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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Friedensrichter vermögen wir unsre Pflicht nicht mehr zu erfüllen, da jeder der
Landliga mißfallende Urtheilsspruch, der von uns gefällt würde, einem Todes¬
urtheile gegen uns gleichkäme. Rechtschaffene Pächter, die zahlen könnten und
wollten, getrauen sichs uicht, indem sie fürchten, als räudige Schafe gemißhan¬
delt zu werden. Thun sie es dennoch, so schleichen sie sich des Nachts mit dem
fälligen Gelde zum Gutsherrn oder Verwalter, verbitten sich aber jede Quittung
damit kein solcher sie compromittierender Schein bei ihnen gefunden wird, wenn
sie beim Heimgehen von den Diener" der Fehme überfallen und durchsucht
werden." Wie man hieraus ersieht, sind die Pächter, die bisher dem Treiben
der Liga fern gestanden, ebenso eingeschüchtert wie die Gutsherren. Werden sie
in ihren Wohnungen überfallen und gemißhandelt, so wagen sie nicht, sich zur
Wehre zu setzen; denn es ist ihnen nur zu gut bekannt, daß, wenn einer der
Eindringlinge durch sie getödtet würde, die mit der Liga einverstcmdnen oder
ängstlich gemachten Geschwornen auf Mord erkennen würden, wogegen der
Mörder für nicht schuldig erklärt werden würde, wenn er im Dienste der Liga
gestanden hätte. Schlimmer noch ergeht es den Gerichtsvollziehern, die mit der
Zustellung von Pachtkündigungen beauftragt siud; sie können sich ihrer Amts¬
pflicht nur unter starker Polizeibedecknng entledigen, und die, welche das Gesetz
zu vollstrecken haben, schleichen umher, als ob sie selbst Verbrecher und Ge¬
ächtete wären.

Zu alledem verhält sich die Polizei gleichgiltig, und die Regierung wagte
bisher nicht ernstlich einzuschreiten. Wollte sie dies, so würde" irische "Patrio¬
ten" und englische "philosophische" Radicale über Beeinträchtigung der Freiheit
und himmelschreiende Tyrannei jammern. Aber, wie Canning einmal zu den
Wählern von Liverpool sagte: "Tyrannei ist unverantwortliche Gewalt, gleich¬
viel ob bei einem Despoten oder bei einem Pöbelhaufen. Es ist deshalb leeres
und abgeschmacktes Gerede, vou Freiheit zu sprechen, wo eine Pöbelrotte regiert,
und wo unser Eigenthum, vielleicht unser Leben allerdings nicht vom Winke eines
Despoten, wohl aber vom Willen einer erhitzten Volksmasse abhängt. Wenn
es während der letzten Schreckensherrschaft in diesem Lande Leute gab, die ein
Recht hatten, über Tyrannei zu klagen, so waren es die, welche die Verfassung
und die Monarchie liebten, aber ihre Meinung und ihre Wünsche nicht eher zu
äußern wagten, als bis sie ihre Häuser verrammelt und ihre Kinder an einen
sichern Ort gebracht hatten. Das war Tyrannei, und so weit als die Pöbel-
rvtten unter den Befehlen eines Führers handelten, war das Despotismus."
Diese Worte lassen sich gegenwärtig auf Irland anwenden; denn, wie wir
sahen, herrscht jetzt das Gesetz und Recht des Pöbels, wo früher die englische
'Verfassung oberste Richtschnur war.

Uebrigens verfolgen die Führer der Bewegung, die auf agrarische Reformen


Friedensrichter vermögen wir unsre Pflicht nicht mehr zu erfüllen, da jeder der
Landliga mißfallende Urtheilsspruch, der von uns gefällt würde, einem Todes¬
urtheile gegen uns gleichkäme. Rechtschaffene Pächter, die zahlen könnten und
wollten, getrauen sichs uicht, indem sie fürchten, als räudige Schafe gemißhan¬
delt zu werden. Thun sie es dennoch, so schleichen sie sich des Nachts mit dem
fälligen Gelde zum Gutsherrn oder Verwalter, verbitten sich aber jede Quittung
damit kein solcher sie compromittierender Schein bei ihnen gefunden wird, wenn
sie beim Heimgehen von den Diener» der Fehme überfallen und durchsucht
werden." Wie man hieraus ersieht, sind die Pächter, die bisher dem Treiben
der Liga fern gestanden, ebenso eingeschüchtert wie die Gutsherren. Werden sie
in ihren Wohnungen überfallen und gemißhandelt, so wagen sie nicht, sich zur
Wehre zu setzen; denn es ist ihnen nur zu gut bekannt, daß, wenn einer der
Eindringlinge durch sie getödtet würde, die mit der Liga einverstcmdnen oder
ängstlich gemachten Geschwornen auf Mord erkennen würden, wogegen der
Mörder für nicht schuldig erklärt werden würde, wenn er im Dienste der Liga
gestanden hätte. Schlimmer noch ergeht es den Gerichtsvollziehern, die mit der
Zustellung von Pachtkündigungen beauftragt siud; sie können sich ihrer Amts¬
pflicht nur unter starker Polizeibedecknng entledigen, und die, welche das Gesetz
zu vollstrecken haben, schleichen umher, als ob sie selbst Verbrecher und Ge¬
ächtete wären.

Zu alledem verhält sich die Polizei gleichgiltig, und die Regierung wagte
bisher nicht ernstlich einzuschreiten. Wollte sie dies, so würde» irische „Patrio¬
ten" und englische „philosophische" Radicale über Beeinträchtigung der Freiheit
und himmelschreiende Tyrannei jammern. Aber, wie Canning einmal zu den
Wählern von Liverpool sagte: „Tyrannei ist unverantwortliche Gewalt, gleich¬
viel ob bei einem Despoten oder bei einem Pöbelhaufen. Es ist deshalb leeres
und abgeschmacktes Gerede, vou Freiheit zu sprechen, wo eine Pöbelrotte regiert,
und wo unser Eigenthum, vielleicht unser Leben allerdings nicht vom Winke eines
Despoten, wohl aber vom Willen einer erhitzten Volksmasse abhängt. Wenn
es während der letzten Schreckensherrschaft in diesem Lande Leute gab, die ein
Recht hatten, über Tyrannei zu klagen, so waren es die, welche die Verfassung
und die Monarchie liebten, aber ihre Meinung und ihre Wünsche nicht eher zu
äußern wagten, als bis sie ihre Häuser verrammelt und ihre Kinder an einen
sichern Ort gebracht hatten. Das war Tyrannei, und so weit als die Pöbel-
rvtten unter den Befehlen eines Führers handelten, war das Despotismus."
Diese Worte lassen sich gegenwärtig auf Irland anwenden; denn, wie wir
sahen, herrscht jetzt das Gesetz und Recht des Pöbels, wo früher die englische
'Verfassung oberste Richtschnur war.

Uebrigens verfolgen die Führer der Bewegung, die auf agrarische Reformen


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[0257] Friedensrichter vermögen wir unsre Pflicht nicht mehr zu erfüllen, da jeder der Landliga mißfallende Urtheilsspruch, der von uns gefällt würde, einem Todes¬ urtheile gegen uns gleichkäme. Rechtschaffene Pächter, die zahlen könnten und wollten, getrauen sichs uicht, indem sie fürchten, als räudige Schafe gemißhan¬ delt zu werden. Thun sie es dennoch, so schleichen sie sich des Nachts mit dem fälligen Gelde zum Gutsherrn oder Verwalter, verbitten sich aber jede Quittung damit kein solcher sie compromittierender Schein bei ihnen gefunden wird, wenn sie beim Heimgehen von den Diener» der Fehme überfallen und durchsucht werden." Wie man hieraus ersieht, sind die Pächter, die bisher dem Treiben der Liga fern gestanden, ebenso eingeschüchtert wie die Gutsherren. Werden sie in ihren Wohnungen überfallen und gemißhandelt, so wagen sie nicht, sich zur Wehre zu setzen; denn es ist ihnen nur zu gut bekannt, daß, wenn einer der Eindringlinge durch sie getödtet würde, die mit der Liga einverstcmdnen oder ängstlich gemachten Geschwornen auf Mord erkennen würden, wogegen der Mörder für nicht schuldig erklärt werden würde, wenn er im Dienste der Liga gestanden hätte. Schlimmer noch ergeht es den Gerichtsvollziehern, die mit der Zustellung von Pachtkündigungen beauftragt siud; sie können sich ihrer Amts¬ pflicht nur unter starker Polizeibedecknng entledigen, und die, welche das Gesetz zu vollstrecken haben, schleichen umher, als ob sie selbst Verbrecher und Ge¬ ächtete wären. Zu alledem verhält sich die Polizei gleichgiltig, und die Regierung wagte bisher nicht ernstlich einzuschreiten. Wollte sie dies, so würde» irische „Patrio¬ ten" und englische „philosophische" Radicale über Beeinträchtigung der Freiheit und himmelschreiende Tyrannei jammern. Aber, wie Canning einmal zu den Wählern von Liverpool sagte: „Tyrannei ist unverantwortliche Gewalt, gleich¬ viel ob bei einem Despoten oder bei einem Pöbelhaufen. Es ist deshalb leeres und abgeschmacktes Gerede, vou Freiheit zu sprechen, wo eine Pöbelrotte regiert, und wo unser Eigenthum, vielleicht unser Leben allerdings nicht vom Winke eines Despoten, wohl aber vom Willen einer erhitzten Volksmasse abhängt. Wenn es während der letzten Schreckensherrschaft in diesem Lande Leute gab, die ein Recht hatten, über Tyrannei zu klagen, so waren es die, welche die Verfassung und die Monarchie liebten, aber ihre Meinung und ihre Wünsche nicht eher zu äußern wagten, als bis sie ihre Häuser verrammelt und ihre Kinder an einen sichern Ort gebracht hatten. Das war Tyrannei, und so weit als die Pöbel- rvtten unter den Befehlen eines Führers handelten, war das Despotismus." Diese Worte lassen sich gegenwärtig auf Irland anwenden; denn, wie wir sahen, herrscht jetzt das Gesetz und Recht des Pöbels, wo früher die englische 'Verfassung oberste Richtschnur war. Uebrigens verfolgen die Führer der Bewegung, die auf agrarische Reformen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/257>, abgerufen am 01.01.2025.