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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Leben möchte ich einige Tage in den Straßen und an den Grachten der origi¬
nellen Stadt lustwandeln dürfen, in welcher alles so gut zu einander paßt und
so aus einem Gusse gestaltet erscheint, wie in keiner zweiten ebenso großen Stadt
der Welt. Denn trotz seines neuen Vondelparks, trotz seines modernen Glas¬
palastes, trotz seines im Bau begriffenen neuen Reichsmuseums und trotz seines
internationalen, trefflichen Amstelhotels bleibt Amsterdam nach wie vor die ech¬
teste und holländischste aller holländischen Städte. Hier ist noch immer nichts
nach Pariser Mode uniformiert, hier ist noch alles dem nationalen Boden ent¬
sprungen und den heimischen Bedürfnissen entsprechend eingerichtet. Und Amster¬
dam ist im ganzen immer noch eine Stadt des 17. Jahrhunderts. Seine Straßen
und Plätze sehen im ganzen noch genau so aus, wie die großen Straßenmaler
jener Tage, die Berck-Heyde und Jan van Heyden sie gemalt haben. Und diese
wußten wohl, weshalb sie nicht müde wurden, die Amsterdamer Straßen und
Plätze zu malen. Denn keine andere nordische Stadt bietet dem Auge eine solche
Fülle malerischer Ansichten wie Amsterdam. Ein Engländer sagte mir heute:
"Es ist so viel drin in den Straßen." Das ist es. Darin liegt wenigstens
ein Theil des malerischen Reizes der Stadt. Wenn die Straßen andrer Städte
von Menschen verlassen sind, sind sie überhaupt kahl und leer. Die Straßen
von Amsterdam sind aber noch voll, wenn auch kein Mensch sich in ihnen blicken
läßt. Da ist der Canal in der Mitte der Straße; da sind die Fahrzeuge und
Schiffe jeder Art im Canale; da sind die Zugbrücken und Drehbrücken, welche
die beiden Straßenseiten verbinden; da sind die Ulmenreihen, welche sich an
ihnen entlang ziehen; da sind die großen Freitreppen vor den Häusern und
die Schnörkel an den Backsteinfassaden; da sind die Giebel, von denen jeder
anders gestaltet ist, als der andere. Ist das alles nun noch von dem bunten
Menschengewühls der Großstadt, in dem hier viele malerische alte National¬
trachten vom Lande auftauchen, belebt, so ist natürlich noch mehr drin in den
Straßen, und es wird noch deutlicher, daß der malerische Reiz des Amsterdamer
Stadtbildes zum Theil in der Fülle von Einzelheiten liegt, die es bietet. Die
künstlerische "Einheit in der Vielheit" stellen dann vor allen Dingen die gleich¬
mäßigen ruhigen Farben her: der dunkel braunrothe Mauerstein der Häuser,
der bald dunkel schieferblaue, bald gedämpft zinnoberrothe Ziegel der Dächer,
das frische, aber ernste Laubgrün der Bäume. Auffallend bleibt der einheitliche
Ton, in dem alles erscheint, aber immer noch. Im wesentlichen ist er wohl
der schweren Feuchtigkeit der Luft zuzuschreiben, welche einerseits, wie sie die
Weißen Zierraten und Schnörkel der Häuser grau gefärbt hat, so alles Men¬
schenwerk mit einer Art Palma überzieht, andrerseits aber auch als trübes
Medium die Localfarben der Gegenstände bricht und harmonisiert.

Den 9. September 1878. Ist Antwerpen die Stadt des Rubens, so ist


Leben möchte ich einige Tage in den Straßen und an den Grachten der origi¬
nellen Stadt lustwandeln dürfen, in welcher alles so gut zu einander paßt und
so aus einem Gusse gestaltet erscheint, wie in keiner zweiten ebenso großen Stadt
der Welt. Denn trotz seines neuen Vondelparks, trotz seines modernen Glas¬
palastes, trotz seines im Bau begriffenen neuen Reichsmuseums und trotz seines
internationalen, trefflichen Amstelhotels bleibt Amsterdam nach wie vor die ech¬
teste und holländischste aller holländischen Städte. Hier ist noch immer nichts
nach Pariser Mode uniformiert, hier ist noch alles dem nationalen Boden ent¬
sprungen und den heimischen Bedürfnissen entsprechend eingerichtet. Und Amster¬
dam ist im ganzen immer noch eine Stadt des 17. Jahrhunderts. Seine Straßen
und Plätze sehen im ganzen noch genau so aus, wie die großen Straßenmaler
jener Tage, die Berck-Heyde und Jan van Heyden sie gemalt haben. Und diese
wußten wohl, weshalb sie nicht müde wurden, die Amsterdamer Straßen und
Plätze zu malen. Denn keine andere nordische Stadt bietet dem Auge eine solche
Fülle malerischer Ansichten wie Amsterdam. Ein Engländer sagte mir heute:
„Es ist so viel drin in den Straßen." Das ist es. Darin liegt wenigstens
ein Theil des malerischen Reizes der Stadt. Wenn die Straßen andrer Städte
von Menschen verlassen sind, sind sie überhaupt kahl und leer. Die Straßen
von Amsterdam sind aber noch voll, wenn auch kein Mensch sich in ihnen blicken
läßt. Da ist der Canal in der Mitte der Straße; da sind die Fahrzeuge und
Schiffe jeder Art im Canale; da sind die Zugbrücken und Drehbrücken, welche
die beiden Straßenseiten verbinden; da sind die Ulmenreihen, welche sich an
ihnen entlang ziehen; da sind die großen Freitreppen vor den Häusern und
die Schnörkel an den Backsteinfassaden; da sind die Giebel, von denen jeder
anders gestaltet ist, als der andere. Ist das alles nun noch von dem bunten
Menschengewühls der Großstadt, in dem hier viele malerische alte National¬
trachten vom Lande auftauchen, belebt, so ist natürlich noch mehr drin in den
Straßen, und es wird noch deutlicher, daß der malerische Reiz des Amsterdamer
Stadtbildes zum Theil in der Fülle von Einzelheiten liegt, die es bietet. Die
künstlerische „Einheit in der Vielheit" stellen dann vor allen Dingen die gleich¬
mäßigen ruhigen Farben her: der dunkel braunrothe Mauerstein der Häuser,
der bald dunkel schieferblaue, bald gedämpft zinnoberrothe Ziegel der Dächer,
das frische, aber ernste Laubgrün der Bäume. Auffallend bleibt der einheitliche
Ton, in dem alles erscheint, aber immer noch. Im wesentlichen ist er wohl
der schweren Feuchtigkeit der Luft zuzuschreiben, welche einerseits, wie sie die
Weißen Zierraten und Schnörkel der Häuser grau gefärbt hat, so alles Men¬
schenwerk mit einer Art Palma überzieht, andrerseits aber auch als trübes
Medium die Localfarben der Gegenstände bricht und harmonisiert.

Den 9. September 1878. Ist Antwerpen die Stadt des Rubens, so ist


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[0239] Leben möchte ich einige Tage in den Straßen und an den Grachten der origi¬ nellen Stadt lustwandeln dürfen, in welcher alles so gut zu einander paßt und so aus einem Gusse gestaltet erscheint, wie in keiner zweiten ebenso großen Stadt der Welt. Denn trotz seines neuen Vondelparks, trotz seines modernen Glas¬ palastes, trotz seines im Bau begriffenen neuen Reichsmuseums und trotz seines internationalen, trefflichen Amstelhotels bleibt Amsterdam nach wie vor die ech¬ teste und holländischste aller holländischen Städte. Hier ist noch immer nichts nach Pariser Mode uniformiert, hier ist noch alles dem nationalen Boden ent¬ sprungen und den heimischen Bedürfnissen entsprechend eingerichtet. Und Amster¬ dam ist im ganzen immer noch eine Stadt des 17. Jahrhunderts. Seine Straßen und Plätze sehen im ganzen noch genau so aus, wie die großen Straßenmaler jener Tage, die Berck-Heyde und Jan van Heyden sie gemalt haben. Und diese wußten wohl, weshalb sie nicht müde wurden, die Amsterdamer Straßen und Plätze zu malen. Denn keine andere nordische Stadt bietet dem Auge eine solche Fülle malerischer Ansichten wie Amsterdam. Ein Engländer sagte mir heute: „Es ist so viel drin in den Straßen." Das ist es. Darin liegt wenigstens ein Theil des malerischen Reizes der Stadt. Wenn die Straßen andrer Städte von Menschen verlassen sind, sind sie überhaupt kahl und leer. Die Straßen von Amsterdam sind aber noch voll, wenn auch kein Mensch sich in ihnen blicken läßt. Da ist der Canal in der Mitte der Straße; da sind die Fahrzeuge und Schiffe jeder Art im Canale; da sind die Zugbrücken und Drehbrücken, welche die beiden Straßenseiten verbinden; da sind die Ulmenreihen, welche sich an ihnen entlang ziehen; da sind die großen Freitreppen vor den Häusern und die Schnörkel an den Backsteinfassaden; da sind die Giebel, von denen jeder anders gestaltet ist, als der andere. Ist das alles nun noch von dem bunten Menschengewühls der Großstadt, in dem hier viele malerische alte National¬ trachten vom Lande auftauchen, belebt, so ist natürlich noch mehr drin in den Straßen, und es wird noch deutlicher, daß der malerische Reiz des Amsterdamer Stadtbildes zum Theil in der Fülle von Einzelheiten liegt, die es bietet. Die künstlerische „Einheit in der Vielheit" stellen dann vor allen Dingen die gleich¬ mäßigen ruhigen Farben her: der dunkel braunrothe Mauerstein der Häuser, der bald dunkel schieferblaue, bald gedämpft zinnoberrothe Ziegel der Dächer, das frische, aber ernste Laubgrün der Bäume. Auffallend bleibt der einheitliche Ton, in dem alles erscheint, aber immer noch. Im wesentlichen ist er wohl der schweren Feuchtigkeit der Luft zuzuschreiben, welche einerseits, wie sie die Weißen Zierraten und Schnörkel der Häuser grau gefärbt hat, so alles Men¬ schenwerk mit einer Art Palma überzieht, andrerseits aber auch als trübes Medium die Localfarben der Gegenstände bricht und harmonisiert. Den 9. September 1878. Ist Antwerpen die Stadt des Rubens, so ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/239>, abgerufen am 28.12.2024.