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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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mag der Bodengesetze sind oft dagewesen; denn von den achtzig Jahren, die
seit der Vereinigung Irlands mit England verflossen sind, hat ersteres wenig¬
stens vierzig in Ausnahmezuständen verlebt. Nach mancherlei Verzögerungen
steht es mit dem irischen Problem noch heute so, wie es vor zwei, drei Genera¬
tionen stand: das Verbrechen gedeiht in der Atmosphäre des Mißvergnügens,
welches ein ungerechtes agrarisches System hervorgerufen hat. Die Gewalt
kann deu Giftbaum abhauen, aber die Gerechtigkeit allein kann seine Wurzeln
entfernen. Mit andern Worten: die Unterdrückung des gesetzwidrigen Treibens
der Landliga allein würde die Frage, um die es sich handelt, nur für einige
Jahre lösen, und andrerseits würde die bloße Reform wie Anerkennung, Er¬
mutigung und Belohnung der Wühlerei aussehen, die jetzt das Land verwirrt.
Die Regierung muß zuvörderst zeigen, daß sie stark und kühn genug ist, um die
Agitatoren ins Gefängniß zu stecken, dann aber eine Gesetzgebung veranlassen,
welche den irischen Bauer überzeugt, daß die britischen Staatsmänner bessere
Freunde sind, als die amerikanisch-irischen Führer der Liga, welche mit den
bittern Erinnerungen der Vergangenheit Geschäfte zu machen suchen. Sie muß
sich die besten Züge ihrer Politik aus den rivalisierenden Programmen der
beiden großen Parteien nehmen: von den alten Tories unerschütterliche Energie
in der Verfolgung von Verbrechen, von den Liberalen die Bereitwilligkeit, in
großmüthigem und versöhnlichem Geiste dem Wunsche des Volkes nachzukommen,
in seinen Pachtverhältnissen gesichert zu sein.

Was aber fordert die Gerechtigkeit, und mit welchen Mitteln ist zu helfen?

Bright machte 1868 den wunderlichen Vorschlag, alle irischen Grundherr¬
schaften, die sich im Besitze von Nichtirländern befänden, durch Kauf in die
Hände der Krone zu bringen, die dann die Ackerloose nach irischen Herkommen
verpachten solle. Ein solcher Gedanke ist geradezu abenteuerlich; denn da es
sich bei einem solchen Ankaufe um etwa 13 Millionen Pfund Sterling jähr¬
licher Einkünfte handelt, so würde durch Uebernahme einer so ungeheuren Last
die britische Nationalschuld fast um die Hälfte vergrößert werden, ohne daß der
Pachtschilling der Iren sich wesentlich vermindern könnte. Auch gehörte selbst
dann nicht, wie die Landliga verlangt, Irland dem irischen Volke, sondern dem
britischen Staatsschatze. Endlich aber, wie wollte man sich in diesem Falle
gegen Einzelne und Gemeinden, die mit ihrem Pacht im Rückstände blieben, zu
seinem Rechte verhelfen? Von einer Ausführung der Brightschen Phantasie ist
daher, als dieser mit Gladstone ans Ruder kam, nicht die Rede gewesen. Er
war eben als verantwortlicher Minister ein andrer John Bright als der Privat¬
mann gleiches Namens, der vorher den Führer der radicalen Opposition ge¬
macht hatte.

Lord Sherbrooke verlangt "Freiheit beim Abschluß von Pachtcvntracten".


mag der Bodengesetze sind oft dagewesen; denn von den achtzig Jahren, die
seit der Vereinigung Irlands mit England verflossen sind, hat ersteres wenig¬
stens vierzig in Ausnahmezuständen verlebt. Nach mancherlei Verzögerungen
steht es mit dem irischen Problem noch heute so, wie es vor zwei, drei Genera¬
tionen stand: das Verbrechen gedeiht in der Atmosphäre des Mißvergnügens,
welches ein ungerechtes agrarisches System hervorgerufen hat. Die Gewalt
kann deu Giftbaum abhauen, aber die Gerechtigkeit allein kann seine Wurzeln
entfernen. Mit andern Worten: die Unterdrückung des gesetzwidrigen Treibens
der Landliga allein würde die Frage, um die es sich handelt, nur für einige
Jahre lösen, und andrerseits würde die bloße Reform wie Anerkennung, Er¬
mutigung und Belohnung der Wühlerei aussehen, die jetzt das Land verwirrt.
Die Regierung muß zuvörderst zeigen, daß sie stark und kühn genug ist, um die
Agitatoren ins Gefängniß zu stecken, dann aber eine Gesetzgebung veranlassen,
welche den irischen Bauer überzeugt, daß die britischen Staatsmänner bessere
Freunde sind, als die amerikanisch-irischen Führer der Liga, welche mit den
bittern Erinnerungen der Vergangenheit Geschäfte zu machen suchen. Sie muß
sich die besten Züge ihrer Politik aus den rivalisierenden Programmen der
beiden großen Parteien nehmen: von den alten Tories unerschütterliche Energie
in der Verfolgung von Verbrechen, von den Liberalen die Bereitwilligkeit, in
großmüthigem und versöhnlichem Geiste dem Wunsche des Volkes nachzukommen,
in seinen Pachtverhältnissen gesichert zu sein.

Was aber fordert die Gerechtigkeit, und mit welchen Mitteln ist zu helfen?

Bright machte 1868 den wunderlichen Vorschlag, alle irischen Grundherr¬
schaften, die sich im Besitze von Nichtirländern befänden, durch Kauf in die
Hände der Krone zu bringen, die dann die Ackerloose nach irischen Herkommen
verpachten solle. Ein solcher Gedanke ist geradezu abenteuerlich; denn da es
sich bei einem solchen Ankaufe um etwa 13 Millionen Pfund Sterling jähr¬
licher Einkünfte handelt, so würde durch Uebernahme einer so ungeheuren Last
die britische Nationalschuld fast um die Hälfte vergrößert werden, ohne daß der
Pachtschilling der Iren sich wesentlich vermindern könnte. Auch gehörte selbst
dann nicht, wie die Landliga verlangt, Irland dem irischen Volke, sondern dem
britischen Staatsschatze. Endlich aber, wie wollte man sich in diesem Falle
gegen Einzelne und Gemeinden, die mit ihrem Pacht im Rückstände blieben, zu
seinem Rechte verhelfen? Von einer Ausführung der Brightschen Phantasie ist
daher, als dieser mit Gladstone ans Ruder kam, nicht die Rede gewesen. Er
war eben als verantwortlicher Minister ein andrer John Bright als der Privat¬
mann gleiches Namens, der vorher den Führer der radicalen Opposition ge¬
macht hatte.

Lord Sherbrooke verlangt „Freiheit beim Abschluß von Pachtcvntracten".


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/297>, abgerufen am 29.12.2024.