Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Jude bemerkt von seiner Kindheit an überall den schroffen Gegensatz zwischen Ich weiß nicht, ob man volles Recht hätte, den Unterschied im Charakter Innerhalb des jüdischen Volkes erhebt sich kaum eine Stimme, welche zu Jude bemerkt von seiner Kindheit an überall den schroffen Gegensatz zwischen Ich weiß nicht, ob man volles Recht hätte, den Unterschied im Charakter Innerhalb des jüdischen Volkes erhebt sich kaum eine Stimme, welche zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147951"/> <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831"> Jude bemerkt von seiner Kindheit an überall den schroffen Gegensatz zwischen<lb/> seinen Angehörigen und Stammgenossen gegen alle andern Leute. Er bemerkt<lb/> freilich zugleich, daß in diesem Gegensatze seine Stammgenossen äußerlich eine<lb/> im Ganzen leidende Rolle spielen; aber er hört von seinen Lehrern, daß dieses<lb/> der Wille Gottes sei, der sein Volk durch Prüfungen nur vorbereite auf den<lb/> Tag, wo er es aus dieser elenden Lage zur Herrschaft über jene Ungläubigen<lb/> führen werde, denen er es jetzt unterworfen habe. Er lernt vermöge seiner<lb/> speculativen Anlagen scharf zu unterscheiden zwischen der äußern Stellung seines<lb/> Volkes und dessen innern unvergänglichen Ansprüchen. Er lernt äußerste Unter¬<lb/> würfigkeit gegen den Christen heucheln und doch sein nationales Selbstbewußt¬<lb/> sein bewahren. Er lernt an den Satzungen äußerlich zu kleben, welche dieses<lb/> Selbstbewußtsein in ihm unterstützen. Die äußere Selbsterniedrigung wird ihm<lb/> zum göttlichen Gebote, das ihn von den Gojim trennt, das ihn hinwegsetzt über<lb/> die Forderung sittlichen Handelns und Denkens gegenüber dem Ungläubigen.<lb/> Er wird gelehrt, daß die Schüssel durch die Benutzung des Ungläubigen unrein<lb/> werde, daß Gott das Vergehen, gegen den Christen verübt, anders betrachte<lb/> als das Vergehen gegen ein Kind seines Volkes. Sein scharfer logischer Geist<lb/> findet nicht bloß stets die Möglichkeit, die Gebote der Moral aufzulösen, son¬<lb/> dern auch die Verletzung der Gesetze aus dem Umstände zu rechtfertigen, daß<lb/> diese Gesetze von Ungläubigen errichtet seien. Man mag sich gern und lange<lb/> mit manchem verlumpten Juden über die erhabensten Dinge unterhalten; man<lb/> staunt über das tiefe Denken eines schmierigen Trödlers, indem man mit ihm<lb/> über transcendentale Fragen redet und sein vollkommenes Verständniß bemerkt,<lb/> seine Logik, seine erhabene und sittlich große Weltanschauung erkennt; und im<lb/> nächsten Augenblicke wird man von diesem Philosophen um Groschen betrogen,<lb/> belogen, verrathen. Dieser Gegensatz ist für uns eben so schroff wie für den<lb/> Juden der Gegensatz zum Nichtjuden. So setzt er dem Haß und der Verachtung<lb/> der Christen wieder Haß und Verachtung entgegen, welche genährt werden von<lb/> dem Hochmuth und der hohlen Aeußerlichkeit der Satzungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_833"> Ich weiß nicht, ob man volles Recht hätte, den Unterschied im Charakter<lb/> der Karaiten von dem der Rabbiniten auf den Umstand allein zurückzuführen,<lb/> daß die Karaiten den Talmud verwerfen. Es ist indessen auffallend, daß nach<lb/> allgemein verbreitetem Zeugniß der karaische Zweig der Juden sich hervorthut<lb/> durch eine seit vielen Jahrhunderten sich gleichbleibende Redlichkeit und Sitt¬<lb/> lichkeit des Charakters.</p><lb/> <p xml:id="ID_834" next="#ID_835"> Innerhalb des jüdischen Volkes erhebt sich kaum eine Stimme, welche zu<lb/> mildern Lehren zurückzukehren aufforderte. Es hat einige jüdische Gelehrte ge¬<lb/> geben, welche die Lage talmudischen Wissens erkennend forderten, daß das Juden-<lb/> thum sich auch der Bildung der andern Völker öffnen möge. Aber diese sein-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0304]
Jude bemerkt von seiner Kindheit an überall den schroffen Gegensatz zwischen
seinen Angehörigen und Stammgenossen gegen alle andern Leute. Er bemerkt
freilich zugleich, daß in diesem Gegensatze seine Stammgenossen äußerlich eine
im Ganzen leidende Rolle spielen; aber er hört von seinen Lehrern, daß dieses
der Wille Gottes sei, der sein Volk durch Prüfungen nur vorbereite auf den
Tag, wo er es aus dieser elenden Lage zur Herrschaft über jene Ungläubigen
führen werde, denen er es jetzt unterworfen habe. Er lernt vermöge seiner
speculativen Anlagen scharf zu unterscheiden zwischen der äußern Stellung seines
Volkes und dessen innern unvergänglichen Ansprüchen. Er lernt äußerste Unter¬
würfigkeit gegen den Christen heucheln und doch sein nationales Selbstbewußt¬
sein bewahren. Er lernt an den Satzungen äußerlich zu kleben, welche dieses
Selbstbewußtsein in ihm unterstützen. Die äußere Selbsterniedrigung wird ihm
zum göttlichen Gebote, das ihn von den Gojim trennt, das ihn hinwegsetzt über
die Forderung sittlichen Handelns und Denkens gegenüber dem Ungläubigen.
Er wird gelehrt, daß die Schüssel durch die Benutzung des Ungläubigen unrein
werde, daß Gott das Vergehen, gegen den Christen verübt, anders betrachte
als das Vergehen gegen ein Kind seines Volkes. Sein scharfer logischer Geist
findet nicht bloß stets die Möglichkeit, die Gebote der Moral aufzulösen, son¬
dern auch die Verletzung der Gesetze aus dem Umstände zu rechtfertigen, daß
diese Gesetze von Ungläubigen errichtet seien. Man mag sich gern und lange
mit manchem verlumpten Juden über die erhabensten Dinge unterhalten; man
staunt über das tiefe Denken eines schmierigen Trödlers, indem man mit ihm
über transcendentale Fragen redet und sein vollkommenes Verständniß bemerkt,
seine Logik, seine erhabene und sittlich große Weltanschauung erkennt; und im
nächsten Augenblicke wird man von diesem Philosophen um Groschen betrogen,
belogen, verrathen. Dieser Gegensatz ist für uns eben so schroff wie für den
Juden der Gegensatz zum Nichtjuden. So setzt er dem Haß und der Verachtung
der Christen wieder Haß und Verachtung entgegen, welche genährt werden von
dem Hochmuth und der hohlen Aeußerlichkeit der Satzungen.
Ich weiß nicht, ob man volles Recht hätte, den Unterschied im Charakter
der Karaiten von dem der Rabbiniten auf den Umstand allein zurückzuführen,
daß die Karaiten den Talmud verwerfen. Es ist indessen auffallend, daß nach
allgemein verbreitetem Zeugniß der karaische Zweig der Juden sich hervorthut
durch eine seit vielen Jahrhunderten sich gleichbleibende Redlichkeit und Sitt¬
lichkeit des Charakters.
Innerhalb des jüdischen Volkes erhebt sich kaum eine Stimme, welche zu
mildern Lehren zurückzukehren aufforderte. Es hat einige jüdische Gelehrte ge¬
geben, welche die Lage talmudischen Wissens erkennend forderten, daß das Juden-
thum sich auch der Bildung der andern Völker öffnen möge. Aber diese sein-
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