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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Amsterdam die Stadt Rembrandts. Der Stadt Rembrandts war der heutige
Tag gewidmet. Doch haben wir in der Frühe eine Dampfschifffahrt nach
Zaandam unternommen, um die Hütte Peters des Großen zu sehen. Wenn
wir nicht auf der Reise nach Petersburg wären, hätten wir sicher nicht daran
gedacht, sie wieder zu besuchen. Aber die Stätte giebt immerhin zu denken;
und kurz vor unsrer Reise nach Rußland gab sie uus heute doppelt zu denken.

Niederschreiben will ich aber nur die Gedanken, die mir in der Gemälde¬
galerie, ja nur die Gedanken, die mir in einem Zimmer derselben kamen, in
dem kleinen Zimmer, in welchem, einander gegenüber, Rembrandts "Nachtwache"
und B. van der Helsts große "Schützenmahlzeit" hängen. Bartholomäus van
der Helft ist in fast noch höherm Grade als Rembrandt der eigentliche Reprä¬
sentant der Amsterdamer Malerei des 17. Jahrhunderts. Er ist noch aus¬
schließlicher als Frans Hals Porträtmaler. Ein Menschenalter jünger als
dieser, auch einige Jahre jünger als Rembrandt, wetteifert er in ruhiger, klarer,
aber geistig erfaßter Aehnlichkeit seiner Bildnisse mit seinein flämischen Zeitge¬
nossen Van Dyck. Seine Auffassung ist viel objectiver als diejenige Rem¬
brandts ; seine Malweise ist weicher, zahmer, verschmolzener als diejenige des
Frans Hals. Er wurde der Lieblingsmaler der Amsterdamer, ja es gelang
ihm, als Bildnißmaler Rembrandt selbst zu verdrängen. Wenn wir zwischen
seinem Hauptbilde und dem Hauptbilde Rembrands stehen, so begreifen wir das
vollkommen. Beide Bilder sind große "Schntzenstücke". Van der Helft hat seine
Schützen bei der Mahlzeit, Rembrandt hat die seinen bei ihrem Auszug aus dem
Gildeuhause dargestellt. Van der Helft läßt jedem der fünfundzwanzig Männer,
die er darstellt, sein volles Recht. Alle treten in gleich Hellem Lichte gleich klar
hervor, alle tragen ihre eigene Individualität zur Schau; die Individualität
spricht sich sogar in den unvergleichlich schon gemalten Händen so überzeugend
aus, daß man gesagt hat, wenn man sie alle durcheinander mischte, würde man
ihre Eigenthümer doch wieder erkennen. Rembrandt dagegen hat seinen Auszug
in ein so magisches Helldunkel gehüllt, daß der Volksglaube daran festhält, das
Bild sei ein Nachtstück mit Fackellicht, obgleich es Helles Tageslicht darstellt.
Nur die vordern Gestalten find von Hellem Lichte umflossen, die hintern ver¬
schwimmen in geheimnißvollem Dämmerlichte; und statt ihrer eignen, tragen alle
Gesichter einen Zug von Rembrandts Individualität. Rembrandts Bild ist 1642,
sechs Jahre früher gemalt als van der Helsts. Werden wir es den ehrsamen
Schützengesellschaften verdenken, daß sie des letztern Bild vorzogen? Sie hatten
in dem einen wie in dem andern Falle eine Porträtgruppe bestellt, in welcher
jeder seine eigne Aehnlichkeit bewundern wollte. Können wir es ihnen verdenken,
daß sie in Rembrandts Schöpfung etwas andres sahen, als was sie bestellt
hatten? Vom Standpunkte der Bildnißmalerei aus hatten sie recht. Vom


Amsterdam die Stadt Rembrandts. Der Stadt Rembrandts war der heutige
Tag gewidmet. Doch haben wir in der Frühe eine Dampfschifffahrt nach
Zaandam unternommen, um die Hütte Peters des Großen zu sehen. Wenn
wir nicht auf der Reise nach Petersburg wären, hätten wir sicher nicht daran
gedacht, sie wieder zu besuchen. Aber die Stätte giebt immerhin zu denken;
und kurz vor unsrer Reise nach Rußland gab sie uus heute doppelt zu denken.

Niederschreiben will ich aber nur die Gedanken, die mir in der Gemälde¬
galerie, ja nur die Gedanken, die mir in einem Zimmer derselben kamen, in
dem kleinen Zimmer, in welchem, einander gegenüber, Rembrandts „Nachtwache"
und B. van der Helsts große „Schützenmahlzeit" hängen. Bartholomäus van
der Helft ist in fast noch höherm Grade als Rembrandt der eigentliche Reprä¬
sentant der Amsterdamer Malerei des 17. Jahrhunderts. Er ist noch aus¬
schließlicher als Frans Hals Porträtmaler. Ein Menschenalter jünger als
dieser, auch einige Jahre jünger als Rembrandt, wetteifert er in ruhiger, klarer,
aber geistig erfaßter Aehnlichkeit seiner Bildnisse mit seinein flämischen Zeitge¬
nossen Van Dyck. Seine Auffassung ist viel objectiver als diejenige Rem¬
brandts ; seine Malweise ist weicher, zahmer, verschmolzener als diejenige des
Frans Hals. Er wurde der Lieblingsmaler der Amsterdamer, ja es gelang
ihm, als Bildnißmaler Rembrandt selbst zu verdrängen. Wenn wir zwischen
seinem Hauptbilde und dem Hauptbilde Rembrands stehen, so begreifen wir das
vollkommen. Beide Bilder sind große „Schntzenstücke". Van der Helft hat seine
Schützen bei der Mahlzeit, Rembrandt hat die seinen bei ihrem Auszug aus dem
Gildeuhause dargestellt. Van der Helft läßt jedem der fünfundzwanzig Männer,
die er darstellt, sein volles Recht. Alle treten in gleich Hellem Lichte gleich klar
hervor, alle tragen ihre eigene Individualität zur Schau; die Individualität
spricht sich sogar in den unvergleichlich schon gemalten Händen so überzeugend
aus, daß man gesagt hat, wenn man sie alle durcheinander mischte, würde man
ihre Eigenthümer doch wieder erkennen. Rembrandt dagegen hat seinen Auszug
in ein so magisches Helldunkel gehüllt, daß der Volksglaube daran festhält, das
Bild sei ein Nachtstück mit Fackellicht, obgleich es Helles Tageslicht darstellt.
Nur die vordern Gestalten find von Hellem Lichte umflossen, die hintern ver¬
schwimmen in geheimnißvollem Dämmerlichte; und statt ihrer eignen, tragen alle
Gesichter einen Zug von Rembrandts Individualität. Rembrandts Bild ist 1642,
sechs Jahre früher gemalt als van der Helsts. Werden wir es den ehrsamen
Schützengesellschaften verdenken, daß sie des letztern Bild vorzogen? Sie hatten
in dem einen wie in dem andern Falle eine Porträtgruppe bestellt, in welcher
jeder seine eigne Aehnlichkeit bewundern wollte. Können wir es ihnen verdenken,
daß sie in Rembrandts Schöpfung etwas andres sahen, als was sie bestellt
hatten? Vom Standpunkte der Bildnißmalerei aus hatten sie recht. Vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/240>, abgerufen am 28.12.2024.