechung des fünften Jahrhunderts mit sitt¬<lb/> lichem Eifer fordern?</p><lb/> <p xml:id="ID_838" next="#ID_839"> Manche werden einwenden: es werde ja nur die religiöse Gleichstellung<lb/> gefordert. Aber dem Juden ist eben alles Religion, auch das Wissen. Die<lb/> Folge ist, daß die religiöse Gleichstellung die Gleichstellung von Wissen und<lb/> Ethik des Judenthums in sich schließt. Hierin aber liegt ein logischer Fehler,<lb/> denn es ist wider die Vernunft, ein Wissen und eine Ethik, welche wir für<lb/> unserer Cultur untergeordnet erkennen, als gleichberechtigt anzuerkennen. Selbst<lb/> der Grundsatz der Toleranz gegenüber Glaubensmeinungen kann offenbar nicht<lb/> auf eine schrankenlose Geltung Anspruch erheben. Die christlichen Bekenntnisse<lb/> sind heute andere als vor achtzehn Jahrhunderten, weil der lebendige Geist der<lb/> Völker sie änderte. Die herrschende Kirche unserer heutigen Culturwelt hat<lb/> wiederholt ihre großen Reformen erlebt, während eine Religion, aus welcher<lb/> sie vor achtzehnhundert Jahren hervorging, unverändert geblieben ist. Glaubt<lb/> etwa irgend jemand, daß, wenn ohne Christus die ehernen Tafeln Mosis über<lb/> Europa geherrscht hätten, wie die christliche Kirche herrschte, unsere heutige Cultur<lb/> möglich geworden wäre? „Das Gesetz tödtet," heißt es in der christlichen Lehre,<lb/> und unter diesem Gesetze steht der Geist von Israel seit dreitausend Jahren. So<lb/> oft heute von vielen Seiten gegen die unsrer Zeit widersprechenden Lehren<lb/> Roms gekämpft wird, weil sie unsere Cultur aufhalten, so wenig ist man auf<lb/> jüdischer Seite geneigt zu untersuchen, in wie weit denn die Lehren, welche in<lb/> allen orthodoxen Synagogen verherrlicht werden, im Einklange mit dem Geiste<lb/> unsrer Zeit stehen. Hat die Kirche von Rom etwa eine minder stolze Geschichte<lb/> aufzuweisen als die Theokratie des Talmud? Wie aber verblaßt die Intole¬<lb/> ranz und der Hochmuth und der eulturfeiudliche Eifer des Syllabus und der<lb/> Eneyklika gegenüber der talmudistischen Feuersäule, welcher Israel blindlings<lb/> nachfolgt! Rom prüft das weltliche Wissen und verdammt davon das, was<lb/> seine Glaubenslehren bedroht; Israel verdammt ohne zu prüfen, ohne Unter¬<lb/> schied alles, was außer ihm steht. Keiner, der auf Bildung Anspruch macht,<lb/> zweifelt daran, daß die Erziehungsart, welche in den scholastischen Schulen des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0306]
Entfremdung des Judenthums von den andern Völkern beizumessen ist. Liegt
denn das Beispiel nicht etwa täglich vor unsern Augen, daß der Jude, der
moderne Bildung erhält, alsbald entjudet, also daß das heutige Judenthum un¬
versöhnlich ist mit der heutigen Bildung? Und wäre dieses nicht vollgiltiger
Beweis für die große Schuld des Judenthums an die übrige Menschheit in den
Augen derer, welche eben im Namen der modernen Bildung jenes Geschrei gegen
die Christen vollführen? Verträgt es sich wohl ganz mit gesundem Denken, im
Namen der Bildung unbeschränkte Toleranz zu fordern für eine Macht, welche
die Bildung anfeindet? Darf man im Namen des neunzehnten Jahrhunderts
die Gleichberechtigung und Mündigsprechung des fünften Jahrhunderts mit sitt¬
lichem Eifer fordern?
Manche werden einwenden: es werde ja nur die religiöse Gleichstellung
gefordert. Aber dem Juden ist eben alles Religion, auch das Wissen. Die
Folge ist, daß die religiöse Gleichstellung die Gleichstellung von Wissen und
Ethik des Judenthums in sich schließt. Hierin aber liegt ein logischer Fehler,
denn es ist wider die Vernunft, ein Wissen und eine Ethik, welche wir für
unserer Cultur untergeordnet erkennen, als gleichberechtigt anzuerkennen. Selbst
der Grundsatz der Toleranz gegenüber Glaubensmeinungen kann offenbar nicht
auf eine schrankenlose Geltung Anspruch erheben. Die christlichen Bekenntnisse
sind heute andere als vor achtzehn Jahrhunderten, weil der lebendige Geist der
Völker sie änderte. Die herrschende Kirche unserer heutigen Culturwelt hat
wiederholt ihre großen Reformen erlebt, während eine Religion, aus welcher
sie vor achtzehnhundert Jahren hervorging, unverändert geblieben ist. Glaubt
etwa irgend jemand, daß, wenn ohne Christus die ehernen Tafeln Mosis über
Europa geherrscht hätten, wie die christliche Kirche herrschte, unsere heutige Cultur
möglich geworden wäre? „Das Gesetz tödtet," heißt es in der christlichen Lehre,
und unter diesem Gesetze steht der Geist von Israel seit dreitausend Jahren. So
oft heute von vielen Seiten gegen die unsrer Zeit widersprechenden Lehren
Roms gekämpft wird, weil sie unsere Cultur aufhalten, so wenig ist man auf
jüdischer Seite geneigt zu untersuchen, in wie weit denn die Lehren, welche in
allen orthodoxen Synagogen verherrlicht werden, im Einklange mit dem Geiste
unsrer Zeit stehen. Hat die Kirche von Rom etwa eine minder stolze Geschichte
aufzuweisen als die Theokratie des Talmud? Wie aber verblaßt die Intole¬
ranz und der Hochmuth und der eulturfeiudliche Eifer des Syllabus und der
Eneyklika gegenüber der talmudistischen Feuersäule, welcher Israel blindlings
nachfolgt! Rom prüft das weltliche Wissen und verdammt davon das, was
seine Glaubenslehren bedroht; Israel verdammt ohne zu prüfen, ohne Unter¬
schied alles, was außer ihm steht. Keiner, der auf Bildung Anspruch macht,
zweifelt daran, daß die Erziehungsart, welche in den scholastischen Schulen des
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