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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Stift "Hofje van Beeresteyn" noch eine Reihe der köstlichsten großen Bilder des
großen Frans Hals. Als ich sie heute wiedersehen wollte, klopfte ich vergeblich
an das Thor. Die alte Jungfer, welche öffnete, sagte kategorisch, die Bilder
würden nicht mehr gezeigt, und blieb dabei trotz meines Bittens. Ach! wahr¬
scheinlich sind auch sie schon verkauft worden.

Ein Glück, daß die großen "Schützen- und Regentenstücke" des Frans Hals,
welche das Museum im Rathhaus bewahrt, nicht verkauft werden dürfen! Hier¬
hin zog es mich auch heute wieder mächtig. Meinen Specialstudien habe ich
vor einigen Monaten in diesem Museum obgelegen. Heute soll es uns die
Ruhmeshalle des großen Haarlemer Meisters sein. Abgesehen von dem einen
unvergleichlichen Rembrandt, der durch seine gewaltige Subjectivität die "Schützen-
und Regentenstücke" in eine ihnen eigentlich fremde Sphäre hinaushebt, bezeich¬
nen die acht großen Bilder des Frans Hals im Museum von Haarlem den
Höhepunkt dieser eigenartigen Gattung holländischer Großmalerei. Alles, was
diese Gattung leisten konnte, ohne sich selbst untren zu werden, leistet sie hier.
Zugleich aber gewähren diese acht großen, figurenreichen Bilder mit ihren spre¬
chend lebendigen, kräftigen und wahren Gestalten eines Geschlechts, das sie uns
zu lieben zwingen, einen Ueberblick über die Entwicklungsgeschichte des Meisters,
wie ihn vielleicht keine andre Sammlung der Welt von der Entwicklung keines
andern einheimischen Meisters giebt. Nur Velazquez muß in Madrid eben so
gut zu studieren sein. Die früheste große "Schützenmahlzeit" des Frans Hals vom
Jahre 1616, als der Meister doch schon dreißig Jahr alt war, ist noch durch¬
aus sorgfältig gezeichnet und eingehend modelliert und von tiefgoldiger Leucht¬
kraft der Farbe. Die reifsten, freiesten Schützenbilder aus den dreißiger Jahren
des Jahrhunderts, in denen Frans Hals selbst bereits ein Fünfziger war, zeigen
eine kühle, aber farbige Klarheit des Tones, eine kecke, aber gediegene Breite
der Pinselführung, eine sast gesuchte, aber geniale Einfachheit der Komposition,
kurz eine Meisterschaft, wie sie einzig in der Welt dastehen würde, wenn nicht
gleichzeitig in Madrid eben jener gewaltige Velazquez gelebt hätte, der in der¬
selben Art und auf ähnlichem Gebiete vielleicht noch Erstaunlicheres geleistet
hat. An Frans Hals' "Regentenstück" vom Jahre 1641 macht sich vorüber¬
gehend ein Einfluß Rembrandts bemerkbar. Die letzten Bilder des achtzigjäh¬
riger Meisters aber sind so tollkühn und rücksichtslos breit hingestrichen, daß
sie nur wie Untermalungen aussehen. W. Bode sagt über sie: "Wie seine
Mitmenschen ihm selbst nur das Nothdürftigste zum Fristen des Lebens verab¬
folgten, so bewilligt der achtzigjährige Greis den Gestalten in jenen letzten Ge¬
mälden auch gerade nur fo viel Zeichnung, so viel Farbe, um sie als Menschen
erscheinen zu lassen." Trotzdem brachte die Begeisterung über die Wiederent¬
deckung des Frans Hals einige junge Künstler unsrer Tage dahin, fast so ruck-


Stift „Hofje van Beeresteyn" noch eine Reihe der köstlichsten großen Bilder des
großen Frans Hals. Als ich sie heute wiedersehen wollte, klopfte ich vergeblich
an das Thor. Die alte Jungfer, welche öffnete, sagte kategorisch, die Bilder
würden nicht mehr gezeigt, und blieb dabei trotz meines Bittens. Ach! wahr¬
scheinlich sind auch sie schon verkauft worden.

Ein Glück, daß die großen „Schützen- und Regentenstücke" des Frans Hals,
welche das Museum im Rathhaus bewahrt, nicht verkauft werden dürfen! Hier¬
hin zog es mich auch heute wieder mächtig. Meinen Specialstudien habe ich
vor einigen Monaten in diesem Museum obgelegen. Heute soll es uns die
Ruhmeshalle des großen Haarlemer Meisters sein. Abgesehen von dem einen
unvergleichlichen Rembrandt, der durch seine gewaltige Subjectivität die „Schützen-
und Regentenstücke" in eine ihnen eigentlich fremde Sphäre hinaushebt, bezeich¬
nen die acht großen Bilder des Frans Hals im Museum von Haarlem den
Höhepunkt dieser eigenartigen Gattung holländischer Großmalerei. Alles, was
diese Gattung leisten konnte, ohne sich selbst untren zu werden, leistet sie hier.
Zugleich aber gewähren diese acht großen, figurenreichen Bilder mit ihren spre¬
chend lebendigen, kräftigen und wahren Gestalten eines Geschlechts, das sie uns
zu lieben zwingen, einen Ueberblick über die Entwicklungsgeschichte des Meisters,
wie ihn vielleicht keine andre Sammlung der Welt von der Entwicklung keines
andern einheimischen Meisters giebt. Nur Velazquez muß in Madrid eben so
gut zu studieren sein. Die früheste große „Schützenmahlzeit" des Frans Hals vom
Jahre 1616, als der Meister doch schon dreißig Jahr alt war, ist noch durch¬
aus sorgfältig gezeichnet und eingehend modelliert und von tiefgoldiger Leucht¬
kraft der Farbe. Die reifsten, freiesten Schützenbilder aus den dreißiger Jahren
des Jahrhunderts, in denen Frans Hals selbst bereits ein Fünfziger war, zeigen
eine kühle, aber farbige Klarheit des Tones, eine kecke, aber gediegene Breite
der Pinselführung, eine sast gesuchte, aber geniale Einfachheit der Komposition,
kurz eine Meisterschaft, wie sie einzig in der Welt dastehen würde, wenn nicht
gleichzeitig in Madrid eben jener gewaltige Velazquez gelebt hätte, der in der¬
selben Art und auf ähnlichem Gebiete vielleicht noch Erstaunlicheres geleistet
hat. An Frans Hals' „Regentenstück" vom Jahre 1641 macht sich vorüber¬
gehend ein Einfluß Rembrandts bemerkbar. Die letzten Bilder des achtzigjäh¬
riger Meisters aber sind so tollkühn und rücksichtslos breit hingestrichen, daß
sie nur wie Untermalungen aussehen. W. Bode sagt über sie: „Wie seine
Mitmenschen ihm selbst nur das Nothdürftigste zum Fristen des Lebens verab¬
folgten, so bewilligt der achtzigjährige Greis den Gestalten in jenen letzten Ge¬
mälden auch gerade nur fo viel Zeichnung, so viel Farbe, um sie als Menschen
erscheinen zu lassen." Trotzdem brachte die Begeisterung über die Wiederent¬
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[0237] Stift „Hofje van Beeresteyn" noch eine Reihe der köstlichsten großen Bilder des großen Frans Hals. Als ich sie heute wiedersehen wollte, klopfte ich vergeblich an das Thor. Die alte Jungfer, welche öffnete, sagte kategorisch, die Bilder würden nicht mehr gezeigt, und blieb dabei trotz meines Bittens. Ach! wahr¬ scheinlich sind auch sie schon verkauft worden. Ein Glück, daß die großen „Schützen- und Regentenstücke" des Frans Hals, welche das Museum im Rathhaus bewahrt, nicht verkauft werden dürfen! Hier¬ hin zog es mich auch heute wieder mächtig. Meinen Specialstudien habe ich vor einigen Monaten in diesem Museum obgelegen. Heute soll es uns die Ruhmeshalle des großen Haarlemer Meisters sein. Abgesehen von dem einen unvergleichlichen Rembrandt, der durch seine gewaltige Subjectivität die „Schützen- und Regentenstücke" in eine ihnen eigentlich fremde Sphäre hinaushebt, bezeich¬ nen die acht großen Bilder des Frans Hals im Museum von Haarlem den Höhepunkt dieser eigenartigen Gattung holländischer Großmalerei. Alles, was diese Gattung leisten konnte, ohne sich selbst untren zu werden, leistet sie hier. Zugleich aber gewähren diese acht großen, figurenreichen Bilder mit ihren spre¬ chend lebendigen, kräftigen und wahren Gestalten eines Geschlechts, das sie uns zu lieben zwingen, einen Ueberblick über die Entwicklungsgeschichte des Meisters, wie ihn vielleicht keine andre Sammlung der Welt von der Entwicklung keines andern einheimischen Meisters giebt. Nur Velazquez muß in Madrid eben so gut zu studieren sein. Die früheste große „Schützenmahlzeit" des Frans Hals vom Jahre 1616, als der Meister doch schon dreißig Jahr alt war, ist noch durch¬ aus sorgfältig gezeichnet und eingehend modelliert und von tiefgoldiger Leucht¬ kraft der Farbe. Die reifsten, freiesten Schützenbilder aus den dreißiger Jahren des Jahrhunderts, in denen Frans Hals selbst bereits ein Fünfziger war, zeigen eine kühle, aber farbige Klarheit des Tones, eine kecke, aber gediegene Breite der Pinselführung, eine sast gesuchte, aber geniale Einfachheit der Komposition, kurz eine Meisterschaft, wie sie einzig in der Welt dastehen würde, wenn nicht gleichzeitig in Madrid eben jener gewaltige Velazquez gelebt hätte, der in der¬ selben Art und auf ähnlichem Gebiete vielleicht noch Erstaunlicheres geleistet hat. An Frans Hals' „Regentenstück" vom Jahre 1641 macht sich vorüber¬ gehend ein Einfluß Rembrandts bemerkbar. Die letzten Bilder des achtzigjäh¬ riger Meisters aber sind so tollkühn und rücksichtslos breit hingestrichen, daß sie nur wie Untermalungen aussehen. W. Bode sagt über sie: „Wie seine Mitmenschen ihm selbst nur das Nothdürftigste zum Fristen des Lebens verab¬ folgten, so bewilligt der achtzigjährige Greis den Gestalten in jenen letzten Ge¬ mälden auch gerade nur fo viel Zeichnung, so viel Farbe, um sie als Menschen erscheinen zu lassen." Trotzdem brachte die Begeisterung über die Wiederent¬ deckung des Frans Hals einige junge Künstler unsrer Tage dahin, fast so ruck-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/237>, abgerufen am 28.12.2024.