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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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in ihrer Gesammtheit mit so schweren Anklagen belasten. Ganz anders urtheilt
Dr. A. Baginsky, ein gewiß unparteiischer Beurtheiler, in seinem Handbuche
der Schul-Hygiene (Berlin, 1877), S. 352 fg. "Auch auf diesem Gebiete,"
sagt er, "kann man die Schulgesetzgebung des preußischen Staates eine muster¬
hafte nennen, und es ist gerade das auf die häuslichen Arbeiten der Schüler
sich beziehende Rescript des preußischen Cultusministeriums vom 14. Oetober
1875 ein erfreulicher Beweis warmer menschenfreundlicher Fürsorge für das
Wohl der Jugend." Und ferner: "Es ist diesen ans der Initiative des Mini¬
sters hervorgegangenen Bestimmungen kaum uoch etwas hinzuzufügen, wenigstens
nicht von Seiten der auf das Wohl der Schüler bedachten Gesundheitspflege."

Im Herzogthum Braunschweig, das ja Herrn vQ Hasse zunächst den
Anlaß zu seinen Anklagen gegeben hat, bestehen allerdings besondere Verord¬
nungen über das Maß der häuslichen Arbeiten der Gymnasiasten bisher nicht.
Sie sind auch, wie uns scheint, in einem so kleinen Lande, wo die Behörden
mit den ausführenden Beamten in so häufige persönliche Beziehungen treten,
vollständig entbehrlich. Man kann aber gewiß behaupten, daß die Praxis in
den braunschweigischen Gymnasien der der preußischen Schwesteranstalten an
humaner Rücksichtnahme auf das Gedeihen der Jugend uicht nachsteht, und daß
begründete Klagen in Betreff der Ueberbürdung der Jugend ans alle Fälle von
den betreffenden Directoren Berücksichtigung und Abhilfe finden würden. In
den übrigen Staaten des deutschen Reiches wird es nicht anders sein. Es ist
aber eine Eigenthümlichkeit des deutschen Staatsbürgers, daß er seinen Be¬
schwerden gar zu gern in der Öffentlichkeit der geselligen Locale oder der Presse
Luft macht und darüber den viel kürzeren und oft allein richtigen Weg einer
persönlichen Verständigung versäumt.

Faßt man das Maß der Stunden, in welchen das Gymnasium seine
Schüler für sich in Anspruch nimmt, näher ins Auge, so beträgt die Zahl der
eigentlichen Schulstunden in der Woche nach dem preußischen normal-Lehrplane
nicht 36, wie Dr. Hasse in der Versammlung zu Eisenach irrthümlich behauptet
hat, sondern in Sexta 28, in den übrigen Classen 30. Dazu kommen für die
zukünftigen Theologen zwei facultative hebräische Stunden, außerdem für alle
Schüler noch die Stunden für Gesang und Turnen, die doch nicht als "Bürde", son¬
dern nur als heilsames Gegengewicht gegen die geistige Arbeit angesehen werden
können (Wiese, Gesetze und Verordnungen, 2. Aufl. S. 38). In Betreff der
häuslichen Arbeitszeit gilt als Grundsatz, daß dieselbe für Schüler von mitt¬
lerer Begabung "in den oberen Classen 4, in den mittleren 3, in den unteren
2 Stunden täglich nicht übersteigen darf, einschließlich der von den Schülern zu
übenden Privatlectttre (Centralblatt 1876, S. 105 fg.). Es bildet also diese


in ihrer Gesammtheit mit so schweren Anklagen belasten. Ganz anders urtheilt
Dr. A. Baginsky, ein gewiß unparteiischer Beurtheiler, in seinem Handbuche
der Schul-Hygiene (Berlin, 1877), S. 352 fg. „Auch auf diesem Gebiete,"
sagt er, „kann man die Schulgesetzgebung des preußischen Staates eine muster¬
hafte nennen, und es ist gerade das auf die häuslichen Arbeiten der Schüler
sich beziehende Rescript des preußischen Cultusministeriums vom 14. Oetober
1875 ein erfreulicher Beweis warmer menschenfreundlicher Fürsorge für das
Wohl der Jugend." Und ferner: „Es ist diesen ans der Initiative des Mini¬
sters hervorgegangenen Bestimmungen kaum uoch etwas hinzuzufügen, wenigstens
nicht von Seiten der auf das Wohl der Schüler bedachten Gesundheitspflege."

Im Herzogthum Braunschweig, das ja Herrn vQ Hasse zunächst den
Anlaß zu seinen Anklagen gegeben hat, bestehen allerdings besondere Verord¬
nungen über das Maß der häuslichen Arbeiten der Gymnasiasten bisher nicht.
Sie sind auch, wie uns scheint, in einem so kleinen Lande, wo die Behörden
mit den ausführenden Beamten in so häufige persönliche Beziehungen treten,
vollständig entbehrlich. Man kann aber gewiß behaupten, daß die Praxis in
den braunschweigischen Gymnasien der der preußischen Schwesteranstalten an
humaner Rücksichtnahme auf das Gedeihen der Jugend uicht nachsteht, und daß
begründete Klagen in Betreff der Ueberbürdung der Jugend ans alle Fälle von
den betreffenden Directoren Berücksichtigung und Abhilfe finden würden. In
den übrigen Staaten des deutschen Reiches wird es nicht anders sein. Es ist
aber eine Eigenthümlichkeit des deutschen Staatsbürgers, daß er seinen Be¬
schwerden gar zu gern in der Öffentlichkeit der geselligen Locale oder der Presse
Luft macht und darüber den viel kürzeren und oft allein richtigen Weg einer
persönlichen Verständigung versäumt.

Faßt man das Maß der Stunden, in welchen das Gymnasium seine
Schüler für sich in Anspruch nimmt, näher ins Auge, so beträgt die Zahl der
eigentlichen Schulstunden in der Woche nach dem preußischen normal-Lehrplane
nicht 36, wie Dr. Hasse in der Versammlung zu Eisenach irrthümlich behauptet
hat, sondern in Sexta 28, in den übrigen Classen 30. Dazu kommen für die
zukünftigen Theologen zwei facultative hebräische Stunden, außerdem für alle
Schüler noch die Stunden für Gesang und Turnen, die doch nicht als „Bürde", son¬
dern nur als heilsames Gegengewicht gegen die geistige Arbeit angesehen werden
können (Wiese, Gesetze und Verordnungen, 2. Aufl. S. 38). In Betreff der
häuslichen Arbeitszeit gilt als Grundsatz, daß dieselbe für Schüler von mitt¬
lerer Begabung „in den oberen Classen 4, in den mittleren 3, in den unteren
2 Stunden täglich nicht übersteigen darf, einschließlich der von den Schülern zu
übenden Privatlectttre (Centralblatt 1876, S. 105 fg.). Es bildet also diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/26>, abgerufen am 28.12.2024.